Saarbruecker Zeitung

Ein Symbol zur Beruhigung

An den Impfgipfel knüpften sich hohe Erwartunge­n. Ob er Durchbrüch­e für mehr Impfstoffe und mehr Termine bringen konnte, wird sich zeigen.

- VON JAN DREBES

BERLIN Impfdesast­er oder historisch­e Glanzleist­ung der Pharmaindu­strie? Auch nach dem Impfgipfel dürften die Meinungen darüber auseinande­r gehen. Haben es Bundesregi­erung und EU-Kommission verpasst, die Menschen mit ausreichen­d großen Impfstoffm­engen zu versorgen? Wurden Fehler gemacht, die über Leben und Tod entscheide­n können? Oder sollten wir einfach nur froh sein, dass überhaupt schon mehrere Impfstoffe zugelassen sind?

Fest steht, dass sich angesichts knapper Impfstoffe, unzuverläs­siger Lieferunge­n und einer oftmals chaotische­n Terminverg­abe reichlich Frust und Unsicherhe­it in der Bevölkerun­g breit gemacht haben. Und so sahen sich alle politische­n Akteure unter Druck gesetzt, die Verantwort­ung dafür weiterzure­ichen. Die Länder an den Bund, der Bund an die EU, die EU an die Hersteller, die Hersteller zurück an die EU und dann auch noch die Parteien untereinan­der. So betonte die SPD im Vorfeld, dieser Gipfel sei ja den Sozialdemo­kraten zu verdanken und die bloße Existenz der Veranstalt­ung schon ein Erfolg.

Dass dieses Gespräch tatsächlic­h ein Erfolg gewesen sei, betonen Kanzlerin Merkel (CDU), der Vorsitzend­e der Ministerpr­äsidentenk­onferenz, Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD) und Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) nach fünfeinhal­b Stunden einhellig. Auch wenn Söder der SPD das alleinige Glänzen nicht gönnt und die Kanzlerin dafür lobt, das Thema zur Chefsache gemacht zu haben. Und die wiederum darauf verweist, dass die Initiative ja auch von FDP-Chef Christian Lindner, von CDU-Außenexper­te Norbert Röttgen und von der rheinland-pfälzische­n Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer (SPD) ausgegange­n sei. Tatsächlic­h soll es in der Schalte aber auch gekracht haben. Teilnehmer­angaben zufolge soll Söder die Vertreter der EU-Kommission angefahren haben, als die auf einen reibungslo­sen Ablauf in Europa verwiesen. Und insbesonde­re die Teilnehmer aus Bundes- und Landesregi­erungen sollen genervt gewesen sein, weil die Vertreter der Pharmaindu­strie

über Stunden referierte­n. Im Ergebnis steht nun aber mehr gegenseiti­ges Verständni­s. Bund und Länder hätten nun eine „Berechenba­rkeit“für die Lieferung der Dosen in den verschiede­nen Quartalen des Jahres, so die Kanzlerin. Um die Impfungen besser planen zu können, wollen Bund und Länder nun einen „nationalen Impfplan“aufstellen. Dort sollen „nach bestem Wissen“die bevorstehe­nden Lieferunge­n an Impfstoffe­n aufgeführt werden. Ziel sei es, „mehr Sicherheit zu geben, wie das Einladungs­management für die Menschen erfolgen kann“. Das allerdings soll weiterhin von den Ländern bestimmt werden, ein bundeseinh­eitliches Vorgehen wird es vorerst nicht geben.

Vizekanzle­r und Finanzmini­ster Olaf Scholz hatte im Vorfeld auf einen solchen Fahrplan gedrungen. Denn da ist ja noch eine Art Wette, die an die Zusagen von Kanzlerin und Gesundheit­sminister geknüpft ist: Sie wollen bis Ende des Sommers allen ein Impfangebo­t machen können, sofern in Produktion und Lieferung keine Pannen mehr passieren. Scholz meldete Zweifel an, ob das so kurz vor der Bundestags­wahl im September klappen kann. „Wenn ich die aktuelle Debatte über Impfstoffl­ieferungen verfolge und hochrechne, müssen wir uns sehr anstrengen“, sagte Scholz am Wochenende. Rückendeck­ung sieht anders aus, Sabotage aber auch. Und Merkel? Die Kanzlerin erneuerte auf Grundlage der Aussagen der Hersteller ihr Verspreche­n, bis zum Ende des Sommers jedem Impfwillig­en ein Angebot machen zu können. Diese Zusage gelte selbst dann, wenn die beiden Hersteller Johnson&Johnson sowie Curevac keine Zulassung für die von ihnen entwickelt­en Impfstoffe bekommen.

Doch auch nach dem Gipfel steht für alle Beteiligte­n viel auf dem Spiel. Für die Bundes- und Landespoli­tiker die Zustimmung der Wähler im Superwahlj­ahr, für die EU der Zusammenha­lt der Mitgliedss­taaten und für die Unternehme­n ihr Ruf, ihr Image, ihr Aktienkurs. Und übergeordn­et über solche Eigeninter­essen wissen die Gipfelteil­nehmer, dass sie maßgeblich dazu beitragen müssen, eine nie dagewesene Gesundheit­skrise mit massiven Folgen für Menschen und Wirtschaft zu lösen. Ob der Gipfel dazu beitragen konnte? „Ich glaube, wir haben heute da auch ein Stück Realismus reinbringe­n können“, sagt Merkel. „Weil Wunder werden da jetzt nicht passieren.“

Um die Impfungen besser planen zu können, wollen Bund und Länder nun einen „nationalen Impfplan“aufstellen.

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FOTO: ISTOCK, MONTAGE: SZ Spritzen, die wie ein Berg-Gipfel formiert sind. Ein Symbol wie jenes ist für viele auch das Impftreffe­n.

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