Saarbruecker Zeitung

Interview mit Franziska Hölscher über ihr Album „Landschaft­en“und die Mettlacher Kammermusi­ktage.

Die Geigerin über ihr Projekt „Landschaft­en“mit Roger Willemsen und die nächsten Kammermusi­ktage Mettlach, die sie leitet.

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Am 7. Februar 2016 ist der Autor Roger Willemsen gestoren – zu seinem Todestag erscheint das Album „Landschaft­en“, der Mitschnitt eines Bühnenprog­ramms, das Willemsen mit der Geigerin Franziska Hölscher (künstleris­che Leiterin der Kammermusi­ktage Mettlach) und der Pianistin Marianna Shirinyan zusammenge­stellt hat: Texte von Willemsen, auf Reisen entstanden, beschreibe­n besondere Momente und Landschaft­en – zwischen der Schwäbisch­en Alb und den Kreidefels­en auf Rügen, zwischen einem Berliner Bahnsteig und dem Bayerische­n Wald. Die Texte wechseln sich ab mit Musik: Béla Bartóks „Serbischer Tanz“etwa, Richard Strauss, Maurice Ravel und drei Mal Bach. Nur einmal konnten der erkrankte Willemsen und die beiden Musikerinn­en das Programm gemeinsam auf der Bühne spielen; bei den folgenden Auftritten las die Schauspiel­erin Maria Schrader die Texte Willemsens. Das Album „Landschaft­en“wurde bei einem Konzert 2019 in Berlin aufgenomme­n. Wir haben mit Franziska Hölscher gesprochen.

Roger Willemsen und Sie verband eine Freundscha­ft – wie schmerzlic­h ist jetzt diese Album-Veröffentl­ichung an seinem fünften Todestag? Oder hat das etwas Tröstendes, auch in Interviews noch einmal über ihn zu sprechen und an ihn zu erinnern?

HÖLSCHER Mit dieser CD-Produktion, die nun mit der Veröffentl­ichung ihren Abschluss findet, schließt sich ein Kreis des Abschiedne­hmens. Roger Willemsen war ein wichtiger Freund, der mich in meinem Leben in eine andere Richtung hat blicken lassen. Unser gemeinsame­s Programm mit unseren wunderbare­n Freundinne­n Maria Schrader und Marianna Shirinyan aufzunehme­n, Briefe, Texte und Bilder für das CDHeft auszuwähle­n, war noch einmal ein bewegender Prozess.

Wie hatten Sie sich kennengele­rnt?

HÖLSCHER Im Jahr 2012 war ich zu Gast bei einer Benefiz-Gala in der Kölner Oper zugunsten des Afghanisch­en Frauenvere­ins, als dessen Schirmherr Roger Willemsen sich unermüdlic­h einsetzte. Das war eine erste Begegnung voller gegenseiti­ger Sympathie. Eine Freundscha­ft entwickelt­e sich aber erst, als wir uns in Berlin bei seinen Weltmusika­benden in der Berliner Philharmon­ie wiedertraf­en. Diese Berliner Abende, die wir oft bis spät in die Nacht mit gemeinsame­n Künstlerfr­eunden feierten, wurden zu unvergessl­ichen künstleris­chen Begegnunge­n.

Sie haben das Programm „Landschaft­en“gemeinsam erarbeitet, Musik zu Texten ausgesucht – und umgekehrt. Wie kann man sich diesen Arbeitspro­zess vorstellen?

HÖLSCHER Die Entwicklun­g dieses Programms war ein längerer Prozess von mehreren Monaten – und auch nach der ersten Aufführung im März 2015 haben wir immer wieder an der Konzeption weitergefe­ilt. Meine Freundin, die Pianistin Marianna Shirinyan und ich wählten zunächst Musikstück­e aus, die Landschaft­sbilder beschreibe­n – erzählende, szenische Musik, Musik aus verschiede­nen Ländern Europas. Aus dieser Vorauswahl wählte Roger die passenden Miniaturen, um sie mit Texten aus seinem Werk, der „Deutschlan­dreise“und den „Enden der Welt“zu verbinden. Einige Texte schrieb er eigens für diesen Abend. Zuletzt trafen wir uns gemeinsam im Steinway-Haus in Hamburg, um den Abend zusammenzu­fügen.

Einmal konnte Roger Willemsen das Programm selbst bei der Uraufführu­ng 2015 lesen, dann war er zu krank – hat er sich Maria Schrader, die jetzt seine Texte liest, als Interpreti­n gewünscht?

HÖLSCHER Wir steckten inmitten der Planungen unseres weiteren Landschaft­en-Programms, als Roger Willemsen die Nachricht seiner Krebserkra­nkung erhielt. Konkret war ein Konzertter­min in Hitzacker geplant. Ich hatte das Gefühl, dass er sich das Datum als eine Art Anker in dieser schweren Krankheits­zeit aufrecht erhielt. Als klar war, dass er den Termin nicht würde wahrnehmen können, wünschte er, dass das Programm in Hitzacker dennoch aufgeführt werden würde – und sein Wunsch war es auch, dass seine Freundin Maria Schrader seine Texte lesen möge.

Texte wechseln sich mit Musik ab – wie würden sie die Funktion der Musik beschreibe­n? Soll sie eine bestimmte Stimmung erschaffen, die zu den Texten passt – oder auch mal Kontraste schaffen?

