Käufer stehen auf riesige Bildschirme statt PS
Anstelle von Tasten und Schalter bauen die Hersteller in ihre neuen Autos immer mehr und immer größere Bildschirme ein. Was an Ergonomie auf der Strecke bleibt, soll künstliche Intelligenz kompensieren.
im Elektromodell iX Premiere feiern. Nach ersten Fotos zu urteilen, setzt es ebenfalls auf einen XXL-Bildschirm statt vieler Knöpfe, selbst wenn dieser nur bis knapp über die Mitte des Wagens reicht.
Es geht der Automobilbranche aber nicht allein um die Bildschirmoberfläche, die beim Mercedes rekordverdächtige 2,5 Quadratmeter misst, sondern auch um die Darstellungstiefe. Um da zu punkten, entdecken Hersteller und Zulieferer sogar die dritte Dimension. In der neuen Mercedes S-Klasse erscheinen Navigationsgrafiken, die auch ohne spezielle Brille dreidimensional wirken.
Zulieferer Continental fing zur CES mit einem gemeinsam mit dem US-Start-up Leia entwickelten 3-D-Display buchstäblich die Blicke. Denn auf dem laut dem Unternehmen bis 2022 serienreifen Bildschirm wachsen Stadtszenen förmlich aus der Navigationskarte, Anrufer werden als beinahe greifbare Animationen visualisiert und statt einfacher Warnhinweise stehen bei Gefahr plötzlich Stopp-Schilder im Raum.
Mit den ausufernden Bildschirmlandschaften profitiert endlich auch der Beifahrer von der schönen neuen Infotainment-Welt. Denn während es für Hinterbänkler schon immer eigene Bildschirme gab, blieb der Beifahrer bis dato weitgehend vom Unterhaltungsprogramm ausgeschlossen. Einzig sogenannte Dual-View-Bildschirme, die je nach Blickwinkel unterschiedliche Bilder zeigten, haben ein wenig Abhilfe geschaffen, konnten sich aber nie so recht durchsetzen.
Jetzt dagegen muss der Beifahrer nicht mehr zur Seite starren, auf optische Tricks vertrauen oder sich mit winzigen Anzeigen wie etwa bei Ferrari begnügen. Im Porsche Taycan zum Beispiel gibt es für ihn einen gleichberechtigt großen Bildschirm. Und im Byton M-Byte oder auf dem Hyperscreen des Mercedes EQS hat er seinen eigenen Elektronikbereich.
Allerdings muss man nicht in der elektrischen Oberklasse unterwegs sein, wenn man als Beifahrer auf den Bildschirm schauen will. So hat etwa der neue Citroën C4 ein eher konventionelles Cockpit, überrascht aber mit einer pfiffigen Schublade über dem Handschuhfach, in der sicher und für den Fahrer unsichtbar ein Tablet-Computer zur Unterhaltung befestigt werden kann.
Die fortschreitende Digitalisierung sorgt für reichlich Kurzweil und in den Augen von Designern wie Gorden Wagener auch für eine neue, zeitgemäße Ästhetik. Nicht umsonst hat sein Team für den EQS zahlreiche neue Grafik- und Farbwelten komponiert und den Bildschirm entsprechend inszeniert. Dieser Trend ruft aber auch Kritiker auf den Plan. Die Fokussierung auf Touchscreens fördere die Ablenkung, hat etwa das Oberlandesgericht Karlsruhe geurteilt und den Bildschirm eines Tesla auf die gleiche Stufe gestellt wie ein Handy. Und der Verzicht auf allzu viele Schalter erschwert die Bedienbarkeit.
Davon können aktuell vor allem die Käufer des neuen VW Golf ein (Klage-)Lied singen. Denn nachdem der Hersteller fast alle Taster durch Sensorfelder, Slider (virtuelle Schieberegler) und Bildschirme ersetzt und sich für einige Bedienelemente auch noch die Beleuchtung gespart haben, wird der Bestseller in vielen Tests als schier unbedienbar kritisiert.
Dabei müsse die Sicherheit aus Sicht der Ergonomie immer an erster Stelle stehen, sagt Guido Meier-Arendt, der beim Zulieferer Continental die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine (HMI) erforscht. Ein wichtiges Ziel bleibe eine ablenkungsfreie Interaktion. „Solange der Fahrer die Verantwortung trägt, muss seine Aufmerksamkeit auf dem Straßenverkehr verbleiben“, sagt der Entwickler und fordert, dass sicherheitskritische Funktionen wie etwa die Scheibenwischer, der Warnblinker oder das Licht deshalb immer mit physischen, feststehenden Bedienelementen zu aktivieren sind.
„Die Nutzergewohnheiten verändern sich“, gibt der HMI-Experte mit Blick auf die Generation Smartphone zu bedenken. „Daher muss die Bedienung moderner Fahrzeuge flexibel sein, um diesen Gewohnheiten dauerhaft entsprechen zu können.“Es gebe nicht mehr die eine richtige Bedienphilosophie, sondern der Schlüssel für eine attraktive und damit begeisternde Bedienung sei die Mischung aus Haptik auf Tasten und Touchscreen, Sprache, Gestik oder Mimik. Und die Kunst für die Entwickler liege darin, die Übergänge so fließend wie möglich und die Menüs so einfach wie möglich zu gestalten.
Mit besonders einfachen Menüs will Chefprogrammierer Sajjad Khan auch den Hyperscreen von Mercedes-Benz und seine unzähligen neuen Möglichkeiten beherrschbar machen. Dabei setzt er vor allem auf künstliche Intelligenz. Mit jedem Kilometer lernt das System die Vorlieben, Gewohnheiten und Routinen von bis zu sieben Fahrern genauer kennen und schlägt je nach Anlass automatisch bestimmte Bedienschritte vor. So liefert es selbstständig maßgeschneiderte, personalisierte Bedien-Angebote.