„Auf keinen Fall wird Perspectives abgesagt“
Die Chefin des Saarbrücker Festivals über Planungen in Zeiten von Corona und Künstler-Hilfe dies- und jenseits der Grenze.
Man kann es sich derzeit noch nicht vorstellen, aber in zweieinhalb Monaten schon beginnt der Wonnemonat Mai. Und in dem soll traditionell das Festival Perspectives stattfinden. Unser liebstes Wunderhorn der deutsch-französischen Bühnenkunst ist vom 20. bis 29. Mai terminiert. Aber was heißt das schon in diesen Zeiten? Im letzten Jahr mussten die Perspectives komplett ausfallen, ob wir 2021 mehr Theater-Glück haben werden? Festivalchefin Sylivie Hamard jedenfalls ist vorsichtig optimistisch und sagt im SZ-Gespräch auch, warum.
Sie sind immer noch voller Hoffnung, dass die Perspectives vor echtem Publikum stattfinden werden. Was stellen Sie sich dabei vor?
Sylvie Hamard: Ja, wir hoffen, dass sich bis Ende Mai die gesundheitliche Lage bessern kann. Es wird sicherlich noch Einschränkungen geben, und diese berücksichtigen wir auch in unseren Programmplanungen. 2020 hat sich die Situation im Frühling und Sommer deutlich verbessert, und ich glaube, dass es dieses Jahr auch so sein wird. Draußen können wir sicherlich etwas zeigen. Da sind wir dann „nur“vom Wetter abhängig.
Aber Sie haben sicher einen Plan B, wenn auch im Mai noch strikte Kontaktsperren vorherrschen sollten?
Sylvie Hamard: Wir arbeiten gerade an mehreren Plänen parallel, damit wir sehr kurzfristig reagieren können und uns anpassen können, egal, wie sich die Lage entwickelt – also wenn sie so bleibt wie jetzt, sich etwas bessert oder stark bessert. Auf keinen Fall soll Perspectives noch ein weiteres Mal abgesagt werden. Wir müssen sehr flexibel sein.
Wie gestalten Sie überhaupt ein Festival-Programm? Engagieren Sie vor allem Produktionen, die eigentlich im letzten Jahr hätten gezeigt werden sollen?
Sylvie Hamard: Noch werde ich nichts verraten, vor allem, da wir das Programm immer an die aktuelle Situation anpassen müssen. Das Festival wird auf jeden Fall stattfinden, aber in anderer Form. Aufgrund der in Deutschland geltenden Abstandsregeln auf der Bühne werden wir sicherlich keine Gastspiele mit vielen Künstlerinnen und Künstlern zeigen. 2020 hatten wir einen Fokus Québec geplant, das heißt mehrere Gastspiele aus der Provinz Québec, dies wird leider 2021 wieder nicht möglich sein. Ein paar Produktionen,
die 2020 geplant waren, möchten wir 2021 einladen, dazu auch neue Projekte.
Die Staatstheater in Deutschland produzieren sozusagen „auf Halde“für die Zeit nach dem Lockdown. Aber als freie Theatergruppe kann man derzeit wohl kaum eine große Produktion vorfinanzieren. Auch ist ja in Frankreich durch Ausgangssperren und andere Regeln ein künstlerisches Arbeiten mit vielen Akteuren wahrscheinlich nicht so einfach. Wie machen das freie Theatergruppen? Wird derzeit überhaupt Neues produziert?
Sylvie Hamard: In Frankreich wird weiter produziert, wenn auch viel weniger, aber Work-in-Progress-Präsentationen und manchmal sogar Premieren können weiterhin vor Fachpublikum gezeigt werden. Das heißt, die Stücke werden gesehen und dann gegebenenfalls für die nächste Saison eingeladen. Proben sind weiterhin erlaubt, vieles wird jedoch verschoben, Gastspiele können nicht stattfinden. Die Künstlerinnen und Künstler werden häufig getestet, und so lange der Test negativ ist, können sie ganz normal weiter proben und an neuen Stücken arbeiten.
