Menschenrechte werden bald zur Pflicht
Die Bundesregierung hat sich am Freitag überraschend auf ein Lieferkettengesetz geeinigt.
Im langen Streit um ein Gesetz zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards gab es am Freitag überraschend einen Durchbruch: Gemeinsam präsentierten die Minister Hubertus Heil (Arbeit/SPD), Peter Altmaier (Wirtschaft/CDU) und Gerd Müller (Entwicklung/CSU) den Kompromiss für ein Lieferkettengesetz. Die Vorlage soll vor der Sommerpause vom Bundestag verabschiedet werden.
Das neue Gesetz soll ab 1. Januar 2023 gelten.
Um was geht es konkret?
Im Kern geht es darum, inwieweit deutsche Firmen für die Verletzung von Menschenrechten bei ihren internationalen Zulieferern gerade stehen sollen. Weltweit müssen rund 152 Millionen Kinder arbeiten, um ihre Familien über die Runden zu bringen. Rund 25 Millionen Menschen sind in Zwangsarbeit. Laut einer im vergangenen Jahr veröffentlichten Untersuchung kommt nur jedes fünfte deutsche Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten seinen Sorgfaltspflichten in puncto Menschenrechte entlang seiner Lieferketten nach.
Wo ist das Problem?
Nicht wenige Unternehmen beziehen von Hunderten oder sogar mehreren Tausend Zulieferern Vorprodukte, um am Ende zum Beispiel Autos oder Maschinen unter ihrem Namen zu verkaufen. Diese Produktionswege lassen sich kaum zurückverfolgen. Kritiker geben auch zu bedenken, dass deutsche Firmen sich im Falle drohender Sanktionen von internationalen Märkten zurückziehen könnten. Altmaier hatte sich deshalb lange gegen ein Gesetz gewehrt, derweil sich seine Kabinettskollegen Heil und Müller dafür stark machten.
Wie sieht der Kompromiss aus?
Grundsätzlich müssen Unternehmen künftig in ihrer gesamten Lieferkette
auf die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards achten – in abgestufter Form. Für den unmittelbar eigenen Geschäftsbereich und die direkten Zulieferer mit festen Vertragsbeziehungen gelten höhere Anforderungen als für mittelbare Zulieferer. Werden dort Missstände etwa durch Berichte in der Presse bekannt, muss das deutsche Unternehmen ihnen nachgehen und für Abhilfe sorgen.
Sind Strafen vorgesehen?
Ja. Bei Verstößen gegen ihre Sorgfaltspflicht müssen deutsche Unternehmen
mit Zwangsgeld in Höhe von bis zu 50 000 Euro beziehungsweise Bußgeldern im Umfang von bis zu zehn Prozent ihres Umsatzes rechnen. Die Obergrenze könnte hier bei zehn Millionen Euro liegen. Genau ist das noch nicht festgelegt. Je nach Schwere ihrer Pflichtverletzung können sie auch bis zu drei Jahre von der öffentlichen Auftragsvergabe ausgeschlossen werden. Neu ist auch, dass Betroffene sich an Organisationen oder deutsche Gewerkschaften wenden können, damit sie in ihrem Namen vor Gericht gehen. Bereits heute können Geschädigte selbst klagen, was aber in der Praxis kaum vorkommt.
Wann sollen die Regelungen greifen?
Das Gesetz soll erst zum 1. Januar 2023 gelten. Und anfangs auch nur für Firmen mit mehr als 3000 Mitarbeitern. Das wären rund 600 Betriebe. Anfang 2024 werden auch Unternehmen mit über 1000 Mitarbeitern einbezogen. Insgesamt sind es dann knapp 3000 Firmen.
Welche Bedeutung hat der Vorstoß?
Während Arbeitsminister Heil von einem „Durchbruch“für die Menschenrechte sprach und Entwicklungsminister Müller von einem „markanten Zeichen“für die globale Verantwortung deutscher Unternehmen, ging der Vorstoß Kritikern wie „Trancparency International“nicht weit genug. Tatsächlich sucht der Kompromiss international seinesgleichen. In Frankreich gilt zwar schon ein entsprechendes Gesetz, aber nur für Unternehmen mit über 5000 Beschäftigten. In den Niederlanden beschränkt sich die Regelung auf eine Bekämpfung der Kinderarbeit. Und in der Schweiz war ein Lieferkettengesetz kürzlich bei einer Volksabstimmung gescheitert.