14 Automarken unter einem Dach
Menschen machen Geschichte. Das trifft auch für die Automobilgeschichte zu. Dass es hier überwiegend Männer sind, hat historische Gründe: Zu Zeiten von Daimler und Benz, von Otto und Diesel war Frauen der Zugang zu technischen Berufen verwehrt. Das ist er heute nicht mehr, aber mit Ausnahme von Mary Barra, die seit 2014 den US-Konzern General Motors leitet, hat es bisher keine Frau an die Spitze eines namhaften Automobilherstellers geschafft.
So ist denn die aktuelle Vereinigung des italienisch-amerikanischen Herstellers FCA mit dem französischen Unternehmen PSA zum Konzern Stellantis („mit Sternen besetzen“) mit Firmensitz in Amsterdam erneut die Stunde eines Mannes: des Portugiesen Carlos Tavares. Seit 2014 PSA-Vorstandsvorsitzender hat er 2017 zu den drei französischen Marken Citroën, DS und Peugeot den deutschen Traditionshersteller Opel samt dessen englischen Ableger Vauxhall von General Motors erworben.
Die Herausforderung ist diesmal ungleich größer. Denn zu seinem bisherigen überschaubaren europäischen Reich mit Ablegern in
Südamerika, Nordafrika und China kommen jetzt namhafte Provinzen in Italien und Nordamerika hinzu – in Form der Pkw-Marken Abarth, Alfa Romeo, Chrysler, Dodge, Jeep, Fiat, Lancia, Maserati und Ram. Es gibt neue Möglichkeiten, mit gleichen Plattformen und Triebsträngen wirtschaftlichere und höhere Stückzahlen zu erreichen. Es entstehen aber auch Überschneidungen der Modellprogramme, die nach Möglichkeit nicht zu Konkurrenz im eigenen Haus führen sollen.
Nehmen wir zwei Beispiele: Im Kleinstwagensektor geht eine Zusammenarbeit mit Toyota in Tschechien ihrem Ende entgegen. Die Japaner haben Anfang des Jahres das Werk Kolin ganz übernommen und neben dem Trio Citroën C1, Peugeot 108 und Toyota Aygo schon mit dem Bau des Vier-Meter-Autos Yaris begonnen. Hier ist absehbar, dass Stellantis die nächste Generation von C1 und 108 auf den Plattformen des Fiat 500 aufbaut, den es vollelektrisch und als Mildhybrid mit sparsamem Verbrennungsmotor gibt. Das ist zudem eine Gelegenheit, Opel nach der schmerzlichen Einstellung von Adam und Karl wieder ein kleines Einstiegsmodell zu verschaffen.
Am oberen Ende der Preisskala müssen die Premiummarken Alfa Romeo, DS und Maserati unter ein Dach gebracht werden. Wie das geschehen soll, ist vorerst ein Tavares-Geheimnis. DS ist noch im Aufbau
und bringt soeben mit dem DS 9 eine neue französische Staatskarosse auf den Markt. Der Nationalstolz unserer westlichen Nachbarn wird dagegen stehen, die bisher noch nicht profitable Marke sangund klanglos einzustellen.
Aber auch Alfa Romeo und Maserati verkaufen sich derzeit nicht so, wie ihre klangvollen Namen erwarten lassen. Da wird John Elkann, Enkel der Fiat-Legende Giovanni Agnelli und Stellantis-Aufsichtsratsvorsitzender, seine Hände schützend über die italienischen Ikonen halten müssen. Freunde des Automobilbaus südlich der Alpen träumen gar aus gegebenem Anlass von einer Lancia-Wiedergeburt, einer Marke, die sich auf dem Stiefel einer treuen Schar von Käufern beiderlei Geschlechts erfreut, obwohl sie derzeit nur ein einziges Modell anbietet: den Luxus-Kleinwagen Ypsilon.
Der 62-jährige Stellantis-Chef ist studierter Ingenieur und begeisterter Langstrecken-Rennfahrer. Einem solchen Menschen sind leidenschaftliche Entscheidungen aller Art durchaus zuzutrauen, so sie denn auf Dauer gewinnträchtig erscheinen. Am ersten Tag der offiziellen Fusion sagte Tavares: „Alle Marken und alle Werke werden eine Chance bekommen.“