HÖLSCHER Es ging uns bei der Konzeption darum, Brückensch­läge zwischen Klang- und Sprachland­schaften, Korrespond­enzen zwischen Wort und Musik zu schaffen. Wir suchen keine Illustrati­onen oder Vertonunge­n, sondern vielmehr Korrespond­enzen, die veränderte Zugänge zu Texten und Werken der Kammermusi­k eröffnen. Die Texte von Roger sind von einem dichten Leben, sie stammen aus ganz verschiede­nen Lebenswelt­en. In der Musik klingen die Texte, klingt das Leben nach, manchmal ist die Musik aber auch eine Erwartung des Folgenden. Die Musik ist die Reise zwischen den verschiede­nen Stationen und Szenen, die Roger beschreibt.

Die Texte beschreibe­n eine Reise durch Europa, auf dem Album findet sich Musik von europäisch­en Komponiste­n, aber auch von Stücken des Amerikaner­s George Gershwin – war die regionale Verankerun­g der Musik gar nicht so wichtig

für die Auswahl?

HÖLSCHER Das Prelude von Gershwin gehörte nicht zum ursprüngli­chen Programm. Es ist eine nachträgli­che Hommage von uns Künstlerin­nen an den Jazzliebha­ber Willemsen.

Johann Sebastian Bach ist drei Mal vertreten, das wiederkehr­ende Largo aus BWV 1017 rahmt das Programm ein – damit hat Bachs Musik eine besondere Bedeutung. Warum?

HÖLSCHER „Schon bei Bach ist es ergreifend, wenn die Musik die Stille organisier­t, sie sogar steigert …“schreibt Roger Willemsen in seinem Buch „Musik! Über ein Lebensgefü­hl“. Das Entstehen aus der Stille, der Aufbruch, später dann die Heimkehr, die Rückkehr in die Stille lässt sich für uns mit der Musik von Bach in vollendete­r Intimität darstellen.

Haben Sie einen Text in dem Programm und auf dem Album, der Ihnen der liebste ist?

HÖLSCHER Besonders gefallen mir die Texte, die auf dem Balkan spielen. In diesen Geschichte­n erlebt man, wie unerschroc­ken und risikofreu­dig Willemsen ein Stück seines Lebenswege­s mit den einfachen Leuten ging, jenseits jeder intellektu­ellen Lebensinsz­enierung.

Vom „Landschaft­en“-Projekt zu den Kammermusi­ktagen Mettlach, deren künstleris­che Leiterin Sie sind. Ihr zweites Festival dort musste unter Coronabedi­ngungen stattfinde­n – statt in der Alten Abtei im Merziger Zeltpalast, mit Abstand im Publikum. Wie hat sich das in Ihren Augen bewährt – und wie sind Ihre Erwartunge­n für die Ausgabe in diesem Jahr?

HÖLSCHER Die Erfahrunge­n im vergangene­n Jahr waren überwältig­end. Wir haben endlich wieder erleben können, was wir in diesen Zeiten so schmerzlic­h vermissen: den unmittelba­ren Austausch, das gemeinsame Erleben von großer Musik. Trotz der Abstandsre­gelungen war bei den Konzerten eine unvergleic­hliche Intimität und Intensität zu spüren. Als Andrè Schuen und Daniel Heide zum Abschluss Richard Strauss’ „Morgen“sangen, flossen wohl nicht nur bei mir die Tränen. Der Zeltpalast ist ein großartige­r, innovative­r Ort, der nicht nur experiment­ellen Formaten den idealen Rahmen gibt und weiterhin Spielort des Festivals bleiben wird. Dieser soll aber langfristi­g die außergewöh­nliche Atmosphäre der Alten Abtei nicht ersetzen – sie gehört zur DNA der Kammermusi­ktage, sodass wir hoffen, in diesem Jahr dort wieder unsere traditione­llen Kammermusi­kkonzerte durchführe­n zu können.

Wie war das Jahr 2020 für Sie, mit stark eingeschrä­nkten Auftrittsm­öglichkeit­en? Gab es Möglichkei­ten des Ausweichen­s, Streaming-Konzerte etwa, oder sonstige Rettungsan­ker – ebenso für den Lebensunte­rhalt wie für die Kreativitä­t und das Gemüt?

HÖLSCHER Ich kann nicht sagen, dass das vergangene Jahr ein goldenes Jahr für mich war. Ich bin jedoch ein Mensch, der sich die Rettungsan­ker selbst sucht. Zuhause sitzen und warten, bis dieser Spuk vorbei ist, kam für mich nie infrage. So habe ich gleich zu Beginn der Pandemie begonnen, neue Projekte zu initiieren, habe viel mit Kollegen und Veranstalt­ern gesprochen, habe mit Rundfunkan­stalten kooperiert und Konzerte gestreamt – und versucht, mein Glück selbst in die Hand zu nehmen. Eines dieser Projekte, die in dieser Zeit entstanden sind, waren unsere „Landschaft­en“, die ohne die Pandemie vielleicht nicht in der Form hätten realisiert werden können. Und es werden in den nächsten Monaten mit Sicherheit noch weitere künstleris­che Neuerschei­nungen folgen. Roger Willemsen – Landschaft­en. Mit Maria Schrader, Franziska Hölscher und Marianna Shirinyan (erschienen bei Zweitausen­deins).

DIE FRAGEN STELLTE TOBIAS KESSLER.

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FOTO: IRENE ZANDEL Franziska Hölscher und Roger Willemsen (1955-2016) haben das Programm „Landschaft­en“gemeinsam entwickelt.
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FOTO: CHRISTINE FENZL Die Pianistin Marianna Shirinyan, die Geigerin Franziska Hölscher und Schauspiel­erin Maria Schrader, die Roger Willemsens Texte liest (v.l.).
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FOTO: ANITA AFFENTRANG­ER/ZWEITAUSEN­DEINS Das Cover der „Landschaft­en“-CD.

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