„Die Zukunft unserer Kinder ist gefährdet“
In einem Brandbrief an das Bildungsministerium fordern Eltern von Schülern der Jahrgangsstufe elf, dass ihre Kinder zur AbiturVorbereitung schnell wieder in die Schulen können.
SAARBRÜCKEN „Wir haben uns sehr darüber geärgert“: So unmissverständlich formuliert Jennifer Reinert, Mutter eines Schülers der elften Klasse des Johanneum-Gymnasiums Homburg, ihre Reaktion auf die Pläne von Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) zur stufenweisen Rückkehr in den Präsenzunterricht. Denn die Rückkehr der elften Klassen sei derzeit noch nicht vorgesehen, erläutert der Pressesprecher des Bildungsministeriums, Lukas Münninghoff nach einer Anfrage unserer Zeitung. Man prüfe dies jedoch. „Nach diesen Plänen sind die Schüler der elften Klassen als Letztes an der Reihe. Sie müssen aber als Erstes in den Unterricht zurück, um keine zu großen Nachteile für ihr Abitur im kommenden Jahr zu haben“, sagt Reinert. Mit dieser Forderung hat sich die Mutter gemeinsam mit Eltern von rund 40 weiteren Schülern der Klassenstufe elf in einem offenen Brief an das Bildungsministerium gewandt.
Antwort bislang: keine. Auch das ärgert die besorgte Mutter. Bereits im vorigen Lockdown sei ihr Sohn unter den Schülern gewesen, bei denen der meiste Präsenzunterricht ausgefallen sei. Da die damaligen Zehntklässler zuletzt in die Schulen zurückkehrten: „Die Schüler hatten im gesamten Lockdown gerade mal vier Tage Präsenzunterricht“, betont Reinert.
Die Erklärung sei damals gewesen, dass besonders die Oberstufenschüler wieder in den Präsenzunterricht kommen sollten, damit die Vorbereitungen auf die Abiturprüfungen optimal ablaufen. Danach sollten zunächst die Schüler der unteren Jahrgangsstufen weiter beschult werden, da man davon ausging, dass sie zum einen weniger gut mit dem Homeschooling klarkommen als ältere Schüler. Zum anderen könne die Betreuung der Kinder damit gewährleistet werden. „All das haben wir verstanden, aber was hat sich denn bitte jetzt geändert?“, fragt Jennifer Reinert.
Die oberen Klassenstufen sollten damals zuerst in die Schule, um nicht so viel Stoff zu verpassen – und sie sollten es auch jetzt, findet die Mutter: „Nach diesen Plänen sind die elften Klassen aber diesmal als Letztes an der Reihe, das kann man nicht verstehen.“Reinert fordert gemeinsam mit den anderen Eltern, dass ihre Kinder zu den ersten gehören, die wieder in die Schule gehen dürfen. Während Schüler der Mittelstufen noch mehrere Jahre hätten, Defizite auszugleichen und verpassten Stoff nachzuholen, hätten Oberstufenschüler genau diese Chance nicht. „Sie wissen selbst, wie immens wichtig die Abiturnote für den weiteren beruflichen Werdegang ist“, mahnen die Eltern in ihrem Brandbrief an das Ministerium. „Das gefährdet die Zukunft unserer Kinder“, ergänzt Reinert. „Alle Noten der elften Klasse fließen in die Abiturnote mit ein, zurzeit werden aber gar keine Klausuren geschrieben. Wie bitteschön kommen denn die Noten dann zustande?“, fragt sich die Homburgerin.
Der Fernunterricht funktioniere derweil „so lala“. Ihr Sohn sei ein guter Schüler, aber sie wisse von Fällen, bei denen das Lernen zu Hause mehr schlecht als recht funktioniere: „Es gibt im Homeschooling einfach keine Leistungskontrollen, Schüler können kaum Rückfragen stellen und Lehrer bekommen nicht mit, wenn Schüler im Stoff zurückfallen.“Gerade schüchternen Schülern falle es im Fernunterricht deutlich schwerer, Gehör zu finden. In der Schule könnten Lehrer proaktiv auf diese Schüler zugehen und sie in den Unterricht einbeziehen, so Reinert.
Zudem lasse die Gestaltung des Fernunterrichts auch zu Wünschen übrig. Es gebe zwar in einigen Fächern durchaus Videokonferenzen, sie seien aber mehr Ausnahme, denn Regel: Das sei am Johanneum-Gymnasium auch kaum möglich, da die Schule, soweit Reinert wisse, über kein gutes Internet verfüge.
Dass sie offenbar einen wunden Punkt in der Elternschaft getroffen habe, habe Reinert erst gemerkt, als sie ihren Brief an das Ministerium in einer Whatsapp-Gruppe geteilt habe, in der sie sich mit Eltern anderer Schüler zusammengeschlossen habe: „Ich habe direkt zahlreiche Unterstützung erhalten und viele Eltern wollten den Brief unterschreiben.“
In der Summe seien so über 40 Eltern zusammengekommen, die den Brief unterschrieben haben: „Auch Eltern anderer Gymnasien, wie dem Saar-Pfalz-Gymnasium, unterstützen unsere Forderung und haben unterschrieben“, betont Reinert im Gespräch mit unserer Zeitung. Keinesfalls aber wolle sie falsch verstanden werden. Sie nehme die Pandemie sehr ernst und fordere nicht die sofortige Rückkehr aller Schüler in die Schulen: „Aber wenn geöffnet wird, dann müssen die Oberstufenschüler die ersten sein. Das war beim ersten Lockdown richtig und ist auch jetzt noch richtig.“
Man verstehe die Sorgen der Eltern, die den Brief verfasst haben, betont Pressesprecher Münninghoff. Wichtiger sei aber zunächst, die Grundschüler wieder in die Schulen zu bringen, weil für sie das Lernen zu Hause mit besonderen Schwierigkeiten verbunden sei. Auch die unteren Klassenstufen der Gymnasien seien zu bevorzugen, da bei ihnen ein höherer Betreuungsbedarf bestehe. „Bei den höheren Jahrgängen können derzeit nur die Abiturjahrklassen in die Schulen, da diese kurz vor ihren Abiturund Abschlussprüfungen stehen“, erläutert Münninghoff. Dennoch versuche man, den Präsenzunterricht auch für die Klassenstufe elf so schnell wie möglich wieder einzuführen: „Um möglichen Lernrückständen entgegenzuwirken, werden wir in den Schulen die individuellen Lernstände prüfen und mit den Eltern und Schülern besprechen. Außerdem wollen wir mehr Personal einstellen und die Lehrpläne so anpassen, dass eine optimale Prüfungsvorbereitung auf das Abitur sichergestellt werden kann.“
„Nach den Plänen sind die elften Klassen dieses Mal als Letztes an der Reihe, das kann man nicht verstehen.“
Jennifer Reinert
Mutter eines Elftklässlers