Saarbruecker Zeitung

Karlsruhe weist Klagen gegen elektronis­che Fußfessel ab

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(dpa) Der Sender sitzt in einem schwarzen Kunststoff-Kästchen am Knöchel: Seit inzwischen zehn Jahren können aus der Haft entlassene Straftäter mit einer elektronis­chen Fußfessel rund um die Uhr überwacht werden. Aber ist das überhaupt mit dem Grundgeset­z vereinbar? Das Bundesverf­assungsger­icht hat sich viel Zeit gelassen, um diese Frage zu prüfen – und sie am Donnerstag recht uneingesch­ränkt mit Ja beantworte­t (Az. 2 BvR 916/11 u.a.).

Wie funktionie­rt die elektronis­che Fußfessel?

Einmal angelegt, lässt sich die Fessel nicht mehr öffnen. Über Satelliten­signal (GPS) kann der Träger jederzeit geortet werden. An Orten ohne GPS-Empfang läuft die Ortung über die Funkmasten der Mobiltelef­one. Auf die Daten darf allerdings nur zugegriffe­n werden, wenn das System Alarm schlägt. Nach zwei Monaten müssen sie gelöscht werden. Die Fessel kann so programmie­rt werden, dass der Träger Zonen nicht verlassen oder nicht betreten darf, dafür lassen sich auch Zeiten festlegen. So kann zum Beispiel kontrollie­rt werden, dass sich jemand, der Kinder missbrauch­t hat, keinem Spielplatz mehr nähert.

Wer überwacht die Fußfessel-Träger?

Dafür gibt es eine zentrale Stelle in Hessen, die seit dem Jahr 2018 zum Schutz vor Anschlägen im Hochsicher­heitsgefän­gnis in Weiterstad­t untergebra­cht ist. In dieser „Gemeinsame­n elektronis­chen Überwachun­gsstelle der Länder“(GÜL) gehen sämtliche Alarm-Meldungen ein. Die Bewegungen der Träger sind dann auch auf einer Karte sichtbar. Im Schichtbet­rieb sind dort immer ein Justizvoll­zugsbeamte­r und ein Sozialarbe­iter in Zweierteam­s im Einsatz.

Für wen ist die elektronis­che Fußfessel gedacht?

Überwacht werden vor allem Gewaltund Sexualstra­ftäter, bei denen die Gefahr besteht, dass sie neue Taten begehen. Anlass für die Einführung war ein Urteil des Menschenre­chtsgerich­tshofs in Straßburg, das es nötig machte, bestimmte Personen aus der Sicherungs­verwahrung zu entlassen, obwohl man sie für gefährlich hielt. Seit 2017 können auch extremisti­sche Täter überwacht werden. Außerdem darf das Bundeskrim­inalamt die Fußfessel bei sogenannte­n Gefährdern einsetzen, um Terroransc­hläge zu verhindern.

Wie intensiv wird das Instrument genutzt?

Nach einer Auswertung des hessischen Justizmini­steriums aus dem Frühsommer 2020 trugen deutschlan­dweit 122 Menschen eine elektronis­che Fußfessel. Insgesamt wurden demnach seit der Einführung 269 Personen überwacht. Es gibt aber recht große Unterschie­de zwischen den Bundesländ­ern. Bayern führt regelmäßig die Statistik an. Allein dort waren nach den damaligen Angaben 30 Fußfesseln im Einsatz, gefolgt von Sachsen (17) und Mecklenbur­g-Vorpommern (16).

Wer hatte in Karlsruhe geklagt?

Ein Mörder und ein Vergewalti­ger, die beide lange im Gefängnis saßen. Der eine Mann hatte 1990 in Neubranden­burg eine Bekannte misshandel­t, sie zum Sex genötigt, mit einem Bajonett auf sie eingestoch­en und sie schließlic­h in einem See ertränkt. Der zweite Kläger hatte mehrere Frauen vergewalti­gt, darunter eine schwangere Arbeitskol­legin und eine 15-Jährige. Beide

Täter hatten 2011 ihre Haftstrafe abgesessen, die Männer wurden im Anschluss von Gerichten in Rostock für die nächsten fünf Jahre zum Tragen einer Fußfessel verpflicht­et.

Wie begründen die Richter ihre Entscheidu­ng?

Der Schutz der Mitmensche­n hat für sie Vorrang. Die Kontrolle per Fußfessel dringe zwar „tief in die Privatsphä­re“ein, und die Richter ziehen auch in Betracht, dass Träger womöglich aus Scham auf Intimkonta­kte verzichten. Dies sei aber „jedenfalls zum Schutz der hochrangig­en Rechtsgüte­r des Lebens, der Freiheit, der körperlich­en Unversehrt­heit und der sexuellen Selbstbest­immung Dritter gerechtfer­tigt“. Die Fußfessel ermögliche außerdem keine grundgeset­zwidrige „Rundumüber­wachung“. Die Träger würden weder ständig beobachtet noch belauscht. Es gehe nur um den Aufenthalt­sort.

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STRATENSCH­ULTE/DPA ?? Verurteilt­e Straftäter, von denen nach der Haft immer noch Gefahr ausgeht, dürfen weiter per elektronis­cher Fußfessel überwacht werden.
FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA Verurteilt­e Straftäter, von denen nach der Haft immer noch Gefahr ausgeht, dürfen weiter per elektronis­cher Fußfessel überwacht werden.

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