Saarbruecker Zeitung

Was Corona-Mutationen für die Pandemie bedeuten

Sie haben kryptische Bezeichnun­gen, dürften die Eindämmung der Krise erschweren – und auch langfristi­g eine Rolle spielen, sagen Experten.

- Produktion dieser Seite: Frauke Scholl, Robby Lorenz Iris Neu-Michalik VON GISELA GROSS

(dpa) Seit einigen Wochen registrier­en die Labore in Deutschlan­d immer häufiger Varianten des Corona-Erregers. Worum es geht: Warum sind die Varianten derzeit so gefürchtet?

In mehreren Ländern fiel teils durch Zufall auf, dass neue Varianten im Spiel sind – einhergehe­nd mit massiven Anstiegen der Fallzahlen und überlastet­en Gesundheit­ssystemen, teils trotz Corona-Maßnahmen. „Alle drei Varianten, die man derzeit im Auge hat, scheinen besser übertragba­r zu sein“, sagt der Virologe Ralf Bartenschl­ager vom Unikliniku­m Heidelberg. „Darauf, dass die Varianten gefährlich­er sind – im Sinne von krankmache­nder oder tödlicher – gibt es im Moment keine tragfähige­n Hinweise.“Da der Großteil der Menschen noch nicht mit Sars-CoV-2 infiziert war, gilt die größte Sorge derzeit der höheren Ansteckung­sfähigkeit.

Um welche Varianten geht es?

B.1.1.7 – Großbritan­nien: Die erste Probe, in der diese Variante nachgewies­en wurde, stammt vom vergangene­n September. In ersten Schätzunge­n hieß es, sie verursache 50 bis 70 Prozent mehr Infektione­n im Vergleich zu früheren Formen. Mittlerwei­le sei anhand einer robusteren Datenbasis davon auszugehen, dass der Zuwachs eher bei 22 bis 35 Prozent liege, sagte der Charité-Virologe Christian Drosten kürzlich. Experten sind sich allerdings einig: Auch dieser geringere Prozentsat­z kann die Eindämmung der Pandemie massiv erschweren.

Kürzlich hatte der britische Premiermin­ister Boris Johnson auch von einer erhöhten Sterblichk­eit gesprochen. Die Datenlage wird von vielen Fachleuten aber als zu dünn erachtet. Das Robert-Koch-Institut schreibt über die Variante: „Hinweise auf eine verringert­e Wirksamkei­t der Impfstoffe gibt es bislang nicht.“

B.1.351 – Südafrika: Diese Variante wurde im Dezember entdeckt. Vermutet wird, dass sie entstand, weil ein hoher Anteil der Bevölkerun­g schon eine Corona-Infektion durchgemac­ht hatte. Drosten erklärte im NDR-Podcast einmal die Infektions­lage in Townships, wo Menschen in Armut eng zusammenle­ben und ein hoher Anteil von ihnen bereits Antikörper aufweist: „Das ist langsam eine Herdenimmu­nität. Das ist etwas, wo das Virus gegen Antikörper kämpfen muss, wenn es wieder neue Leute infizieren will, wenn es eine Zweitinfek­tion setzen will, beispielsw­eise. Gegen diesen Immundruck

würde sich so ein Virus möglicherw­eise mit so einer Mutation verteidige­n.“

„Erste Daten weisen in die Richtung, dass Genesene Antikörper haben, die nicht mehr gegen die Südafrika-Variante funktionie­ren“, fasst Bartenschl­ager zusammen. Der Körper

könne sich aber vermutlich immer noch zur Wehr setzen: „Antikörper sind nicht alles, es gibt auch noch eine zelluläre Immunität.“

B.1.1.28P.1 – entdeckt in Japan, aus Brasilien kommend: Über diese Variante existieren relativ wenige Daten. Sie ähnelt laut RKI der südafrikan­ischen. Wie verbreitet sind die Varianten in Deutschlan­d?

Die gezielte Suche danach ist erst kürzlich verstärkt worden, belastbare Zahlen liegen noch nicht vor. Bis Donnerstag­abend waren dem RKI 120 Nachweise von B.1.1.7 und 27 von B.1.351 gemeldet, es gibt erste Ausbrüche. Betroffen sind nicht mehr nur Reiserückk­ehrer: Ein Berliner Krankenhau­s etwa stand unter Quarantäne. Auch Verdachtsf­älle werden immer wieder gemeldet.

Wie geht es weiter?

Die Varianten wurden wohl vor allem an Weihnachte­n eingeschle­ppt. Der Lockdown dürfte sie erst mal im Zaun halten. Und dann? Gefordert wird, die Corona-Zahlen weiter deutlich zu senken, damit Gesundheit­sämter wieder penibel Kontakte nachverfol­gen können. „Was wir ganz strikt im Auge haben müssen, sind Einschlepp­ungen von außen, zum Beispiel über Reisen“, so Bartenschl­ager. Klar ist: Die drei Varianten sind nicht das Ende. „Wir werden auch nächstes Jahr um diese Zeit uns Sorgen machen um bestimmte Virus-Mutanten, die wieder an anderen Stellen Veränderun­gen haben“, sagte Drosten.

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