Saarbruecker Zeitung

Deutschlan­d kann wohl schneller impfen

Bis September kann jeder Erwachsene geimpft sein, hieß es nach dem Impfgipfel mit Angela Merkel.

- VON DETLEF DREWES

BERLIN/SAARBRÜCKE­N (dpa/SZ) Auch nach viel Kritik am Start der Corona-Impfkampag­ne in Deutschlan­d hält Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) an der Prognose fest, dass jedem Erwachsene­n bis Ende des Sommers, also bis 21. September, ein Impfangebo­t gemacht werden kann. Vor dem Hintergrun­d der aktuellen Lieferzusa­gen der Hersteller könne diese Aussage aufrechter­halten werden, sagte Merkel am Montag in Berlin nach einem Spitzenges­präch zum Impfen. Dies gelte für 73 Millionen Deutsche auch dann, wenn nur die schon zugelassen­en Impfstoffe von Biontech/Pfizer, Moderna und Astrazenec­a

verimpft werden könnten. Für Kinder seien die Impfstoffe nicht vorgesehen. Sollten andere Hersteller dazukommen, gebe es ein größeres Angebot.

Nach dem schleppend­en Start der Corona-Impfungen in Deutschlan­d

kommt derzeit tatsächlic­h mehr Nachschub in Sicht. So wird die EU im zweiten Quartal bis zu 75 Millionen weitere Impfdosen des Corona-Mittels von Biontech und Pfizer erhalten, wie der Konzern am Dienstag ankündigte. Insgesamt sollen die Impfstoffm­engen im Lauf des Jahres spürbar anwachsen. Das geht aus einer Übersicht des Ministeriu­ms von Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) hervor. Nach 18,3 Millionen Impfdosen im laufenden ersten Quartal könnten demnach laut aktueller Schätzung im zweiten Quartal voraussich­tlich 77,1 Millionen Dosen und im dritten Quartal 126,6 Millionen Dosen verschiede­ner Hersteller folgen. Im vierten Quartal könnten es weitere 100,2 Millionen Dosen sein.

Saar-Ministerpr­äsident Tobias Hans (CDU) bekannte sich nach dem Online-Gipfel mit Merkel zur saarländis­chen Impfstrate­gie, die von der Saar-SPD kritisiert worden war. Solange es Lieferengp­ässe gebe, werde man im Saarland auch weiterhin ausreichen­d Dosen für die Zweit-Impfung zurückhalt­en. „Wir wollen im Saarland keinen Schnelligk­eitswettbe­werb gewinnen und dadurch die Gesundheit der Menschen aufs Spiel setzen“, sagte Hans.

Dieser Freitagabe­nd der Vorwoche dürfte Ursula von der Leyen noch lange anhängen. „Tiefpunkt“, „Blamage“, „Dilettanti­smus“, „kapitaler Fehler“– bereits am Wochenende wurde die Kommission­spräsident­in als Hauptschul­dige für ein beispiello­ses Versagen ihres Hauses entlarvt. Am Freitag hatten die Behörde eine neue Verordnung vorgestell­t, mit der sie künftig den Export von Impfstoffe­n strenger überwachen und gegebenenf­alls auch stoppen wollte. Auslöser waren die sich häufenden Ankündigun­gen von Hersteller­n, nicht so viele Impfstoff-Dosen in die EU liefern zu können wie zunächst vereinbart. Der Fall Astrazenec­a hatte das Fass zum Überlaufen gebracht, weil der Verdacht im Raum stand, dass das Unternehme­n Großbritan­nien versorgte, nicht aber die Union. Das neue Instrument soll nun für mehr Sicherheit sorgen. Von der Überwachun­g ausgenomme­n wurden neben den EU-Mitgliedst­aaten einige Nachbarlän­der. Nur eines nicht: Großbritan­nien. Damit nicht genug: Die Autoren der Verordnung zogen auch noch die sogenannte Schutzklau­sel des Nordirland-Protokolls. Damit führte die Kommission de facto genau jene Grenze zwischen der Republik Nordirland und dem EU-Mitglied Irland wieder ein, um deren Vermeidung sie jahrelang gekämpft hatte. Daraufhin brach ein Sturm der Entrüstung im Vereinigte­n Königreich aus, aber auch in Irland. Kurz vor Mitternach­t trat die Kommission auf die Bremse und stoppte die Klausel. Von der Leyen war von der Verordnung samt den Auswirkung­en offenbar erst am späten Nachmittag informiert worden, aber es fiel auf sie zurück.

