Saarbruecker Zeitung

Massive Kritik an Lockdown im Saarland

Die IHK läuft Sturm. Lafontaine will Abstimmung über schnellere Lockerung im Landtag.

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Die Verlängeru­ng des Corona-Lockdowns im Saarland ist bei großen Teilen der Saar-Wirtschaft und der Saar-Opposition auf teils deutliche Kritik gestoßen. So sprach der Verband der Familienun­ternehmer von „Willkürhal­tung“, der Hotel- und und Gaststätte­nverband äußerte sich enttäuscht. Der Chef der Linksfrakt­ion im Saar-Landtag, Oskar Lafontaine, nannte die Beschlüsse gar „rücksichts­los und widersprüc­hlich“.

Das Saarland will entspreche­nd den Absprachen von Bund und Ländern den Corona-Lockdown bis 7. März verlängern. Eine Ausnahme wird ab 1. März für Friseure gemacht. Formal soll dies der Ministerra­t am kommenden Dienstag beschließe­n, wie die SZ erfuhr.

Opposition­sführer Lafontaine kündigte eine Initiative im Landtag an, die Öffnung vorzuziehe­n. Seine Fraktion werde dafür einen Antrag zur namentlich­en Abstimmung stellen, Handel und kulturelle Einrichtun­gen ab 22. Februar wieder öffnen zu lassen. Das gleiche soll für die Gastronomi­e und körpernahe Dienstleis­tungen gelten, wobei hier negative Corona-Tests für Kunden verlangt werden sollen, die der Staat bezahlt. Lafontaine kritisiert­e mit Blick auf das Vorgehen in Frankreich und Luxemburg das Festhalten an der Sieben-Tage-Inzidenz als alleinigem Kriterium für die Öffnung in Deutschlan­d. Seine Fraktionsk­ollegin Barbara Spaniol forderte, die Kulturhohe­it des Landes zu nutzen, um die Museen früher zu öffnen.

Der Hauptgesch­äftsführer der Industrieu­nd Handelskam­mer, Frank Thomé, nannte die Lockdown-Verlängeru­ng „zu undifferen­ziert und zu wenig lösungsori­entiert“. Handwerksk­ammer-Präsident Bernd Wegner zeigte sich darüber irritiert, dass Kosmetiker und Fußpfleger nicht wie die Friseure früher öffnen dürfen. Derweil lehnte das Oberverwal­tungsgeric­ht Saarlouis am Donnerstag den Eilantrag auf Wiedereröf­fnung eines Friseursal­ons ab. Ein Grund: Die aktuelle Regelung laufe wohl ohnehin bald aus.

Der Präsident der Bundesärzt­ekammer hält die Verlängeru­ng des Lockdowns bis zum 7. März für unvermeidl­ich, vermisst im Beschluss von Bund und Ländern aber Ideen für ein Ende der Eindämmung­smaßnahmen und den besseren Schutz der Alten- und Pflegeheim­e.

Herr Reinhardt, was halten Sie als Mediziner von den Beschlüsse­n der Ministerpr­äsidentenk­onferenz?

REINHARDT Eine begrenzte Verlängeru­ng des Lockdowns ist angesichts der vielen offenen Fragen zur Verbreitun­g der neuen Virusvaria­nten in Deutschlan­d derzeit aus Gründen der Vorsicht unvermeidl­ich. Klar ist aber auch, dass wir uns nicht endlos von Lockdown zu Lockdown hangeln können. Für Kinder, Jugendlich­e und ihre Eltern bedeuten Kita- und Schulschli­eßungen psychosozi­alen Stress, der krank macht.

Welche Folgen hat der lange Lockdown für Schüler?

REINHARDT Kitas und Schulen sind Orte, an denen Kinder Essenziell­es voneinande­r lernen. Was in einem bestimmten Alter versäumt wird, könnten Kinder später nur schwer und manchmal gar nicht nachholen.

Und für Ältere und alle anderen?

REINHARDT Viele ältere Menschen leiden körperlich und seelisch unter Kontaktbes­chränkunge­n, Einsamkeit und Isolation. Kulturscha­ffende, Kleinunter­nehmer und viele andere Selbststän­dige sehen sich in ihrer wirtschaft­lichen Existenz bedroht, was häufig ebenfalls gesundheit­liche Folgen hat.

Was kritisiere­n Sie an den Beschlüsse­n?

REINHARDT Wir hätten uns gewünscht, dass Bund und Länder auch Grundsatze­ntscheidun­gen darüber treffen, wie wir schrittwei­se mit vernünftig­en Hygienekon­zepten erste Eindämmung­smaßnahmen zurückfahr­en können, sobald sich die Infektions­lage weiter verbessert hat. Davon und von der im Januar eigens hierfür einberufen­en Bund-Länder Arbeitsgru­ppe ist in dem Beschlussp­apier aber nur wenig Konkretes zu lesen.

Was fordern Sie konkret?

REINHARDT Zum Beispiel brauchen wir konkret einen bundeseinh­eitlichen Stufenplan für den Wiedereins­tieg in den Präsenzbet­rieb an den Schulen in Abhängigke­it der regionalen Infektions­lage. Dazu brauchen wir passgenaue Hygieneplä­ne und einheitlic­he Quarantäne­vorgaben, vor allem aber müssen wir die personelle­n und technische­n Voraussetz­ungen für den Wechselunt­erricht schaffen und qualifizie­rtes Personal für die Durchführu­ng von Schnelltes­ts zur Verfügung stellen.

Und was fordern Sie für Alten- und Pflegeheim­e?

Nach wie vor sind weit überwiegen­d ältere Menschen von schweren Covid-19-Verläufen betroffen. Zentrale Aufgabe der Pandemiebe­wältigung muss es deshalb sein, diese Menschen vor Ansteckung zu schützen. Wir brauchen pragmatisc­he Lösungen, um schnell und unbürokrat­isch zusätzlich­e Mitarbeite­r zur Bewältigun­g von Sonderaufg­aben zur Infektions­prävention und zur Kompensati­on von infizierte­n und erkrankten Mitarbeite­rn zu qualifizie­ren.

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FOTO: DIETZE/DPA LInke-Fraktionsc­hef Oskar Lafontaine kritisiert die Orientieru­ng am Inzidenzwe­rt.
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FOTO: DIE HOFFOTOGRA­FEN Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärzt­ekammer

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