„Das Publikum fehlt einem wahnsinnig“
Zauberer, Sängerin, Pop-Duo ... Sie, die uns den Alltag versüßten, sind von der Corona-Krise hart getroffen. Ein Stimmungsbild.
Sie gehören zu den Künstlerinnen und Künstlern, die gerade durch viele Raster fallen. In normalen Zeiten verdienen sie zum Beispiel als Zauberer ihren Lebensunterhalt oder als Pop-Sängerinnen. Staatliche Kulturförderung bekommen sie keine, brauchen sie auch nicht, weil sie sich ja selbst finanzieren können. Aber jetzt, im monatelangen kulturellen Lockdown, sind viele sogenannte Unterhaltungskünstlerinnen und -künstler in existenzieller Not. „Irgendwie bekommt man nach und nach das Gefühl, langsam vergessen zu werden“, sagte uns einer von ihnen. Wir wollten wissen, wie es denen geht, die sonst für die kleinen, wichtigen Freuden im Leben von vielen Menschen sorgen. Die Sängerin Sue Lehmann, Martina Schlaucher und Thomas Lapp vom Pop-Duo Perlregen und die beiden Zauberkünstler Kalibo und Markus Lenzen gaben uns Antwort.
In wenigen Wochen können wir Jubiläum feiern: ein Jahr Corona in Deutschland. Das bedeutet, Sie haben ein ganzes Jahr lang Ihren Beruf gar nicht oder nur eingeschränkt ausüben können.Wie geht es Ihnen?
Sue Lehmann: Wenn ich das gefragt werde, antworte ich immer spontan mit „gut“. Da ich gesund bin und es auch meiner Familie und meinen Freunden gesundheitlich noch gut geht. Beruflich bin ich jetzt ehrlich gesagt in einer Phase, die mir nicht gefällt. Meine Kreativität ist wie eingesperrt. Ich bin manchmal wie gelähmt, das kenne ich nicht von mir. Aber ich weiß ja, dass gerade viele so empfinden. Mit jedem macht Corona etwas. Ich weiß: Ich bin nicht alleine damit!
Kalibo: Ich würde sagen, dass ich, obwohl mir so um die 80 bis 90 Prozent meiner Engagements übers Jahr abgesagt werden mussten, bis Ende Oktober eigentlich großes Glück hatte. Die zweite Welle und der damit verbundene Lockdown hat mich allerdings – wie die meisten, die bis dahin durchhalten konnten – mit voller Wucht getroffen. Meine letzte Show ist nun über drei Monate her. Und auch der Blick in den Kalender sieht recht düster aus, denn geplant wird momentan natürlich nichts, da niemand weiß, wie es weitergeht.
Markus Lenzen: Ich empfinde das Corona-Jahr trotz aller Schwierigkeiten eher als Geschenk, weil es eben auch Chancen bot, sich neu oder in anderen Bereichen auszuprobieren. In der Not musste man sehr schnell kreative Lösungen finden, mit viel Chaos und ungeahnten Ängsten. Glücklicherweise konnte ich mir meinen Optimismus meistens bewahren. Sonst hätte man das Jahr auch kaum durchhalten können.
Thomas Lapp: Seit dem ersten Shutdown
konzentrieren wir uns stark auf unsere eigenen Sachen. Wir haben uns über die Jahre vieles selbst angeeignet, so konnten wir von zu Hause aus weiter Songs schreiben, produzieren und auch Videos drehen.
Martina Schlaucher: Die Bühne mussten wir durch YouTube und Social Media ersetzen, mussten über Hürden springen, die wir vielleicht vorher eher vermieden hätten.
Sie haben Ihren Beruf ja wahrscheinlich unter anderem gewählt, weil Sie die Bühne lieben, das Publikum und natürlich auch den Applaus. Wie lang kann man die Isolation als Künstler*in überhaupt aushalten, ohne eine Depression zu bekommen?
Thomas Lapp: Als Künstler hat man doch sowieso ständig mit Depressionen zu tun (er schickt ein Zwinkersmiley dazu). Es ist derzeit nicht weniger oder mehr geworden, hängt aber wahrscheinlich damit zusammen, dass wir uns sehr auf unsere eigene Entwicklung konzentrieren. Es ist ja auch die Arbeit hinter der Kulisse, die uns als Künstler ausmacht.
Martina Schlauchert: Wir vermissen die Live-Atmosphäre sehr. Früher kamen die Depressionen nach den Konzerten. Heute kommen die Depressionen eher aus Frustration, weil sich alles so schwerfällig bewegt und man das Gefühl hat, dass die Distanz zum Publikum immer größer wird.
Sue Lehmann: Ich versuche, mich nicht zu isolieren und immer wieder kreative Dinge zu machen, um am Ball zu bleiben, dadurch falle ich nicht in eine Depression.