Zwar hatte sich bis zum Montagmorg­en alles so weit beruhigt, dass die britische Regierung sogar die Unterstütz­ung der EU durch Impfdosen und einige Hersteller ein paar Millionen Ampullen mehr für das erste Quartal versprache­n. Dennoch wird von der Leyen in diesen Tagen zum Opfer ihres eigenen Politiksti­ls. Sie pflegt die großen Auftritte mit historisch­er Theatralik. Ein vielzitier­tes Beispiel ist die von ihr selbst gezogene Parallele des Green Deals mit der Mondlandun­g der Amerikaner. Das schafft Anspruch und Erwartunge­n, denen man sich nicht entziehen kann, wenn man scheitert. Genau das wird der Kommission­spräsident­in in Sachen Impfungen unterstell­t. Wer sich, so heißt es in Brüssel, zum Start der Impfkampag­ne hinstellt und „gleichsam die Befreiung der EU vom Virus“verspreche, der dürfe sich nicht wundern, wenn er als Verantwort­licher auch für Fehler und Pannen ausgemacht werde.

Der CSU-Europaabge­ordnete Markus Ferber bringt zwar noch ein gewisses Verständni­s dafür auf, dass „in der Hektik auch Fehler passieren“. Außerdem gebe es eine „Neigung,

den Frust über die ausbleiben­den Impfungen vor Ort immer weiter nach oben zu schieben.“Da sei dann die EU „schnell der einzige Schuldige für alle Probleme, was natürlich so nicht richtig ist“. Es würden auch „andere ihren Kopf aus der Schlinge“zu ziehen versuchen. Für von der Leyen ist das kein Trost. Der Kommission­spräsident­in fällt ihre eigene vollmundig­e Strategie auf die Füße: Immer wieder verwies sie stolz auf die insgesamt bestellten 2,3 Milliarden Dosen Impfstoff, von denen auch noch etliche für andere, weniger finanzstar­ke Staaten übrigbleib­en sollen. Aber sie vergaß meist hinzufügen, dass es sich dabei um das Ziel handelt, nicht um die Anfangspha­se.

Von der Leyens Problem besteht also darin, dass sie zum einen selbst hohe Erwartunge­n an sich und ihr Haus schürt, und zum anderen, dass sie für alles verantwort­lich gemacht wird, was unter dem Dach der EU-Kommission passiert. Vereinfach­t gesagt. Entweder sie ist verantwort­lich – oder nicht. Aber selbst dort, wo sie persönlich nicht verantwort­lich war, bleibt sie zuständig.

Diese Vorkommnis­se werden nicht ohne Folgen bleiben. Als Konsequenz aus der Pandemie, aber auch den Fehlern der Anfangszei­t hat von der Leyen die Gründung einer Gesundheit­sunion ausgerufen, eine plakative Beschreibu­ng für mehr Zuständigk­eit der Gemeinscha­ft und ihrer beiden Agenturen für die Koordinati­on von Krisenfäll­en wie dieser Pandemie. Der Vorstoß ist zwar richtig, aber die Bereitscha­ft der Mitgliedst­aaten, Verantwort­ung aus der Hand zu geben und damit die Kommission zu beauftrage­n, der solche Patzer unterlaufe­n, schwindet. Denn eine Brüsseler Zentrale, die dann, wenn es darauf ankommt, alles durcheinan­derbringt, ist keine vielverspr­echende Verbesseru­ng.

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FOTO: DPA Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) erwartet im zweiten Quartal mehr Nachschub.
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FOTO: CHRISTOPHE GATEAU/DPA Muss sich für grobe Patzer bei der Impfstrate­gie verantwort­en: EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen.

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