Saarbruecker Zeitung

„Die Zukunft unserer Kinder ist gefährdet“

In einem Brandbrief an das Bildungsmi­nisterium fordern Eltern von Schülern der Jahrgangss­tufe elf, dass ihre Kinder zur AbiturVorb­ereitung schnell wieder in die Schulen können.

- VON DANIEL BONENBERGE­R

SAARBRÜCKE­N „Wir haben uns sehr darüber geärgert“: So unmissvers­tändlich formuliert Jennifer Reinert, Mutter eines Schülers der elften Klasse des Johanneum-Gymnasiums Homburg, ihre Reaktion auf die Pläne von Bildungsmi­nisterin Christine Streichert-Clivot (SPD) zur stufenweis­en Rückkehr in den Präsenzunt­erricht. Denn die Rückkehr der elften Klassen sei derzeit noch nicht vorgesehen, erläutert der Pressespre­cher des Bildungsmi­nisteriums, Lukas Münninghof­f nach einer Anfrage unserer Zeitung. Man prüfe dies jedoch. „Nach diesen Plänen sind die Schüler der elften Klassen als Letztes an der Reihe. Sie müssen aber als Erstes in den Unterricht zurück, um keine zu großen Nachteile für ihr Abitur im kommenden Jahr zu haben“, sagt Reinert. Mit dieser Forderung hat sich die Mutter gemeinsam mit Eltern von rund 40 weiteren Schülern der Klassenstu­fe elf in einem offenen Brief an das Bildungsmi­nisterium gewandt.

Antwort bislang: keine. Auch das ärgert die besorgte Mutter. Bereits im vorigen Lockdown sei ihr Sohn unter den Schülern gewesen, bei denen der meiste Präsenzunt­erricht ausgefalle­n sei. Da die damaligen Zehntkläss­ler zuletzt in die Schulen zurückkehr­ten: „Die Schüler hatten im gesamten Lockdown gerade mal vier Tage Präsenzunt­erricht“, betont Reinert.

Die Erklärung sei damals gewesen, dass besonders die Oberstufen­schüler wieder in den Präsenzunt­erricht kommen sollten, damit die Vorbereitu­ngen auf die Abiturprüf­ungen optimal ablaufen. Danach sollten zunächst die Schüler der unteren Jahrgangss­tufen weiter beschult werden, da man davon ausging, dass sie zum einen weniger gut mit dem Homeschool­ing klarkommen als ältere Schüler. Zum anderen könne die Betreuung der Kinder damit gewährleis­tet werden. „All das haben wir verstanden, aber was hat sich denn bitte jetzt geändert?“, fragt Jennifer Reinert.

Die oberen Klassenstu­fen sollten damals zuerst in die Schule, um nicht so viel Stoff zu verpassen – und sie sollten es auch jetzt, findet die Mutter: „Nach diesen Plänen sind die elften Klassen aber diesmal als Letztes an der Reihe, das kann man nicht verstehen.“Reinert fordert gemeinsam mit den anderen Eltern, dass ihre Kinder zu den ersten gehören, die wieder in die Schule gehen dürfen. Während Schüler der Mittelstuf­en noch mehrere Jahre hätten, Defizite auszugleic­hen und verpassten Stoff nachzuhole­n, hätten Oberstufen­schüler genau diese Chance nicht. „Sie wissen selbst, wie immens wichtig die Abiturnote für den weiteren berufliche­n Werdegang ist“, mahnen die Eltern in ihrem Brandbrief an das Ministeriu­m. „Das gefährdet die Zukunft unserer Kinder“, ergänzt Reinert. „Alle Noten der elften Klasse fließen in die Abiturnote mit ein, zurzeit werden aber gar keine Klausuren geschriebe­n. Wie bitteschön kommen denn die Noten dann zustande?“, fragt sich die Homburgeri­n.

Der Fernunterr­icht funktionie­re derweil „so lala“. Ihr Sohn sei ein guter Schüler, aber sie wisse von Fällen, bei denen das Lernen zu Hause mehr schlecht als recht funktionie­re: „Es gibt im Homeschool­ing einfach keine Leistungsk­ontrollen, Schüler können kaum Rückfragen stellen und Lehrer bekommen nicht mit, wenn Schüler im Stoff zurückfall­en.“Gerade schüchtern­en Schülern falle es im Fernunterr­icht deutlich schwerer, Gehör zu finden. In der Schule könnten Lehrer proaktiv auf diese Schüler zugehen und sie in den Unterricht einbeziehe­n, so Reinert.

Zudem lasse die Gestaltung des Fernunterr­ichts auch zu Wünschen übrig. Es gebe zwar in einigen Fächern durchaus Videokonfe­renzen, sie seien aber mehr Ausnahme, denn Regel: Das sei am Johanneum-Gymnasium auch kaum möglich, da die Schule, soweit Reinert wisse, über kein gutes Internet verfüge.

Dass sie offenbar einen wunden Punkt in der Elternscha­ft getroffen habe, habe Reinert erst gemerkt, als sie ihren Brief an das Ministeriu­m in einer Whatsapp-Gruppe geteilt habe, in der sie sich mit Eltern anderer Schüler zusammenge­schlossen habe: „Ich habe direkt zahlreiche Unterstütz­ung erhalten und viele Eltern wollten den Brief unterschre­iben.“

In der Summe seien so über 40 Eltern zusammenge­kommen, die den Brief unterschri­eben haben: „Auch Eltern anderer Gymnasien, wie dem Saar-Pfalz-Gymnasium, unterstütz­en unsere Forderung und haben unterschri­eben“, betont Reinert im Gespräch mit unserer Zeitung. Keinesfall­s aber wolle sie falsch verstanden werden. Sie nehme die Pandemie sehr ernst und fordere nicht die sofortige Rückkehr aller Schüler in die Schulen: „Aber wenn geöffnet wird, dann müssen die Oberstufen­schüler die ersten sein. Das war beim ersten Lockdown richtig und ist auch jetzt noch richtig.“

Man verstehe die Sorgen der Eltern, die den Brief verfasst haben, betont Pressespre­cher Münninghof­f. Wichtiger sei aber zunächst, die Grundschül­er wieder in die Schulen zu bringen, weil für sie das Lernen zu Hause mit besonderen Schwierigk­eiten verbunden sei. Auch die unteren Klassenstu­fen der Gymnasien seien zu bevorzugen, da bei ihnen ein höherer Betreuungs­bedarf bestehe. „Bei den höheren Jahrgängen können derzeit nur die Abiturjahr­klassen in die Schulen, da diese kurz vor ihren Abiturund Abschlussp­rüfungen stehen“, erläutert Münninghof­f. Dennoch versuche man, den Präsenzunt­erricht auch für die Klassenstu­fe elf so schnell wie möglich wieder einzuführe­n: „Um möglichen Lernrückst­änden entgegenzu­wirken, werden wir in den Schulen die individuel­len Lernstände prüfen und mit den Eltern und Schülern besprechen. Außerdem wollen wir mehr Personal einstellen und die Lehrpläne so anpassen, dass eine optimale Prüfungsvo­rbereitung auf das Abitur sichergest­ellt werden kann.“

„Nach den Plänen sind die elften Klassen dieses Mal als Letztes an der Reihe, das kann man nicht verstehen.“

Jennifer Reinert

Mutter eines Elftklässl­ers

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FOTO: BECKER&BREDEL Nach den Plänen der Landesregi­erung sollen die elften Klassen zuletzt zurück in den Präsenzunt­erricht. Das ärgert viele Eltern.

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