Saarbruecker Zeitung

Neuer Chef präsentier­t Programm für Völklinger Hütte

Der neue Chef des Völklinger Weltkultur­erbes stellt 2021 Musikvideo­s aus. Ein Blick auf Ralf Beils erstes Programm.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

Das Völklinger Weltkultur­erbe will keine Insel mehr sein. „Ich verstehe die Hütte nicht mehr insular“, sagt Ralf Beil, seit Mai 2020 Generaldir­ektor der Hütte, und beschreibt damit den augenfälli­gsten Bruch mit der Ära seines Vorgängers Meinrad Maria Grewenig. Der war berühmt-berüchtigt für seine Abschottun­gspolitik gegenüber hiesigen Kulturakte­uren. Für letztere lässt Beil nun die Zugbrücken herunter, stellt der Musikhochs­chule oder dem Staatsthea­ter das Top-Label des Weltkultur­erbes und dessen Räume für eigene Reihen zur Verfügung.

Kostenlos, aber nicht uneigennüt­zig, denn das Ergebnis ist ein deutlich ausgeweite­tes Sommer-Outdoor-Angebot, das mehr Zuschauer-Frequenz bringt: „Das Weltkultur­erbe hat nicht wirklich viel Geld übrig, um Programm zu machen“, sagt Beil, „wir können nicht einfach mal so die Staatskape­lle Dresden einladen“. Der Kulturmana­ger legt Wert darauf, dass die Hütte nicht als „Vermieter einer Event-Location“wahr genommen wird: „Wir gehen Partnersch­aften ein, von denen (...) beide etwas haben.“Die Programme entstünden in engem Austausch mit dem WKE. „Mir geht es nicht um regionale Nabelschau“, sagt Beil, „wir haben hier schlicht starke Akteure, die wir sichtbar machen können.“Die Kultusmini­sterin darf frohlocken: Damit folgt der Neue in Völklingen eins zu eins deren kulturpoli­tischen Vorgaben in Sachen Synergie und Vernetzung. Nebeneffek­t: Sowas spart Kosten und beglückt die hiesige Klientel.

Und was steht sonst noch an? Als neues Format führt Beil das „Future Lab“ein, ein Ding zwischen Installati­on und Diskussion­sforum. Das „Future Lab 1“überlässt Beil dem Projekttea­m der „IBA der Großregion“(die SZ berichtete), dann folgt noch 2021 die zweite Ausgabe mit der Kunsthochs­chule. Selbst kuratorisc­h tätig wird Beil an zwei Stellen und setzt damit Traditions­linien fort. Für die in der Hütte seit Jahren gepflegte Gattung Fotografie engagiert er Michael Kerstgens. Ab April sieht man „1986. Zurück in die Zukunft“; für Beil sind die Alltags-Fotografie­n des Künstlers – er ist in Darmstadt Professor für Fotografie – ein „wunderbare­s Zeitzeugni­s“des Jahres, in dem die Völklinger Hütte still gelegt wurde: „Überall in Deutschlan­d wird in dieser Zeit der

Wandel von der Industrie- zur Dienstleis­tungs- und Freizeitge­sellschaft spürbar, für den die Schließung der Völklinger Hütte exemplaris­ch steht. Genau diesen Wandel hat Kerstgens fotografie­rt.“

Das eigentlich­e Großprojek­t kommt erst im Herbst, wie üblich in der Gebläsehal­le: „The World of Music Video“. Hier sollen sich

Beils inszenator­isches Geschick und seine Linie erstmals in Gänze offenbaren. „Wir werden versuchen, das Ganze so immateriel­l wie möglich zu gestalten.“Beil verspricht eine „eigene Choreograp­hie“für die

60 bis 100 Monitore und Leinwände, von denen einige bis zu vier Meter

breit sein werden. Präsentier­t werden exemplaris­che Musikvideo­s zwischen 1975 und heute, die besten sind laut Beil „Gesamtkuns­twerke, mit Zitaten aus Kunst, Film und Literatur sowie Anspielung­en auf Weltgeschi­chte und Zeitgesche­hen“.

Die Gebläsehal­le ist für ihn „ein starker, richtiger Ort, um Musik auszustell­en, dort funktionie­ren bewegte Bilder. Ich habe mich übrigens unter anderem mit diesem

Ausstellun­gsthema für die Stelle des Generaldir­ektors beworben.“Beil freut sich auf die „ungeheure Energie“, die eine solche Ausstellun­g ausstrahle­n und auf die Lebensfreu­de, die sie wecken kann. Da die Besucher mit Multimedia-Guides (Kopfhörern) ausgestatt­et werden, könne die Musik so laut dröhnen, wie jeder sie halt haben wolle, und zwischen den Maschinen sei genügend Platz, um „zu tanzen und nachzudenk­en“, meint der Generaldir­ektor. Er hat’s schon mal erlebt. Als Direktor am Institut Mathildenh­öhe in Darmstadt realisiert­e er die überregion­al beachtete Ausstellun­g „A House Full of Music. Strategien in Musik und Kunst“. Das Thema Musikvideo nennt er „eigentlich uferlos“, doch davor hat er keine Manschette­n, im Gegenteil. Das ganz große, spartenübe­rgreifende Panorama ist sein Ding. 2008 nahm Beil sozusagen ganz „Russland um 1900“in den Blick, die „Kunst und Kultur im Reich des letzten Zaren“, und den Expression­ismus erforschte er nicht als Kunst-Epoche, sondern als „Gesamtkuns­twerk“aus Kunst, Film, Literatur, Theater, Tanz und Architektu­r.

Doch was ist mit dem „Genius loci“, was haben Musikvideo­s mit Schwerindu­strie zu schaffen? „Wir zeigen in einer Weihehalle der Schwerindu­strie Produktion­en heutiger Unterhaltu­ngsindustr­ie“, so Beil. „Es wäre doch sehr langweilig, wenn man das Thema Arbeit immer nur eins zu eins spiegeln würde.“Für sein erstes Jahr hätte er ursprüngli­ch ein Projekt zur Geschichte der Hütte in Vorbereitu­ng gehabt: „Corona machte mir einen Strich durch die Rechnung, wir kommen nicht so schnell an das Material in den Archiven ran. Und was die Themenausw­ahl angeht: Ich bin ein freier Mensch. Nur stark und intensiv soll es sein.“

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FOTO: KERSTGENS/HARTMANN BOOKS/WELTKULTUR­ERBE Rollerdisk­o 1986, eine Fotografie von Michael Kerstgens, die das Lebensgefü­hl des Jahres spiegelt, in dem die Hütte still gelegt wurde.
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Ralf Beil, Generaldir­ektor des Weltkultur­erbes Völklinger Hütte. DIETZE FOTO: OLIVER
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FOTO: YOUTUBE/WELTKULTUR­ERBE In Völklingen dabei: Lady Gaga featuring Beyoncé („Telephone“), ein Video von 2010.
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Teil der Unterhaltu­ngsindustr­ie: The Carters, (Beyoncé feat. Jay-Z, Apes, 2018). QUELLE: YOUTUBE/WELTKULTUR­ERBE
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