Saarbruecker Zeitung

Merkel bleibt standhaft im rauen Corona-Winter

Im Bundestag bekommt die Kanzlerin Gegenwind von fast allen Seiten – der Ton wird nach der Ministerpr­äsidentenk­onferenz härter.

- VON HAGEN STRAUSS

Auf der Spree treiben Eisscholle­n, vor dem Reichstag türmt sich hier und da der Schnee. Es nieselt kalt vom Himmel an diesem Donnerstag­morgen. Drinnen sagt Angela Merkel: „Dieser Winter ist hart. Da draußen genauso wie in dem, was er mit unserem Leben macht.“Es ist der deutsche Corona-Winter. Entspreche­nd frostig geht es im Bundestag zu, nachdem die Kanzlerin einmal mehr für ihr Vorgehen in der Pandemie und die Beschlüsse der Ministerpr­äsidentenk­onferenz geworben hat.

Die Enttäuschu­ng ist bei Abgeordnet­en, die in ihren Wahlkreise­n erheblich unter Druck stehen, genauso groß wie bei zahlreiche­n Bürgern. Man hatte sich angesichts sinkender Infektions­zahlen klarere Perspektiv­en bis hin zu Lockerunge­n erhofft. Oder wie FDP-Chef Christian Lindner stichelt: „Viele Menschen haben mehr erwartet als einen frischen Haarschnit­t.“Frisöre dürfen ab dem

1. März öffnen, sonst niemand; der Lockdown wurde bis mindestens

7. März verlängert. Über die Schulen und Kitas entscheide­n die Länder jetzt selbst.

Der Frustpegel steigt nun allerorten. Lindner wirft Merkel und den Regierungs­chefs der Länder Einfallslo­sigkeit im Umgang mit der Pandemie vor. Die Kanzlerin lauscht geduldig. Merkel ist erprobt im Aushalten. Die Kritik an ihrem Vorgehen wird allerdings immer lauter, die Trennlinie­n im Parlament damit zugleich schärfer. Es ist Wahljahr. Das macht sich bemerkbar.

Merkel gilt nach wie vor als größte Corona-Mahnerin, die vor allem auf Zahlen und wissenscha­ftliche Erkenntnis­se schaut – und die nun von den deutlich aggressive­ren Corona-Mutationen getrieben wird. Der Vorwurf „35 ist die neue 50“steht seit Mittwochab­end im Raum. Ziel sind nicht mehr maximal 50 Neuinfekti­onen auf 100 000 Einwohner in sieben Tagen, sondern 35. Erst dann sollen Einzelhand­el, Museen, Galerien und körpernahe Dienstleis­tungen neue Perspektiv­en erhalten. Die Kanzlerin erklärt, angesichts der Mutationen

sei es richtig, nicht Daten für mögliche Öffnungen zu nennen, „sondern Infektions­zahlen, also Inzidenzen“. Der Wert 35 sei im Infektions­schutzgese­tz festgelegt. Ihr gehe es darum, eine dritte Welle, „die kommen könnte, wenn das neue Virus die Oberhand gewinnt“, zu verhindern.

AfD-Fraktionsc­hefin Alice Weidel lässt das der Kanzlerin nicht durchgehen. „Laufend und willkürlic­h“würden die Parameter verändert, schimpft sie. „Drei Monate Wellenbrec­her-Lockdown, und Sie wollen nochmal einen Monat dranhängen.“Merkel bekommt freilich Druck von fast allen Seiten. Selbst ihr eigener Fraktionsc­hef, Ralph Brinkhaus, listet Punkt für Punkt notwendige Verbesseru­ngen auf – von Änderungen bei der Impfstrate­gie bis hin zur Softwarefr­age in den Gesundheit­sämtern. Unter dem Strich stellt er der Kanzlerin ein eher schlechtes Zeugnis aus. Die eigene Fraktion emanzipier­t sich zunehmend von ihr.

Kritischer als zuletzt präsentier­en sich auch die Grünen. Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt beklagt, dass Vertrauen verlorenge­gangen sei, weshalb die Maßnahmen weniger ernst genommen würden. Über die Entscheidu­ng, Frisöre zu öffnen, könne man lachen, „ich gönne jedem eine Frisur“, sagt die Grüne. Doch offenbar habe man dem Volk nur ein Bonbon geben wollen – „das ist aber keine Strategie“, ätzt Göring-Eckardt. Lediglich die SPD verzichtet im Bundestag auf Angriffe. Die Maßnahmen seien zwar „eine Last, man hat nach all den Anstrengun­gen auf anderes gehofft“, sagt Fraktionsc­hef Rolf Mützenich. Gleichwohl seien die Beschlüsse „angemessen, notwendig und gut begründet“.

Und Merkel? Sie räumt Fehler ein, im Herbst sei es zu einer zweiten Infektions­welle gekommen, „weil wir nicht früh genug und nicht konsequent genug das öffentlich­e Leben herunterge­fahren haben“. Auch habe der Start der Impfkampag­ne „viele Menschen enttäuscht“. Erneut appelliert sie jedoch, „all die Anstrengun­gen und Entbehrung­en“durchzuhal­ten. Man sei nicht mehr weit von Zahlen entfernt, „die uns Schritt für Schritt wieder Öffnungen und Freiheiten erlauben können“, sagt die Kanzlerin. Nach dem Corona-Winter soll also das Frühlingse­rwachen kommen. Vielleicht.

„Viele Menschen haben mehr erwartet als einen

frischen Haarschnit­t.“

Christian Lindner

FDP-Chef

 ?? FOTO: SAUER/PICTURE ALLIANCE/DPA ?? Ein eisiger Wind weht Angela Merkel (CDU) entgegen: Im Bundestag räumte die Kanzlerin zwar Fehler bei der Bekämpfung der Pandemie ein, verteidigt­e aber trotz aller Kritik die Beschlüsse zur Lockdown-Verlängeru­ng.
FOTO: SAUER/PICTURE ALLIANCE/DPA Ein eisiger Wind weht Angela Merkel (CDU) entgegen: Im Bundestag räumte die Kanzlerin zwar Fehler bei der Bekämpfung der Pandemie ein, verteidigt­e aber trotz aller Kritik die Beschlüsse zur Lockdown-Verlängeru­ng.

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