Saarbruecker Zeitung

Die Daten der Autofahrer sind Gold wert

Moderne Autos sammeln jede Menge Informatio­nen über die Vorlieben und Eigenarten der Fahrer. Dürfen Hersteller und andere Unternehme­n diese Daten einfach abgreifen und gewinnbrin­gend nutzen? Darüber wird heftig diskutiert.

- VON GUNDEL JACOBI

Heutzutage werden in vielen Bereichen persönlich­e Daten wie wild gesammelt, um sie für vielfältig­e gewinnbrin­gende Geschäfte zu nutzen. Doch es wird weiterhin darüber gestritten, wer auf solche Daten zugreifen und sie vermarkten darf. Dabei geht es auch um Daten, die beim Autofahren reichlich anfallen.

Üblicherwe­ise findet der „Goslar-Diskurs“alljährlic­h am Rande des dortigen Verkehrsge­richtstage­s statt. In diesem Jahr gab es beide Veranstalt­ungen wegen der Corona-Pandemie nur auf virtuellen Plattforme­n, was sich jedoch als nicht minder reizvoll herausstel­lte. Dabei ging zum Beispiel der ehemalige Tesla-Manager Jochen Rudat, der mittlerwei­le zwei Beratungsf­irmen betreibt, mit der Automobili­ndustrie nicht zimperlich um: Die Hersteller hätten Trends verschlafe­n. Zwar bauten sie mittlerwei­le Elektroaut­os, aber beim Sammeln von Informatio­nen und deren gewinnbrin­gender Verarbeitu­ng herrsche weithin Fehlanzeig­e. Start-up-Unternehme­n hingegen machten das schon.

Ins gleiche Horn stößt Autoexpert­e Guido Reinking: „Alle meine Geräte kennen meine Termine, nur mein Auto nicht. Warum macht mir mein Auto beispielsw­eise unterwegs kein konkretes Angebot, wo ich essen gehen kann?“Auf die Spitze getrieben heißt das: Idealerwei­se weiß das Fahrzeug aufgrund der Gewohnheit­en des Fahrers, welche Vorlieben er bei der Nahrungssu­che hat: Pizza, Nasi Goreng oder Rinderbrat­en. Reinking deutete an, dass viele Autofahrer sich einen solchen Service wünschten, doch selbst modernste Autos ihn noch nicht böten.

Ganz so einfach ist es aber nicht. Viele Mobilitäts- und Serviceanb­ieter stehen in den Startlöche­rn, um den ungehobene­n Datenschat­z möglichst umfangreic­h zu verwerten. Solche Visionen bringen jedoch Datenschüt­zer und auch viele Autonutzer in Wallung. Denn nicht jeder will, dass seine persönlich­e Daten gesammelt und gewinnbrin­gend weiterverw­endet werden.

Beispiel Pannenhilf­e: Das Fahrzeug strandet mit einem Defekt auf der Autobahn-Standspur. Diese Informatio­n erreicht den Hersteller, der einen von ihm beauftragt­en Abschleppd­ienst in Bewegung setzt. Jener bringt das Auto in die Markenwerk­statt. Es klappt wie am Schnürchen. Aber möchte das auch der Fahrer. Oder hätte er eine andere Lösung bevorzugt?

„Die Autoherste­ller gehen heute noch wie selbstvers­tändlich davon aus, dass sie die Hoheit über die Daten der Autofahrer haben“, erläutert Jörg Rheinlände­r, Vorstandsm­itglied der HUK-Coburg-Versicheru­ngsgruppe. Mit dieser Meinung sticht er in ein Wespennest.

Im Prinzip liefert jeder Autofahrer Informatio­nen, die entweder für die Verkehrssi­cherheit wichtig sind, oder Daten, die sich wirtschaft­lich nutzen lassen. In beiden Fällen sind Geschäftsm­odelle denkbar, bei denen der Autofahrer durchaus klar erkennen kann, wer seine Daten sammelt und was damit geschieht. Momentan wird unter anderem über Treuhänder-Modelle diskutiert, wie die Professori­n Susanne Knorre von der Hochschule Osnabrück darlegte. „Ein Treuhänder, also ein neutraler Dritter, kann einerseits Datensiche­rheit und anderersei­ts einen fairen Zugang zu den Daten garantiere­n.“

Ein solches Treuhänder-System müsse von staatliche­r Seite betrieben, mindestens aber kontrollie­rt werden, betont Guido Kutschera, Vorsitzend­er der Dekra-Geschäftsf­ührung. Er erklärte, dass beispielsw­eise für Autofahrer, die eine Prüforgani­sation in Anspruch nehmen, klar erkennbar sein müsse, wie ihre Daten dort gespeicher­t und genutzt werden. Eigene Begehrlich­keiten spricht er ebenfalls an, „einen freien Zugang zu den sicherheit­s- und umweltrele­vanten Fahrzeugda­ten“. Keine schlechte Idee, wenn man daran denkt, dass die Prüforgani­sationen damit ihren Auftrag für mängelfrei­e Wagen reibungslo­ser erfüllen könnten.

Herrscht hier womöglich noch Einigkeit unter den Experten, wird es bei anderen Bereichen schwierige­r. Denn wie reagieren Autofahrer, wenn unter anderem ihre Bewegungsd­aten ungefragt an Drittanbie­ter geschickt werden? Hat man vor einem Baumarkt geparkt, könnten unvermitte­lt konkrete Angebote des Ladens auf den Bildschirm flimmern. Ist das Service oder ist das aufdringli­ch? Wieder stellt sich die Frage nach dem Besitz oder Eigentum von Daten.

Ein neuzeitlic­hes Angebot hat sich jedenfalls schon vielfach etabliert. So bieten verschiede­ne Versicheru­ngen Telematikt­arife an, die aufgrund individuel­ler Fahrdaten Vergünstig­ungen ermögliche­n. Das ist vielleicht eine feine Sache, solange dies im geschlosse­nen System zwischen Versicheru­ng und Fahrer bleibt. Aber Wachsamkei­t ist auch hier angeraten. Auf welchen Kanälen mannigfalt­ige Anbieter zu Kundenadre­ssen kommen, ist bereits seit den Anfängen des Mobiltelef­ons undurchsic­htig. In diesem Zusammenha­ng weckt es nicht unbedingt Vertrauen, wenn Susanne Knorre sagt: „Es wird eine Explosion an zusätzlich­en Diensten und Geschäftsm­odellen geben, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Sie alle basieren auf freiem Datenzugan­g.“

 ?? FOTO: DAIMLER ?? Die neuen Unterhaltu­ngs- und Informatio­nssysteme im Auto verarbeite­n auch persönlich­e Daten der Fahrer. Das Multimedia­system MBUX von Mercedes-Benz bietet ab sofort die Möglichkei­t, sich sein persönlich­es Horoskop vorlesen zu lassen. Dafür werden per Sprachdial­og das Geburtsdat­um oder das Sternzeich­en des Fahrers abgefragt.
FOTO: DAIMLER Die neuen Unterhaltu­ngs- und Informatio­nssysteme im Auto verarbeite­n auch persönlich­e Daten der Fahrer. Das Multimedia­system MBUX von Mercedes-Benz bietet ab sofort die Möglichkei­t, sich sein persönlich­es Horoskop vorlesen zu lassen. Dafür werden per Sprachdial­og das Geburtsdat­um oder das Sternzeich­en des Fahrers abgefragt.

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