Kalibo: Gerade die letzten Monate waren besonders schwer – finanziell wie psychisch, da halt eben auch nicht absehbar ist, wann und wie es nun weitergehen kann. Es zehrt total am Selbstbewusstsein und dem Selbstverständnis, wenn keine Engagements mehr geplant werden. In den letzten Jahren hatte ich immer so um die 200 Auftritte in ganz Deutschland und auch auf Kreuzfahrtschiffen, war auch privat mit Freunden und mit der Familie immer sehr viel unterwegs – und auch wenn dieses „Tourleben“durchaus sehr anstrengend ist, so gibt es einem als Künstler nun mal wahnsinnig viel, wenn man sieht, wie viele Menschen man mit dem, was man tut, erreicht und begeistert. Und das fehlt einem wahnsinnig.
Markus Lenzen: Ich konnte mir durch die seit 30 Jahren antrainierte Flexibilität und Kreativität fast zu allen Zeitpunkten der Krise eine „neue“Bühne suchen. Ich konnte neue Online-Formate ausprobieren, verzauberte kleinste Gruppen mit Abstand oder durfte im Dezember sogar im Lockdown die Moderation beim Kulturstream Saarland übernehmen mit rund 60 000 Zugriffen auf unseren Portalen. Ich habe mich zu keinem Zeitpunkt isoliert gefühlt, weil auch die Solidarität mit Kolleginnen und Kollegen aus der Branche eher sozial zusammengeführt hat. Ich konnte ein ganz neues Projekt zum Thema Demokratie starten, habe wieder verstärkt mit dem Fotografieren angefangen oder eine Fabel geschrieben. Alles Dinge und Projekte, für die sonst eben keine Zeit war.
Unterhaltungskünstler sind sogenannte Soloselbständige. Es gibt Hilfsgelder vom Bund, und es gab zumindest im ersten Lockdown groß angekündigte, oft nicht wirklich taugliche Unterstützung vom Land. Wie sieht es in der Praxis aus? Was ist bei Ihnen überhaupt angekommen?
Kalibo: Bereits während des ersten Lockdowns – da saß ich auf einem Kreuzfahrtschiff fest, wo ich engagiert war – wurde die sogenannte Soforthilfe angekündigt. Ich habe das Glück, dass mein Bruder Steuerberater ist und sie direkt für mich beantragt hat.
Sie wurde auch relativ schnell überwiesen. Anders verhält es sich mit dem „Überbrückungsgeld“, welches ja lediglich für Betriebskosten verwendet werden darf – und die sind bei mir als Künstler so gut wie gar nicht vorhanden. Auch andere Hilfsgelder kamen für mich nicht in Frage. Das einzige Angebot, das für mich in Frage gekommen wäre, ist der „erleichterte Zugang zur Grundsicherung“– die ich allerdings nicht in Anspruch nehmen musste, weil ich mit dem, was ich über die Jahre gespart habe, noch ganz gut über die Runden kam. Langsam aber sicher wird es allerdings knapp. Es ist schon ziemlich deprimierend zu sehen, wie etwas, das man sich mit konsequenter Arbeit über 20 Jahre recht erfolgreich aufgebaut hat, von einem auf den nächsten Tag „weg ist“– und man nicht weiß, wann es wieder weitergeht. Ich glaube, das ist das Schlimmste – die Ungewissheit.
Markus Lenzen: Zunächst war es für unsere Branche ein Riesenerfolg, dass nach wochenlanger Lobby-Arbeit auch Kunst und Kultur selbstverständlich von nahezu allen Hilfen profitieren konnte – wenn auch nicht in jedem Einzelfall und bei vielen mit hohen finanziellen Einbußen und einer bedrohlichen Existenzangst. Ende April bin ich in den aktiven Dialog eingetreten. Während der Dialog mit der Politik oft sehr schwierig und mühevoll war, haben wir in den Ministerien, den Behörden und kommunalen Verwaltungen meist sehr engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Partner gefunden, die in den letzten Monaten ebenfalls einer unglaublichen Belastung ausgesetzt waren. Es entstand ein neues Format zum Austausch, der erste Kulturgipfel wurde auch durch meine Initiative ins Leben gerufen, und auch die freie Szene sitzt jetzt selbstverständlich mit am Tisch. Seit Dezember arbeite ich nun auch mit den Vertretern der Koalition im Landtag und in enger Absprache mit dem Kultusministerium an einer neuen Lösung für das Stipendien-Programm.
Bei der ersten Umsetzung konnten viele nicht von dem Programm profitieren, das soll nun geändert werden.
Sue Lehmann: Ich bin ja beides, Sängerin und mit meiner Musikschule auch Unternehmerin. Und da werde ich vorübergehend zwar unterstützt aber nur als Kredit, wie ich von meinem Steuerberater erfahren habe. Aber im Moment ist es eine Hilfe.
Thomas Lapp: Wir bekamen beide Unterstützungen vom Bund und auch vom Land. Das hat uns zwar über die Runden geholfen, aber hätten wir nicht noch Gelder über Gema und GVL (Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten) verdient, hätte es schlecht ausgesehen. Aber wegen der fehlenden Live-Auftritte werden 2021 auch keine Auszahlungen von der Gema zu erwarten sein.