Wie sieht es überhaupt mit den Arbeitsbedingungen für Künstlerinnen und Künstler in Corona-Zeiten aus? Müssen sie zum Beispiel wie bei uns 1,50 Meter Abstand halten?
Sylvie Hamard: Auf der Bühne gelten für sie weder eine Masken- noch eine Abstandspflicht.
Und wie überleben sie finanziell?
Sylvie Hamard: Die Künstlerinnen und Künstler, die den Status „intermittent du spectacle“(eine soziale Absicherung in Frankreich für nicht fest angestellte Kreative) haben, erhalten Arbeitslosengeld. Dies bedeutet, dass ihre Situation derzeit weniger prekär als in Deutschland ist, wo die Künstlerinnen und Künstler diese Sicherheit nicht haben. Für die freien Gruppen und Soloselbstständigen in Deutschland sieht es da leider oft ganz anders aus. In Frankreich erhalten seit Monaten auch die Theater- und Opernhäuser
finanzielle Unterstützung vom französischen Staat, so dass es auch ohne Publikum weiter möglich ist zu arbeiten.
Nach einem Jahr voller Hausarrest, voller abgesagter Kulturveranstaltungen und Ungewissheiten: Wie geht es Ihnen persönlich?
Sylvie Hamard: In der Oper in Versailles, wo ich auch tätig bin, machen wir seit Anfang Dezember, wie schon im Juni und Juli, sehr viele CD-Aufnahmen mit renommierten Musikensembles. Auch Dreharbeiten für das Fernsehen finden statt. Daher können wir uns nicht beklagen, wir haben viel zu tun. Die Arbeit hat sich im letzten Jahr verändert, es ist ein ganz anderes Gefühl, per Video zu arbeiten und mir fehlt es sehr, nicht mehr zu reisen, um Stücke zu sehen.
Wie erleben Sie die Informations-Politik in Frankreich, gibt es verlässliche Ansagen?
Sylvie Hamard: Es ist sehr kompliziert zu planen. Die Regierung informiert uns alle zwei Wochen, wie es weitergeht. Das heißt, alle Kulturveranstalter müssen so planen, als ob man wieder öffnen würde. Dann kommt die Entscheidung, alles muss abgesagt und neu geplant werden. Dann geht es wieder von vorne los. Dies ist sehr mühsam und erschwert uns allen die Arbeit. Es wäre viel einfacher, wenn von vornherein gesagt würde, dass die Theater vor April nicht mehr aufmachen dürfen.
Und wie geht es mit der Arbeit im Perspectives-Team?
Sylvie Hamard: Hier in Saarbrücken ist es auch nicht einfach zu planen, aber das gesamte Team ist stark in die Planung eingebunden, vor allem, wenn es darum geht, neue Ideen für das Festival zu finden, damit es auf jeden Fall stattfinden kann. Es ist eine große Herausforderung, die Unsicherheit ist manchmal auch zermürbend, aber es ist wiederum auch sehr spannend, sich neu zu erfinden.
Sie waren seit langer Zeit mal wieder in Saarbrücken und haben Ihr Team gesehen. Was war das für ein Gefühl?
Sylvie Hamard: Es ist schon unglaublich, ich war einmal im Dezember und im Januar da, und momentan wird es noch schwieriger, in Europa zu reisen. Ich vermisse das Reisen. Es war sehr schön, wieder einmal in Saarbrücken zu sein und das Team wiederzusehen. Ich habe mich sehr gefreut, alle in echt und nicht auf dem Bildschirm vor mir zu sehen.
„Die Künstlerinnen und Künstler werden in
Frankreich häufig getestet, und so lange der Test negativ ist,
können sie ganz normal weiter proben und an neuen Stücken
arbeiten.“
Sylvie Hamard „Draußen können wir sicherlich etwas zeigen. Da sind wir dann ,nur’ vom Wetter abhängig“
Sylvie Hamard „Die Situation der Künstlerinnen und
Künstler ist in Frankreich derzeit weniger prekär als in
Deutschland.“
Sylvie Hamard