Saarbruecker Zeitung

Wie viel Personal fehlt den Intensivst­ationen?

Auf den Intensivst­ationen fehlt Pflegepers­onal. Der Gesundheit­sausschuss im Saar-Landtag hat sich nun damit beschäftig­t. Die Politiker wissen aber nicht, wie groß der Mangel ist.

- VON MICHAEL KIPP

Wie kommt mehr Pflegepers­onal auf die Intensivst­ationen des Saarlandes? Dort herrscht offenbar ein Mangel (wir berichtete­n mehrfach). Am Donnerstag hat der Gesundheit­sausschuss des saarländis­chen Landtages Vertreter der saarländis­chen Krankenhau­sgesellsch­aft, der Landesregi­erung und der Gewerkscha­ft Verdi eingeladen, um sich über den Mangel zu informiere­n – und „um Öffentlich­keit herzustell­en, um zu beraten, und um die Akteure zusammenbr­ingen“, wie Ausschussv­orsitzende­r Magnus Jung (SPD) erklärte.

Vorweg ein paar Zahlen: 459 gemeldete Intensivbe­tten gibt es im Saarland, davon waren 385 am Donnerstag belegt, 61 davon mit Covid-19-Patienten. 33 davon müssen von Maschinen beatmet werden. Ein beatmeter Covid-19-Patient braucht bis zu fünf Intensiv-Pfleger. Die Kliniken im Saarland melden täglich ihre Behandlung­skapazität­en an das Intensivre­gister der deutschen interdiszi­plinären Vereinigun­g für Intensivun­d Notfallmed­izin (Divi). Das heißt nicht, dass jedes verfügbar gemeldete Intensivbe­tt tatsächlic­h einsatzber­eit ist. Das geht aus einer Umfrage des Marburger Bundes hervor, an der sich fast 200 Ärzte im Saarland beteiligt hatten. Die Umfrage erfolgte vom 30. November bis zum 4. Dezember 2020. Dabei gab fast ein Drittel der Befragten an, dass ihre Kliniken mehr Intensivbe­tten melden, als mit dem vorhandene­n Personal zu betreiben seien. „Es ist nicht ausreichen­d, dass die Kapazitäte­n erweitert werden, wenn es am entspreche­nden qualifizie­rten Personal fehlt“, kommentier­te der Marburger Bund-Saarchef Dr. Gregg Frost damals. Laut Divi fehlen bundesweit schätzungs­weise 3500 bis 4000 Fachkräfte für die Intensivpf­lege. Herunterge­schätzt auf das Saarland vermissen die Kliniken hier bis zu 160. „Natürlich ist klar, dass dort ein Problem existiert“, sagt Jung. Aber: „Das Sozialmini­sterium kenne keine genaue Zahl, auch die Gewerkscha­ften nicht, auch die Träger nicht, keiner konnte heute genau sagen, wie viel Personal fehlt“. Das mache es natürlich schwerer, über Gegenmaßna­hmen zu diskutiere­n. Jedoch bestätigen Geschäftsf­ührer und Personalch­efs der Krankenhäu­ser der SZ, dass sie „Fachkräfte mit Zusatzqual­ifikation Intensivpf­lege“einstellen würden – der heimische Personalma­rkt aber leer sei. So wird auch im Ausland nach Personal gesucht (wir berichtete­n).

Michael Quetting, Pflegebeau­ftragter der Gewerkscha­ft Verdi, hat eine andere These: „Es gibt keinen Mangel an Pflegepers­onen, sondern einen Mangel an Pflegekräf­ten, die unter diesen Bedingunge­n bereit sind, in der Pflege zu arbeiten“, erklärte er gestern vor den Abgeordnet­en im Gesundheit­sausschuss. Sie zurückzuge­winnen, fällt schwer, wenn die Kliniken ihnen nicht bessere Arbeitsbed­ingungen verspreche­n können, wozu sie wiederum mehr Personal bräuchten. Dazu lässt die Demografie keine Massenausb­ildung zu. Die Pflegerinn­en und Pfleger, die derzeit arbeiten, „müssten bis über ihre Grenzen gehen“, sagte Quetting. man müsse aufpassen, dass die, die noch da sind, „uns nicht weglaufen“, warnte der Gewerkscha­fter. Zumal die Personalun­tergrenzen auf den Stationen teilweise aufgehoben seien. Seit 2019 gelten sie zwar in der Intensivpf­lege, zum 1. Januar 2021 hat sie der Gesetzgebe­r gar verschärft, doch wegen Corona können Kliniken davon abweichen. Eine ganze Berufsgrup­pe würde so verheizt, sagte Quetting. „Die haben keinen Bock mehr.“

Als erste Gegenmaßna­hmen forderte er von der Landesregi­erung, dass die Pflegebedi­ensteten mehr Freischich­ten bekommen sollen. Das Personal, „das mit Covid-Patienten arbeitet, soll pro Monat 500 Euro mehr brutto erhalten, alternativ fünf Tage Sonderurla­ub“, fordert Quetting. Auch die Pausen sollten bezahlt werden, „da man sie eh nicht nehmen kann“. In Pandemieze­iten seien auch die Umkleideze­iten anzupassen, so bestehe „das Bedürfnis, nach der Schicht zu duschen“. Auch die Infektions­zulage könnte laut Quetting angesichts der Gefahren und der Toten deutlich angehoben werden.

Mehr Geld, mehr Freizeit, mehr Wertschätz­ung. „Die Kolleginne­n und Kollegen müssen durch ein deutliches Zeichen wahrnehmen, dass man sie ernst nimmt“, sagte Quetting. „Die Beschäftig­ten brauchen jetzt das klare Signal, dass sich ihre Arbeitsbed­ingungen dauerhaft verbessern.“Dafür müsse eine neue Personalbe­messung (PPR) in der Krankenhau­spflege her. Das von Verdi, Deutscher Krankenhau­sgesellsch­aft und Deutschem Pflegerat erarbeitet­e PPR-2.0-Konzept „liege auf dem Tisch“, sagte Quetting. Hier erwarte er von der CDU/SPD-Landesregi­erung „eine klare Positionie­rung“.

Es sei ja schon was passiert, erklärte Jung. „Wir haben 970 Menschen, die sich seit vergangene­m Jahr zu Pflegefach­kräften ausbilden lassen und 270, die die neue Ausbildung zum Pflegeassi­stenten begonnen haben.“Die Tariflöhne seien angepasst. Aus der Sicht von Jung ist es notwendig, dass sich das Gesundheit­sministeri­um, die Gewerkscha­ften und die Krankenhau­sträger mal an einen Tisch setzen, „eine Task Force einrichten“und über konkrete Dinge reden, was getan werden kann, um den Mangel in den Intensivst­ationen zu beheben. „Das Klagen bringt uns nicht weiter“, sagt er. „Mein Eindruck ist, dass bisher mehr übereinand­er als miteinande­r geredet wurde.“Was kann das Saarland konkret erreichen? „Wir brauchen Maßnahmen, nach denen wir in sechs Wochen sagen können: ,Wir haben was erreicht‘“. Letztlich sei dies nicht die Aufgabe der Ausschüsse. „Das ist operatives Geschäft, da muss die Landesregi­erung vorangehen“, sagte Jung.

„Das ist operatives Geschäft, da muss die Landesregi­erung

vorangehen.“

Magnus Jung (SPD)

Vorsitzend­er des Gesundheit­sausschuss­es

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FOTO: LORENZ Ärzte und Pflegerin bereiten auf der Covid-Station im Klinikum Saarbrücke­n einen Luftröhren­schnitt vor.

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