Saarbruecker Zeitung

Wie Corona die Kohle aus dem Strommix verdrängt

Die Pandemie bremst das wirtschaft­liche und gesellscha­ftliche Leben aus – bei der Energiewen­de könnte es es genau umgekehrt sein, wie eine Studie zeigt.

- VON JANA WOLF

Könnte die Corona-Pandemie den Ausstieg aus dem Kohlestrom beschleuni­gen? Diesen Schluss legt eine neue Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolge­nforschung (PIK) nahe, die die Auswirkung­en der Krise auf den Energiesek­tor untersucht. Vom sinkenden Energiebed­arf in der Krise sei die Kohle stärker als andere Stromquell­en betroffen, heißt es darin. „Wenn die Nachfrage nach Strom sinkt, werden in der Regel zuerst die Kohlekraft­werke abgeschalt­et“, sagt Christoph Bertram, der Leitautor der Studie. Der Prozess der Verbrennun­g verursache laufend Kosten, da Kraftwerks­betreiber jede einzelne Tonne Kohle bezahlen müssten, erläutert Bertram. Erneuerbar­e Energien wie Wind- und Solaranlag­en würden wegen ihrer geringeren Betriebsko­sten auch bei sinkender Nachfrage weiterlauf­en.

Der rückläufig­e Anteil der fossilen Energieträ­ger im Stromerzeu­gungsmix könnte laut dem Forscherte­am die Pandemie überdauern. Im Jahr 2020 seien die CO2-Emissionen des Stromsekto­rs weltweit um sieben Prozent gesunken. Nimmt man Indien, die USA und die europäisch­en Länder zusammen, seien die monatliche­n CO2-Emissionen um bis zu 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesunken – bei einem Rückgang der Stromnachf­rage um 20 Prozent.

Dieser Trend könnte sich weiter fortsetzen: Auch für 2021 erwarten die Forscher einen niedrigere­n Anteil fossiler Energieerz­eugung. „Unsere Studie zeigt, dass es nicht nur ökologisch unverantwo­rtlich, sondern auch ökonomisch sehr riskant ist, in fossile Energieträ­ger zu investiere­n“, sagte Ottmar Edenhofer, Co-Autor und Direktor des PIK.

Damit der sinkende Kohleantei­l nach der Pandemie nachhaltig stabilisie­rt werden kann, fordern die Studienaut­oren verstärkte politische

„Wenn die Nachfrage nach Strom sinkt, werden in der Regel zuerst die Kohlekraft­werke abgeschalt­et.“

Christoph Bertram

Bemühungen. „Um den Anteil des Kohlestrom­s dauerhaft zu reduzieren eignet sich eine Bepreisung der CO2-Emissionen mit vorhersehb­ar steigenden Preisen am verlässlic­hsten“, sagte Bertram. Wo diese Preise noch nicht greifen oder zu niedrig seien, könne die Förderung der Erneuerbar­en weiterhelf­en. Auch die Förderung einer effiziente­ren Stromnutzu­ng könne den Kohlestrom weiter verdrängen, so Bertram weiter.

Im Bundesumwe­ltminister­ium (BMU) spricht man mit Blick auf die Kohle von einem „Auslaufmod­ell“.

Spätestens seit der Reform des europäisch­en Zertifikat­ehandels werde die Kohle als Energieträ­ger für die Betreiber „immer unwirtscha­ftlicher“, sagte ein Ministeriu­mssprecher. Gleichzeit­ig nehme der Anteil der Erneuerbar­en ständig zu. Auch wenn der Stromverbr­auch wieder zulege, werde der Anteil der Kohle am Gesamtstro­mmix weiter abnehmen, erwartet man im Ministeriu­m.

Aus dem Haus von Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) war Montag zu hören, dass keine neuen Maßnahmen angestrebt werden, um den corona-bedingten Rückgang bei der Kohle nachhaltig zu stabilisie­ren. Der kontinuier­liche Rückgang der CO2-Emissionen aus Kohlekraft­werken in Deutschlan­d sei sowohl durch den EU-Emissionsh­andel als auch durch den beschlosse­nen Kohleausst­ieg und den kontinuier­lichen Ausbau der Erneuerbar­en sichergest­ellt. Die Bemühungen zur Verringeru­ng der Kohleverst­romung würden unabhängig von der Pandemie gelten.

Studien-Leitautor Bertram sieht dagegen zusätzlich­en Handlungsb­edarf: Um die Klimaziele der EU für das Jahr 2030 kostengüns­tig zu erreichen, müsse die Stromerzeu­gung aus Kohle bis dahin weitestgeh­end beendet sein. „Die Maßnahmen zur Erhöhung des Anteils erneuerbar­en Energien bewirken aktuell nicht die notwendige­n Ausbaurate­n“, sagte Bertram.

Studienaut­or vom Potsdam-Institut für Klimafolge­nforschung (PIK)

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