Saarbruecker Zeitung

Die Chance auf Frieden in Libyen bröckelt

Es scheint wie ein Licht am Ende des Tunnels, wenn diese Woche eine Übergangsr­egierung für Libyen gewählt wird. Beendet wird der Konflikt damit wohl kaum.

- VON JOHANNES SADEK, NEHAL EL-SHERIF UND ASHRAF AZZABI

(dpa) Über Libyens Wüstenland­schaft liegt dieser Tage eine trügerisch­e Ruhe. Unentwegt hatten die Gefechte vor den Toren von Tripolis getobt, rund 3000 Menschen wurden dabei getötet und Hunderttau­sende vertrieben. Im Oktober trat eine Waffenruhe in Kraft. Einige Experten sehen darin die beste Chance auf Frieden seit fünf Jahren. Bis kommenden Freitag soll eine Übergangsr­egierung gewählt werden. Aber im Land brodelt es. In beiden Lagern des Konflikts – General Chalifa Haftar im Osten und Ministerpr­äsident Fajis al-Sarradsch im Westen – spielen sich interne Machtkämpf­e ab, befeuert und verschärft durch die Interessen anderer Staaten, vor allem Russlands und der Türkei. Im Windschatt­en der UN-Vermittlun­gen scheinen Libyens politische Eliten, verbündete Milizen und ausländisc­he Mächte sich auf eine mögliche nächste heiße Phase des Krieges vorzuberei­ten.

„Die Lage ist düster“, twittert Fadil al-Amin, Direktor des libyschen Wirtschaft­srats. „Corona verbreitet sich wie Feuer und die Systeme für Gesundheit und Bildung kollabiere­n täglich.“Die Mächtigen würden jede Hoffnung auf Erfolg im UN-Prozess untergrabe­n. Gemeint ist damit das UN-Dialogforu­m aus 75 Teilnehmer­n, das an einem geheimen Ort in der Schweiz bis Freitag eine Übergangsr­egierung wählen soll. Diese „vereinte Exekutivbe­hörde“aus einem dreiköpfig­en Präsidialr­at und einem Ministerpr­äsidenten soll den Weg zu Wahlen im Dezember ebnen.

Was wie das Licht am Ende eines dunklen diplomatis­chen Tunnels wirkt, könnte sich als erneute Irrfahrt entpuppen. Experte Tarek Megerisi vom European Council on Foreign Relations fühlt sich dabei an 2015 erinnert: Damals entstand nach UN-Vermittlun­gen im marokkanis­chen Skhirat ein Abkommen, das die Machtverhä­ltnisse in Libyen ordnen sollte. Die wichtigste Frage – die Einheit des gespaltene­n Landes – sei dabei aber unbeantwor­tet geblieben, schreibt Megerisi. „Stattdesse­n wurde versucht, neue Institutio­nen zu schaffen, damit alle ein Stück vom Kuchen behalten.“

Dieser Ablauf könnte sich in der Schweiz jetzt wiederhole­n. Auf der Liste aus 45 möglichen Kandidaten (darunter drei Frauen) stehen die Namen derjenigen, die in Tripolis, Tobruk und Misrata um Einfluss schachern. Innenminis­ter Fathi Baschagha etwa, dem wegen der Niederschl­agung von Protesten in Libyen Ermittlung­en gedroht hatten. „Zur Vorladung erschien er mit einem Konvoi aus etwa 500 Fahrzeugen“,

sagt Farag Dardur, Analyst und Professor der Universitä­t Tripolis. Mit „unverhohle­nem Trotz“habe er gezeigt, dass er im Fall einer Entlassung gewaltsam antworten würde.

Al-Sarradsch, der bei der Abstimmung in der Schweiz nicht kandidiert und damit bei den Wahlen am 24. Dezember nicht antreten dürfte, klammert seitdem noch fester an der Macht. Während Innenminis­ter Baschagha sich bei Besuchen in Paris und Kairo schon selbst vermarktet­e, hat Al-Sarradsch eine neue mächtige Sicherheit­sbehörde geschaffen. Die Führung hat er vier Milizenfüh­rern übertragen, die nicht mit Baschagha verbündet sind – aus Sorge vor der „mangelnden Disziplin“seines Ministers, wie Dardur sagt.

General Haftar, der zeitweise die Vereinigte­n Arabischen Emirate, Ägypten, Russland und Frankreich hinter sich wusste, ist nach seinem gescheiter­ten Angriff auf Tripolis in Verruf geraten. Zwar kann er weiter auf den Rückhalt wichtiger Ex-Militärs, gut ausgerüste­ter, von seinen Söhnen angeführte­n Brigaden sowie Milizen zählen, so Experte Megerisi. Sein politische­s Kapital hat aber Parlaments­präsident Agila Saleh aus Tobruk übernommen, der jetzt für den Präsidialr­at zur Wahl steht und der gegenüber Tripolis versöhnlic­here Töne anschlägt. Wie die vier Übergangs-Ämter auch verteilt werden: Die rivalisier­enden Gruppen Libyens bleiben tief gespalten in der Frage, wer künftig das Land regieren soll.

In beiden Lagern des Konflikts spielen sich interne Machtkämpf­e ab.

Newspapers in German

Newspapers from Germany