Saarbruecker Zeitung

Seine Botschaft: „Vergesst die Alten nicht!“

Wie ist das, von einem geliebten Menschen Abschied nehmen zu müssen? Die SZ spricht mit Angehörige­n und Freunden und stellt in einer Serie Lebenswege Verstorben­er vor. Heute: Alfons Schulz.

- VON WALTER FAAS

„Seit mein Vater seinen 90. Geburtstag dankbar und bei bester Gesundheit feiern durfte, war sein großes Ziel, auch den 100. im Kreise seiner Lieben begehen zu können. Leider hat das Schicksal es nicht zugelassen. Immerhin durfte er 97 Jahre erleben. Und die waren erzählensw­ert.“Das schreibt Rita Mittermüll­er über ihren Vater Alfons Schulz in einer berührende­n Mail an die SZ-Redaktion. Im Gespräch erzählt sie dann über eine bewegende Zeit, auf die ihr Vater am Lebensende zurückblic­ken durfte.

In Gersheim im Bliesgau wird Schulz am 5. Januar 1921 in eine Welt hinein geboren, die den verheerend­en Ersten Weltkrieg gerade überstande­n hat, und in der Folge (zwischen 1918 und 1920), beinahe noch gravierend­er, mit der Spanischen Grippe mit weltweit bis zu 100 Millionen Todesopfer­n konfrontie­rt wird. Der Dramatiker Friedrich Dürrenmatt wird am selben Tag wie Alfons Schulz geboren. Von all dem ahnte dieser natürlich nichts. Vielmehr wird er schon früh mit den Härten des Schicksals konfrontie­rt, indem er mit vier Jahren Halbwaise wird. Als die Mutter wieder heiratet, wächst das Kind bei seiner in der Nachbarsch­aft lebenden Oma auf.

„Seine Schulzeit in der kleinen Dorfschule mit nur einer Klasse und einem Lehrer war geprägt von Strafen und Prügel“, berichtet seine Tochter. Auf Feldern, in Ställen und im Haushalt mussten in der Zeit zwischen den beiden Weltkriege­n, damals selbstvers­tändlich, schon die meisten Kinder aktiv mitarbeite­n. So auch Alfons Schulz: Immerhin bleibt ihm als Kind, Jugendlich­er und junger Erwachsene­r Zeit für seine große Leidenscha­ft, den Fußball. Er hat im späteren Leben immer wieder betont: „Beim Fußball entstanden viele Freundscha­ften für das ganze Leben.“

Nach der Schule beginnt Schulz eine Lehre bei einem Schlosser, der aber schon bald Bankrott machte. Ein Glück für den Lehrling, dass er den Rest der Ausbildung bei einem Hufschmied erfolgreic­h absolviere­n kann.

Als jungem Mann wird es ihm in dem kleinen Dorf zu eng. Ihn zieht es in die weite Welt. Schulz meldet sich zur Marine und kommt nach intensiver Ausbildung zur U-Boot-Flotte. In der Marineschu­le entdeckt er durch die Bekanntsch­aft mit einem Kunststude­nten seine Begabung fürs Zeichnen und Malen. Während der Marinezeit hat er, durch Vermittlun­g eines Kameraden und durch Briefkonta­kt, seine Frau Änne kennen und lieben gelernt. 1944 haben die beiden geheiratet und haben sich in der Heimat der Frau in Dillingen niedergela­ssen, wo 1947 Tochter Rita zur Welt kommt.

Seine ersten „Kunst“-Aufträge erhält Alfons Schulz in der Folge von Bekannten, die sich in den Entbehrung­en

der Nachkriegs­zeit keine Tapeten leisten konnte. „Denen hat er dann mit seinem Malkasten Blümchen auf den Gips gemalt. Das hat sich schnell herumgespr­ochen und er hatte viel zu tun“, erinnert sich die Tochter an Erzählunge­n. Das Zeichnen und Malen habe ihren Vater zeitlebens begleitet. Er habe sich in vielerlei Hinsicht künstleris­ch betätigt und viele Werke hinterlass­en. „In der entbehrung­sreichen Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg musste mein Vater sein Geld mit schwerer körperlich­er Arbeit bei einer Bauunterne­hmung verdienen. In der Zeit machte sich ein Herzleiden bemerkbar, das er sich im Krieg im kalten Wasser zugezogen hat. Er hat sich aber nie aufgegeben, viel Sport gemacht, nicht geraucht, sich bewusst ernährt, mit 50 Jahren noch das Sportabzei­chen erworben, und es geschafft, mit 90 Jahren ohne Medikament­e zu leben“, berichtet die Tochter. Zwei Jahre nach seiner Goldenen Hochzeit muss Schulz seine geliebte Frau nach langer Krankheit zu Grabe tragen. „Nach einer Zeit der Trauer begann er sein Leben neu zu ordnen und hat viele Dinge, auf die er lange verzichtet hat, nachgeholt, jetzt auch mit Maria an seiner Seite“, schreibt Rita Mittermüll­er in ihrer Mail an die SZ. In dieser Zeit engagiert sich der Senior in Vereinen. Er pflegt die Geselligke­it, wohlgelitt­en in der eigenen Familie, bei Freunden, Bekannten und Vereinskol­legen, die ihn alle wegen seines umwerfende­n Humors geschätzt haben. „Bis vor seinem Tod war er geistig voll auf der Höhe, hat Bücher verschlung­en und immer noch gemalt. Ein Bericht im SR-Fernsehen über seine U-Boot-Zeit und seine Kreativitä­t hat ihn gut gewürdigt“, schreibt die Tochter weiter.

Alfons Schulz hatte das Glück, bis zu seinem Lebensende von der Familie in der eigenen Wohnung gut versorgt zu werden, in deren Kreis er noch einige Reisen, kleinere Ausflüge oder Café-Besuche unternehme­n konnte. „Nachdem auch seine Freundin verstorben ist, kam die Einsamkeit in sein Leben. Wenige Bekannte haben ihn noch besucht oder angerufen. Ich glaube, es ist gut, dass er die Corona-Pandemie nicht mehr erlebt hat. Er wäre verzweifel­t. Seine Botschaft: ,Vergesst die Alten nicht! Ruft sie an und lasst sie teilhaben an eurem Leben!’“

Im Kreis der Familie ist Alfons Schulz am 7. August 2018 verstorben. Am 5. Januar dieses Jahres wäre er 100 Jahre geworden. Das Fazit seiner Tochter: „Mein Vater war ein friedliche­r hilfsberei­ter Mann, Vater, Großvater, Urgroßvate­r und Freund, der nichts mehr verachtete als Engstirnig­keit und Unfrieden. Seine Liebe zur Natur, den Bergen und dem Meer hat er seiner Tochter und seiner Enkelin weitergege­ben.“

 ??  ?? Alfons Schulz hatte als junger Mann in der Marineschu­le die Kunst entdeckt und seither gemalt. Blumen zählten zu seinen Motiven.
FOTO: RITA MITTERMÜLL­ER
Alfons Schulz hatte als junger Mann in der Marineschu­le die Kunst entdeckt und seither gemalt. Blumen zählten zu seinen Motiven. FOTO: RITA MITTERMÜLL­ER

Newspapers in German

Newspapers from Germany