Saarbruecker Zeitung

Der Ärger über Verstöße gegen die Impf-Reihenfolg­e wächst

Berichte über Politiker und andere „Vordrängle­r“beim Impfen erregen Kritik. Minister Spahn will Strafen prüfen – und bessere Regeln für überschüss­ige Dosen.

- Produktion dieser Seite: Frauke Scholl, Robby Lorenz Martin Wittenmeie­r, Annabelle Theobald

(dpa/SZ) Solidaritä­t, Disziplin und Vertrauen fordert die Politik seit Monaten von den Menschen in Deutschlan­d ein. Vielerorts ist in den vergangene­n Tagen bekannt geworden, dass zum Beispiel Amts- und Würdenträg­er geimpft wurden, die noch gar nicht an der Reihe waren. In neun Bundesländ­ern sind solche Fälle bekannt. Dabei kamen etwa Kommunalpo­litiker, Geistliche sowie Feuerwehrl­eute und Polizisten zum Zuge, obwohl sie nicht der ersten Prioritäts­gruppe angehören. Das führt zu Kritik.

Die Bundesregi­erung hatte eine klare Reihenfolg­e festgelegt, nach der der knappe Impfstoff verteilt wird: Die Ältesten und die, die sie versorgen, zuerst. Zwar räumt die Impfverord­nung des Bundes etwa Ordnungskr­äften und wichtigen Verwaltung­sangestell­ten auch eine hohe Priorität ein – aber eben nicht die höchste.

Die Begründung für die vorgezogen­en Impfungen in den meisten Fällen: Am Ende des Tages seien Impfdosen übrig geblieben, die man nicht habe verschwend­en wollen. Der Impfstoff muss vor dem Impfen zunächst aufbereite­t und verdünnt werden und ist dann nur wenige Stunden haltbar. Sagen Menschen ihren Impftermin ab, können daher Impfdosen übrig bleiben. Wie damit umgegangen werden soll, ist nicht geregelt.

Die meisten der 401 Landkreise und kreisfreie­n Städte in Deutschlan­d haben aber schon in den ersten Tagen der Impfkampag­ne Strategien entwickelt, wie Impfreste trotzdem der ersten Prioritäts­gruppe zuteil werden können. Die meisten führen dazu eine Art Warteliste.

In Halle in Sachsen-Anhalt versuchte man laut Oberbürger­meister Bernd Wiegand (parteilos), die Dosen zunächst an Angehörige der ersten Prioritäts­stufe zu vermitteln. Wenn die nicht erreicht wurden, habe ein „Zufallsgen­erator“Nachrücker ermittelt, so auch ihn und zehn Stadträte. Auch der Landrat des Saalekreis­es, Hartmut Handschak (parteilos), rechtferti­gte sich damit, er sei zu einem Beratungst­ermin in einer Klinik gewesen, die ihre Beschäftig­ten impfte. Dabei sei eine Dosis übrig geblieben.

In Nordrhein-Westfalen waren schon im Januar mehrere Fälle von Kommunalpo­litikern bekannt geworden, die früher als vorgesehen geimpft wurden. Auch in Bayern, Niedersach­sen, Bremen, Hessen, Thüringen und Brandenbur­g sind Fälle vorzeitige­r Impfungen bekannt, von Politikern, Verwaltung­spersonal oder Klerikern. Im rheinland-pfälzische­n Koblenz nutzte die Feuerwehr als Betreiber des Impfzentru­ms Impfreste für das eigene Personal. Auch Hamburg impfte bereits Feuerwehrl­eute und Polizisten, zudem Mitarbeite­r des Krisenstab­es und der Gesundheit­sbehörde. Hunderte Polizisten wurden auch in Sachsen-Anhalt und Sachsen bereits geimpft. Im Saarland wurde jüngst bekannt, dass die SHG-Kliniken in Völklingen ihren Verwaltung­schef und fünf Angestellt­e vorzeitig impfen ließen. Man habe der Klinik zugewiesen­e Impftermin­e und Impfstoff nicht verfallen lassen wollen, hieß es zur Begründung.

Nicht nur Politiker üben inzwischen Kritik an den Impf-Verstößen. Die Deutsche Stiftung Patientens­chutz forderte die Bundesregi­erung auf, Verstöße unter Strafe zu stellen. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) kündigte am Freitag an, Sanktionen gegen Vordrängle­r zu prüfen. Um Vorgänge wie in Halle künftig zu vermeiden, könnten auch klarere Regeln für den Umfang mit den übrigen Dosen helfen. „Ich werde mit den Ländern darüber sprechen, ob wir das noch ein Stück verbindlic­her regeln“, sagte Spahn.

„Ich werde mit den Ländern darüber sprechen, ob wir das

noch ein Stück verbindlic­her regeln.“

Jens Spahn (CDU)

Bundesgesu­ndheitsmin­ister

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