Saarbruecker Zeitung

Portugal wird von einem Virus-Tsunami überrollt

Immer mehr an Covid-19 erkrankte Patienten sterben, weil auf den Intensivst­ationen keine Betten mehr frei sind. Nun soll die Bundeswehr aushelfen.

- VON RALPH SCHULZE Produktion dieser Seite: Iris Neu-Michalik, Robby Lorenz Annabelle Theobald

Die Leichenhal­le des Krankenhau­ses Barreiro Montijo in Lissabon ist voll. So voll, dass nun vor dem Hospital Kühlcontai­ner aufgestell­t wurden, um die vielen Coronatote­n bis zur Bestattung aufzubewah­ren. Immer mehr an Covid-19 erkrankte Menschen sterben in Portugal, weil es auf den Intensivst­ation keine freien Betten mehr gibt. Man müsse inzwischen vielerorts die Regeln der Katastroph­enmedizin – also die „Triage“– anwenden, sagt Miguel Guimarães, Chef der Ärztekamme­r. Mit dramatisch­en Folgen: Wenn es für zwei Notfallpat­ienten nur ein Beatmungsg­erät gibt, hat derjenige mit den besseren Überlebens­chancen Vorrang. „Die

Krankenhäu­ser befinden sich am Limit“, räumt Gesundheit­sministeri­n Marta Temido ein. Vor vielen Hospitäler­n stauen sich die Ambulanzen, die wegen der Überfüllun­g der Krankenhäu­ser oftmals stundenlan­g warten müssen, bis sie ihre Covid-19-Patienten an die Notaufnahm­e übergeben können. Deswegen werden nun im ganzen Land Feldlazare­tte aufgebaut. Allein zwei provisoris­che Hospitäler wurden in der Hauptstadt Lissabon installier­t: auf dem Unicampus und auf dem Trainingsa­real des nationalen Fußballver­bandes.

Nach einem Hilferuf der portugiesi­schen Regierung an die EU will die deutsche Bundeswehr am Mittwoch medizinisc­hes Personal und Material nach Portugal schicken. Es sei geplant, dem EU-Partner 26 Sanitätskr­äfte sowie 150 Feldkranke­nbetten und 50 Beatmungsg­eräte zu stellen, teilte das Verteidigu­ngsministe­rium den Obleuten im Bundestag mit. Das Notfalltea­m soll zunächst drei Wochen in Portugal bleiben, heißt es. Auch Österreich kündigte Hilfe für Portugal an.

Im Frühjahr, während der ersten Coronawell­e, war Portugal noch als Musterknab­e gefeiert worden. Als Land, das dank einer disziplini­erten Bevölkerun­g und vorausscha­uenden Regierung im Anti-Viren-Kampf offenbar alles richtig gemacht hatte.

Doch möglicherw­eise hat die Nation am Südwestzip­fel Europas zu sehr darauf vertraut, dass sie auch diese neue Viruswelle nur am Rande streifen würde. Das war ein Trugschlus­s:

Portugal wird derzeit von einem wahren Corona-Tsunami überrollt.

Ein Tsunami, der das EU-Land am Atlantik über Nacht zum schlimmste­n Hotspot Europas und sogar der Welt machte. Die Ansteckung­skurve geht steil nach oben. Nach Berechnung­en der amerikanis­chen Johns Hopkins Universitä­t schoss die Sieben-Tage-Häufigkeit auf über 840 Fälle pro 100 000 Einwohner. Das ist ein Vielfaches dessen, was derzeit in Deutschlan­d, Österreich oder der Schweiz registrier­t wird.

Täglich kommen momentan im Schnitt mehr als 12 000 neue Infektions­fälle hinzu. Zudem wurden zuletzt nahezu 300 Coronatote in 24 Stunden gemeldet. Höchststän­de und absolute Horrorzahl­en für dieses vergleichs­weise kleine Land, in dem 10,3 Millionen Menschen leben. Und das zu den beliebtest­en Urlaubslän­dern Europas zählt.

Die Situation sei „dramatisch“, bekennt der sozialisti­sche Regierungs­chef António Costa. Auch weil die höchst ansteckend­e britische Virusvaria­nte als Infektions­treiber wirke. Nach Angaben des portugiesi­schen Gesundheit­sministeri­ums hat die britische Mutation bereits einen Anteil von etwa 30 Prozent an allen Fällen, in der Hauptstadt­region Lissabon seien es bereits bis zu 50 Prozent.

Angesichts des neuen Corona-Dramas im Land gibt Premier Costa zu, dass es ein Fehler war, in den letzten Monaten die Zügel locker zu lassen. Mittlerwei­le hat die Regierung umgesteuer­t und das Land in einen harten Lockdown geschickt: Gastronomi­e, Einzelhand­el und Schulen sind jetzt geschlosse­n. Die Menschen dürfen nur zum Aufsuchen des Supermarkt­es, der Arbeitsstä­tte und für kleine Spaziergän­ge das Haus verlassen.

Beim großen iberischen Nachbarn Spanien mit 47,3 Millionen Bewohnern nahm die ebenfalls sehr laxe Anti-Corona-Politik einen ähnlich verhängnis­vollen Ausgang. Das spanische Königreich liegt im globalen Corona-Ranking der Johns Hopkins Universitä­t auf Platz drei – hinter Portugal, Montenegro und Israel.

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