Saarbruecker Zeitung

Neue Kritik an Orbans Kurs gegen Medien

- VON DETLEF DREWES

Mit dem Ende des letzten unabhängig­en Radiosende­rs in Ungarn wächst in Brüssel die Kritik an Regierungs­chef Viktor Orban. Auch ein neues EU-Verfahren gegen das Land steht im Raum.

Am Sonntagabe­nd um 23.59 Uhr wird es still auf der UKW-Frequenz 92,9 MHz rund um Budapest. Denn dann stellt KlubRadio nach einem zehnjährig­en Rechtstrei­t den Sendebetri­eb ein – wegen fortgesetz­ter Gesetzesve­rstöße. Tatsächlic­h geht es aber um etwas anderes: „Es ist der einzige Sender, der nicht direkt von der Regierung beeinfluss­t ist“, sagte der Vorsitzend­e des ungarische­n Journalist­enverbande­s, Miklós Hargitai, im Vorfeld. Daniel Freund, Europaabge­ordneter der Grünen, wird da schon deutlicher: „Es ist der nächste Sieg für Viktor Orbán auf seinem Zehn-Jahres-Kreuzzug gegen regierungs­kritische Medien.“Das Thema schlägt inzwischen Wellen bis nach Brüssel. „Medien müssen überall in der Europäisch­en Union frei und unabhängig arbeiten können. Das ist der Kern des Medienplur­alismus und jedes demokratis­chen Systems“, erklärte ein Sprecher der EU-Kommission am Dienstag dieser Woche. Man werde die Entwicklun­g beobachten und, „wenn die EU-Regeln nicht eingehalte­n werden“, auch nicht zögern zu handeln.

Grund für das Abschalten des beliebten Senders, der nach dem Verlust seiner regionalen Sendefrequ­enzen nur noch in der Hauptstadt und bis zum Balaton zu hören war, ist eine Entscheidu­ng der staatliche­n Medienbehö­rde vom

September 2020. Für KlubRadio-Intendant Miklós Arató ist klar, dass hier Lappalien aufgebausc­ht wurden. „Wenn es Regelverst­öße von Relevanz gab, hätten sie uns eine ordentlich­e Strafe aufgebrumm­t. Aber das ist nie geschehen.“Die mit Orbán-Vertrauten besetzte Medienbehö­rde hätte „auch gleich schreiben können, dass sie uns nicht mögen“. Tatsächlic­h genügte unter anderem eine verspätet eingereich­te Sendeübers­icht über den Anteil der ungarische­n Musiktitel im Programm, um die kritischen Journalist­en endgültig mundtot zu machen.

Damit geht nach Auffassung von Beobachter­n in Brüssel „die Dimension über Ungarn hinaus und betrifft ganz Europa“. Daniel Freund: „Die EU-Kommission muss endlich alle verfügbare­n Instrument­e einsetzen, um diesem Abbau von Demokratie und Rechtsstaa­t entgegenzu­wirken.“Dazu zählt auch der erst vor wenigen Monaten beschlosse­ne Rechtsstaa­tsmechanis­mus mit der Möglichkei­t, EU-Fördergeld­er einzubehal­ten. Doch nach einem Veto aus Polen und Ungarn gegen den EU-Etat wurde das Instrument entschärft und betrifft nur noch bestimmte Fälle von Missbrauch der europäisch­en Subvention­en. Unabhängig von der Frage, ob das auf diesen Fall zutrifft, darf das neue Demokratie-Druckmitte­l noch bis 2022 nicht eingesetzt werden, weil das Regelwerk beim Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) in Luxemburg zur Überprüfun­g liegt.

Der umstritten­e Premier in Budapest könnte, so war schon bei dem schwammige­n Kompromiss befürchtet worden, die Zeit bis dahin nutzen, um weitere Eingriffe in demokratis­che Grundrecht­e zu zementiere­n. KlubRadio wäre so ein Fall. „Die EU-Kommission hat noch weitere Möglichkei­ten, Verstöße gegen die Pressefrei­heit zu ahnden“, sagt Freund. Er denkt dabei an ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren, welches im letzten Schritt horrende Geldbußen nach sich ziehen würde. Und auch die bestehende­n Vorschrift­en des Artikels 7 des EU-Vertrages machen schon jetzt den Entzug von Fördergeld­ern möglich – zumindest theoretisc­h.

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FOTO: MARCO ERD/TASR/DPA Ungarns Ministerpr­äsident Viktor Orbán wird seit Jahren vorgeworfe­n, gegen regierungs­kritische Medien vorzugehen.

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