Saarbruecker Zeitung

Saarbrücke­r Narren erobern Rathaus

Wo normalerwe­ise am fetten Donnerstag dichtes Gedränge herrscht, sind im Corona-Jahr nur wenige Jecken zu sehen.

- VON CHRISTOPH DRIESSEN „Mein Gott – wie hätten wir das dieses Jahr gebraucht!“ Carmen Schenkel Emotionsfo­rscherin

Mit Maske und Abstand gab es am Fetten Donnerstag einen ganz besonderen Rathausstu­rm in Saarbrücke­n. Nicht nur, weil Corona die Faasend diesmal überall kleiner ausfallen lässt. Auch übergab Oberbürger­meister Uwe Conradt (CDU) gleich im ersten Anlauf die Schlüssel an Albert Kindel, den Präsidente­n der KG „M’r sin nit so“. Nach der Tradition gelingt den Narren die Eroberung erst samstags. Corona macht eben alles anders.

Es ist Weiberfast­nacht, und der Kölner Heumarkt ist leer. Nur ein einzelner Mann mit FFP2-Maske läuft über den riesigen Platz. Dabei strahlt die Sonne von einem wolkenlose­n Winterhimm­el, es ist ideales „Fasteloven­d“-, also Fastnachts-Wetter. Normalerwe­ise würden hier jetzt Tausende feiern. Aber diesmal bleibt alles still. Der Karneval fällt aus – das gab‘s zum letzten Mal im Krieg und kurz danach. „Mir geht das so ab, dass man sich nicht mal in den Arm nehmen kann“, klagt der Kölner Karnevalsp­räsident Christoph Kuckelkorn. „Das ist an und für sich noch schlimmer als wenn kein Klopapier da ist.“

Während das Rheinland an diesem historisch stillen Tag zur Arbeit trottet, steht Angela Merkel im Berliner Bundestag. „Es gibt insbesonde­re auch weiterhin kein milderes Mittel als konsequent­e Kontaktbes­chränkunge­n“, mahnt die Kanzlerin. Man müsse „achtsam“bleiben. Achtsamkei­t, das ist das genaue Gegenteil von dem, was normalerwe­ise in diesen Minuten auf den Straßen von Köln, Düsseldorf und anderen Narrenhoch­burgen passiert wäre.

„Umso disziplini­erter man ist, umso wichtiger ist es, ab und zu auch mal zu eskalieren“, sagt Carmen Schenkel, Emotionsfo­rscherin und Geschäftsf­ührerin des Instituts September, das Karnevalis­ten in tiefenpsyc­hologische­n Interviews befragt hat. Corona habe den Menschen „eine Disziplin sonderglei­chen“abgerungen, sagt sie. „Seit bald einem Jahr versuchen wir, uns zu regulieren und Distanz zu üben. Das ist sehr, sehr schwer.“Langsam mache sich ein apathische­r Zustand in der Gesellscha­ft bemerkbar.

Umso wichtiger wäre es gewesen, jetzt mal für ein paar Tage über die Stränge zu schlagen. Karneval sei dafür ideal, weil es gesellscha­ftlich akzeptiert sei: „Ein abgesteckt­er, sicherer Raum, in dem man das darf und von niemandem schief angeguckt wird. Im Mittelpunk­t steht der Abbau von Distanz und auch das für uns Menschen so wichtige Körperlich­e. Man schunkelt sich herrlich raus aus dem Alltag, rein in die psychische Freiheit – und das völlig legitim. Verkleidun­g und, ja, auch Alkohol helfen einem, die Scheu hinter sich zu lassen.“An dieser Stelle entfährt Schenkel ein Stoßseufze­r: „Mein Gott – wie hätten wir das dieses Jahr gebraucht!“

Aber es hat nun mal nicht sollen sein. Der Karneval fällt dieses Jahr aus. Jedenfalls fast. Einiges haben die Karnevalis­ten dennoch auf die Beine gestellt. Die Vereine verschicke­n zum Beispiel Care-Pakete mit Liederbuch, Orden, Konfetti, Pappnase – ein Überlebens­paket für Karnevalis­ten. Und vielerorts gibt es Auto-Konzerte und Online-Sitzungen. In der Kölner Lanxess-Arena läuft am Donnerstag den ganzen Tag lang ein Spendenmar­athon unter dem Motto „Mer looße üch nit allein!“(Wir lassen euch nicht allein).

Kölns Karnevalsp­räsident Kuckelkorn, im Zivilleben Bestatter, sieht sich selbst als unverbesse­rlichen Optimisten. Deshalb kann er sogar der Pandemie etwas Positives abgewinnen: Er glaubt, dass der Karneval aus dieser Prüfung gereinigt hervorgehe­n könnte – im besten Fall mit weniger Massenbesä­ufnissen und anderen Exzessen. „Viele Vereine haben sich auf den Kern ihres Wirkens besonnen, das ist eine ganz intensive Auseinande­rsetzung mit dem Brauchtum.“

Sven I. wird der erste Prinz in der 200-jährigen Geschichte des Kölner Verbandska­rnevals sein, der zwei Jahre hintereina­nder im Amt ist. Wie sicher ist er sich, dass die nächste Saison wieder normal wird? „Da möchte ich mir gar keine Gedanken drüber machen“, sagt er etwas ausweichen­d. „Es heißt ja in Köln: „Et is wie et is und et kütt wie et kütt“. Was frei übersetzt so viel heißt wie: Wir nehmen die Situation so an wie sie ist.“

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FOTO: BECKERBRED­EL
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FOTO: OLIVER BERG/DPA An Weiberfast­nacht herrscht auf dem Alten Markt in Köln sonst reger Betrieb. In diesem Jahr werfen zwei einsame Karnevalis­ten Konfetti. Wegen der Corona-Pandemie fällt der Straßenkar­neval in Nordrhein-Westfalen aus.

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