Martina Schlaucher: Bisher lief es finanziell okay für uns, die große Sorge besteht allerdings für die nächsten zwei Jahre.
Auch wenn es jetzt Impfstoffe gibt, sagen die meisten seriösen Quellen voraus, dass uns die Corona-Einschränkungen womöglich noch bis in den nächsten Winter hinein begleiten werden.Werden Sie das durchhalten?
Sue Lehmann: Ich habe in meinem Leben immer gesagt: Aufgeben ist keine Option. Ich habe Menschen um mich herum, die mich unterstützen würden, wenn es finanziell nicht gehen würde. Gemeinsam sind wir stark ist ein weiser Satz. Also ich halte durch, wenn ich nicht durch andere Dinge ausgeknockt werde. Gesundheit ist das höchste Gut.
Markus Lenzen: Wir sind weiterhin auf die Unterstützung der Gesellschaft angewiesen, auch aus allen Bereichen. Wir merken doch alle, wie sehr uns die Kunst und Kultur fehlt. Seit dem Anfang meiner Karriere liegt ein Schwerpunkt in der Zauberkunst für Kinder. Unsere Kinder kamen in der Krise vielfach zu kurz. Sobald also die Kitas und Schulen wieder öffnen, muss es auch wieder möglich sein, Kultur dort anzubieten – oder eben im kleinen privaten Rahmen. Wir können nicht Monate warten, bis sich alles normalisiert hat. Das Lachen der Kinder wird uns motivieren, in den nächsten Monaten kreative Lösungen zu finden, unkonventionelle Formate umzusetzen.
Thomas Lapp: Wir geben alles, weiterhin durchzuhalten. Man wächst ja schließlich mit seinen Aufgaben, und wenn sich eine Tür schließt, sind wir nie abgeneigt, zu sehen, was sich hinter anderen Türen versteckt.
Martina Schlaucher: Eins ist jedenfalls klar, wir werden weiterhin Musik schreiben und komponieren, und man wird uns auch weiterhin bei den Streaming-Diensten hören können. Diese Zeit sorgt natürlich ordentlich für Songtextmaterial. Wir möchten unseren Fans vorleben, dass wir nicht aufgeben und, egal was kommt, bis zum bitteren Ende kämpfen. Musik zu machen ist unsere Berufung.
Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn der Corona-Spuk vorbei ist?
Sue Lehmann: Treffen mit meinen Liebsten, schöne Gespräche, gemeinsam Lachen und sich in den Arm nehmen, gemeinsames Musizieren, mit meiner Schule Workshops und Auftritte veranstalten. Das Meer besuchen. Konzerte besuchen.
Thomas Lapp: Unbeschwert durch die Stadt zu laufen, sich keinen Kopfstress machen zu müssen, keine Angst mehr zu haben, sich selbst oder andere anzustecken.
Martina Schlaucher: Und natürlich wieder ein Leben in Gemeinschaft mit anderen. Spontan die Koffer packen und quer durch Deutschland Konzerte geben.
Markus Lenzen: Hoffentlich kommt bald der Zeitpunkt, wo man alle Weggefährten der Krise einfach nur mal wieder in den Arm nehmen kann. Und man endlich wieder das Leben eines Künstlers zurückbekommt und nicht täglich im Berg von Anträgen, Förderbescheiden, Ablehnungen, Steuerberater-Terminen, neuen Verordnungen oder zähen Zoom-Konferenzen die Lust an seiner Kunst verliert. Unendlich lange hält man diese Belastung dann auch nicht aus.
Kalibo: Man könnte meinen, wenn der Spuk ein Ende hat, dann freue ich mich am meisten darauf, endlich wieder auf die Bühne zu dürfen – aber das ist nur ein Teil von dem, was ich in den letzten Monaten vermisst habe. Wie so viele sehne ich mich danach, endlich wieder mal ins Theater oder Museum zu können, mich ohne Bildschirm mit Freunden und Kollegen austauschen zu können, am ganz normalen sozialen und kulturellen Leben teilzunehmen. Und auf das Reisen freue ich mich – sei es nun beruflich oder privat.
„Wir möchten unseren Fans vorleben, dass wir nicht aufgeben und, egal
was kommt, bis zum bitteren Ende kämpfen.“
Martina Schlaucher
Sängerin der Gruppe „Perlregen“ „Ich bin manchmal wie gelähmt, das kenne ich nicht von mir. Aber ich weiß ja, dass gerade viele so empfinden.“
Sue Lehmann „Es ist schon ziemlich
deprimierend, zu sehen, wie etwas, das man sich über 20 Jahre recht erfolgreich aufgebaut hat, von einem auf den nächsten
Tag weg ist.“
Kalibo
„Hoffentlich kommt bald der Zeitpunkt, wo man alle Weggefährten der Krise einfach nur mal wieder in den Arm
nehmen kann.“
Markus Lenzen