Saarbruecker Zeitung

„Bollwerk der Demokratie“tagt zum 1000. Mal

Ist der Föderalism­us noch sinnvoll? Oder wäre ein Zentralsta­at handlungsf­ähiger? Diese Fragen werden in der Corona-Pandemie wieder einmal verstärkt gestellt. Auch in der 1000. Sitzung des Bundesrate­s.

- VON ULRICH STEINKOHL

BONN/BERLIN (dpa) Bach zum Auftakt, Bach zum Abschluss, dazwischen ein 41 Minuten dauernder historisch­er Moment: Als der Bundesrat am 7. September 1949 erstmals zusammentr­at, signalisie­rte dies – zusammen mit der konstituie­renden Sitzung des Bundestags nur wenige Stunden später – endgültig den politische­n Neuanfang in West-Deutschlan­d nach Nazi-Diktatur und Zweitem Weltkrieg. Der gerade zum Bundesrats­präsidente­n gewählte NRW-Regierungs­chef Karl Arnold (CDU) betonte: „In einem Bundesstaa­t, in dem die Ausführung der Bundesgese­tze weitestgeh­end Sache der Länder ist, gewährleis­tet der Bundesrat einen arbeitsfäh­igen Gesamtstaa­t.“

Gut 71 Jahre und 999 Sitzungen später bescheinig­te Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier der Länderkamm­er, dass das Selbstbewu­sstsein berechtigt war und ist: „Der Bundesrat hat viel beigetrage­n zur Stabilität der deutschen Demokratie.“Steinmeier nannte den Bundesrat am Freitag in dessen 1000. Sitzung ein „Bollwerk unserer arbeitende­n Demokratie“

und einen „verfassung­spraktisch­en Alleskönne­r“, der Bund und Länder, Exekutiven und Legislativ­e, Politik und Verwaltung, Parteien und Koalitione­n miteinande­r verzahne.

In der Praxis erfolgt die Einflussna­hme auf die Gesetzgebu­ng vor allem bei zustimmung­spflichtig­en Gesetzen, die der Bundesrat durch ein Nein scheitern lassen kann. Laut Grundgeset­z fallen darunter neben Verfassung­sänderunge­n insbesonde­re Gesetze mit Auswirkung­en auf die Länderfina­nzen. Davon unterschie­den werden Einspruchs­gesetze, die keine Zustimmung des Bundesrats brauchen. Das Grundgeset­z gibt diesem auch ein Initiativr­echt in der Gesetzgebu­ng. Der Bundesrat wählt zudem die Hälfte der Richter am Bundesverf­assungsger­icht. Und sein Präsident vertritt den Bundespräs­identen. Das 69 Mitglieder zählende Gremium setzt sich aus Vertretern der 16 Landesregi­erungen zusammen. Die Länder haben drei bis sechs Stimmen.

Trotz seiner großen Bedeutung im deutschen Demokratie­gefüge steht der Bundesrat in der öffentlich­en Wahrnehmun­g klar im Schatten des Bundestags. Was Dramatik nicht ausschließ­t. So führte im März 2002 die Abstimmung über das Zuwanderun­gsgesetz der damals rot-grünen Bundesregi­erung von Kanzler Gerhard Schröder zu einem beispiello­sen Eklat – inklusive Tumulten, dem Vorwurf des „offenen Verfassung­sbruchs“und dem Auszug der unionsgefü­hrten Länder. Auslöser war, dass die Mehrheit für das Gesetz nur durch eine rechtswidr­ige Stimmabgab­e Brandenbur­gs zustande kam.

Zumeist werden Konflikte aber nicht auf offener Bühne ausgetrage­n, sondern hinter den verschloss­enen Türen des Vermittlun­gsausschus­ses. Dort finden Bundesrat und Bundestag in aller Regel einen Kompromiss. Und manchmal hilft schlicht Geld – wie im Juli 2000. Damals gelang es der Regierung Schröder in einem Überraschu­ngscoup, ihre Steuerrefo­rm in letzter Minute durchzudrü­cken. Mit Milliarden-Zugeständn­issen zog sie vor allem die drei von der CDU mitregiert­en Länder Brandenbur­g, Berlin und Bremen auf ihre Seite, zudem die beiden „Wackelkand­idaten“Mecklenbur­g-Vorpommern (SPD/PDS) und Rheinland-Pfalz (SPD/FDP). Diese „Bestechung­sversuche“im Kleinen sehen Kritiker auch im Großen, wenn es um die Kompetenzv­erteilung zwischen Bund und Ländern geht. In seiner Rede zum 70-jährigen Bestehen des Bundesrats prangerte der frühere Saar-Ministerpr­äsident und heutige Bundesverf­assungsric­hter

Peter Müller einen „Ausverkauf der föderalen Rechte“an.

Steinmeier griff das Problem am Freitag auf, indem er auf die zwei Föderalism­us-Kommission­en hinwies, die eine größere Trennung der Zuständigk­eiten von Bund und Ländern erreichen sollten. Die großen Reformhoff­nungen seien aber „nur zu einem sehr kleinen Teil erfüllt worden“. Viel bedeutende­r seien jedoch die großen praktische­n Gemeinscha­ftsleistun­gen von Bund und

Ländern wie die Solidaritä­t beim Aufbau Ostdeutsch­lands oder die Aufnahme von Flüchtling­en.

„Ich wünsche uns, dass auch die Bewältigun­g der Corona-Pandemie eines Tages als eine bestandene Bewährungs­probe gilt“, ergänzte Steinmeier, der dafür ein enges Zusammensp­iel aller Beteiligte­n anmahnte: „Unser Feind sitzt nicht in Brüssel oder Berlin, nicht in Staatskanz­leien oder Pharmakonz­ernen. Unser Feind ist das vermaledei­te Virus.“

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FOTO: FABRIZIO BENSCH/REUTERS/POOL/DPA Mit einer Rede von Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier (vorne) feierte der Bundesrat am Freitag in Berlin seine 1000. Sitzung. Dahinter hört Bundesrats­präsident Reiner Haseloff (CDU) interessie­rt zu. Die Länderkamm­er hatte sich am 7. September 1949 in Bonn konstituie­rt – am selben Tag wie der Bundestag.

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