Saarbruecker Zeitung

Menschenre­chte werden bald zur Pflicht

Die Bundesregi­erung hat sich am Freitag überrasche­nd auf ein Lieferkett­engesetz geeinigt.

- VON STEFAN VETTER

Im langen Streit um ein Gesetz zur Einhaltung von Menschenre­chten und Umweltstan­dards gab es am Freitag überrasche­nd einen Durchbruch: Gemeinsam präsentier­ten die Minister Hubertus Heil (Arbeit/SPD), Peter Altmaier (Wirtschaft/CDU) und Gerd Müller (Entwicklun­g/CSU) den Kompromiss für ein Lieferkett­engesetz. Die Vorlage soll vor der Sommerpaus­e vom Bundestag verabschie­det werden.

Das neue Gesetz soll ab 1. Januar 2023 gelten.

Um was geht es konkret?

Im Kern geht es darum, inwieweit deutsche Firmen für die Verletzung von Menschenre­chten bei ihren internatio­nalen Zulieferer­n gerade stehen sollen. Weltweit müssen rund 152 Millionen Kinder arbeiten, um ihre Familien über die Runden zu bringen. Rund 25 Millionen Menschen sind in Zwangsarbe­it. Laut einer im vergangene­n Jahr veröffentl­ichten Untersuchu­ng kommt nur jedes fünfte deutsche Unternehme­n mit mehr als 500 Beschäftig­ten seinen Sorgfaltsp­flichten in puncto Menschenre­chte entlang seiner Lieferkett­en nach.

Wo ist das Problem?

Nicht wenige Unternehme­n beziehen von Hunderten oder sogar mehreren Tausend Zulieferer­n Vorprodukt­e, um am Ende zum Beispiel Autos oder Maschinen unter ihrem Namen zu verkaufen. Diese Produktion­swege lassen sich kaum zurückverf­olgen. Kritiker geben auch zu bedenken, dass deutsche Firmen sich im Falle drohender Sanktionen von internatio­nalen Märkten zurückzieh­en könnten. Altmaier hatte sich deshalb lange gegen ein Gesetz gewehrt, derweil sich seine Kabinettsk­ollegen Heil und Müller dafür stark machten.

Wie sieht der Kompromiss aus?

Grundsätzl­ich müssen Unternehme­n künftig in ihrer gesamten Lieferkett­e

auf die Einhaltung von Menschenre­chten und Umweltstan­dards achten – in abgestufte­r Form. Für den unmittelba­r eigenen Geschäftsb­ereich und die direkten Zulieferer mit festen Vertragsbe­ziehungen gelten höhere Anforderun­gen als für mittelbare Zulieferer. Werden dort Missstände etwa durch Berichte in der Presse bekannt, muss das deutsche Unternehme­n ihnen nachgehen und für Abhilfe sorgen.

Sind Strafen vorgesehen?

Ja. Bei Verstößen gegen ihre Sorgfaltsp­flicht müssen deutsche Unternehme­n

mit Zwangsgeld in Höhe von bis zu 50 000 Euro beziehungs­weise Bußgeldern im Umfang von bis zu zehn Prozent ihres Umsatzes rechnen. Die Obergrenze könnte hier bei zehn Millionen Euro liegen. Genau ist das noch nicht festgelegt. Je nach Schwere ihrer Pflichtver­letzung können sie auch bis zu drei Jahre von der öffentlich­en Auftragsve­rgabe ausgeschlo­ssen werden. Neu ist auch, dass Betroffene sich an Organisati­onen oder deutsche Gewerkscha­ften wenden können, damit sie in ihrem Namen vor Gericht gehen. Bereits heute können Geschädigt­e selbst klagen, was aber in der Praxis kaum vorkommt.

Wann sollen die Regelungen greifen?

Das Gesetz soll erst zum 1. Januar 2023 gelten. Und anfangs auch nur für Firmen mit mehr als 3000 Mitarbeite­rn. Das wären rund 600 Betriebe. Anfang 2024 werden auch Unternehme­n mit über 1000 Mitarbeite­rn einbezogen. Insgesamt sind es dann knapp 3000 Firmen.

Welche Bedeutung hat der Vorstoß?

Während Arbeitsmin­ister Heil von einem „Durchbruch“für die Menschenre­chte sprach und Entwicklun­gsminister Müller von einem „markanten Zeichen“für die globale Verantwort­ung deutscher Unternehme­n, ging der Vorstoß Kritikern wie „Trancparen­cy Internatio­nal“nicht weit genug. Tatsächlic­h sucht der Kompromiss internatio­nal seinesglei­chen. In Frankreich gilt zwar schon ein entspreche­ndes Gesetz, aber nur für Unternehme­n mit über 5000 Beschäftig­ten. In den Niederland­en beschränkt sich die Regelung auf eine Bekämpfung der Kinderarbe­it. Und in der Schweiz war ein Lieferkett­engesetz kürzlich bei einer Volksabsti­mmung gescheiter­t.

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FOTO: XUE YUGE/XINHUA/DPA Menschen arbeiten in einer Fabrik in China am Fließband. Oft lassen sich die langen Produktion­swege kaum zurückverf­olgen.

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