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Tests, Masken und Platzkarten, die nach einer Stunde ausverkauft sind: Wie die Luxemburger Philharmonie wieder vor Publikum musiziert.
Das Nachbarland geht mit der Pandemie anders um. So ist die Mehrheit der Luxemburger Kultureinrichtungen nach kürzeren Pandemie-Pausen als in Deutschland wieder offen. Seit 11. Januar treten auch in der Luxemburger Philharmonie wieder Musiker vor einem kleinen Publikum auf, das im Saal anwesend ist. Welcher Aufwand dahintersteckt, ob es Cluster im Konzerthaus gab und was das reduzierte Repertoire für die Musik bedeutet, erklärt Stephan Gehmacher, seit 2013 Generaldirektor der Philharmonie und des Orchestre Philharmonique du Luxembourg.
Herr Gehmacher, seit dem 11. Januar können in der Philharmonie wieder Konzerte vor Publikum stattfinden. Wie ist der Zuspruch?
GEHMACHER Sehr gut. Die hundert Karten, die wir pro Konzert anbieten, sind in einer Stunde ausverkauft. Wenn Sie unser Jazzkonzert mit Vincent Peirani im Livestream schauen, sehen Sie, welche Stimmung auch hundert Leute in einem Saal machen können.
Wie wird für Sicherheit gesorgt?
GEHMACHER Auf der Bühne agieren zeitgleich nicht mehr als 50 Musiker bei zwei Meter Abstand. Die Musiker und alle Mitarbeiter im Haus, die mit anderen interagieren, werden bei uns einmal zu Beginn jedes Projektes getestet. Sind sie in mehreren Projekten, auch öfter. Das funktioniert grundsätzlich sehr gut. Wir testen seit Mitte Oktober regelmäßig, bis Weihnachten mit PCR-Tests, und seit diesem Jahr sind wir auf Schnelltests umgestiegen, weil sie kostengünstiger und in der Handhabe praktischer sind. Darüber hinaus gibt es einen ganzen Katalog Hygienemaßnahmen mit Maskenpflicht außerhalb der Bühne, Temperaturmessung am Bühnen- und Mitarbeitereingang, Desinfektionsspendern und nach jedem Konzert und jeder Probe werden Stühle und Pulte desinfiziert. Im Publikum sind wir auf 100 Personen beschränkt, es gilt die ganze Zeit Maskenpflicht und zwei Meter Abstand und wir verfügen über die Kontaktdaten aller Besucher.
Wie viele Covid-Fälle gab es bisher im Haus?
GEHMACHER Glücklicherweise haben wir bis jetzt keine Cluster, also keine Infektion mit Weitergabe im Haus. Nur zu Beginn der Pandemie im März 2020 gab es eine kleine Infektionskette mit drei Mitarbeitern. Seitdem finden wir durch die Tests immer wieder Einzelfälle, aber keiner dieser Einzelfälle hat zu Wiederinfektionen im Haus geführt, auch nicht im Orchester.
Also kann ein reduzierter Kulturbetrieb mit strenger Hygiene und regelmäßigen Tests gut oder sogar sehr gut funktionieren?
GEHMACHER Aus meiner Sicht, ja, absolut. Wenn der Betrieb mit Hygienekonzept nicht funktionieren würde, würden wir keine Konzerte veranstalten, gesetzliche Regelung hin oder her – wir tragen gegenüber unseren Mitarbeitern und Kunden eine Verantwortung. In zwei Fällen haben uns Zuschauer informiert, dass sie wenige Tage nach einem Konzertbesuch positiv getestet wurden, sodass wir ihr Sitzumfeld nachgeprüft haben. Auch dabei konnten wir keine weitergegebene Infektion feststellen. Das entspricht dem, was das Konzerthaus in Dortmund und die Philharmonie de Paris macht, die jeweils Risiko-Studien gemacht haben, und deren Belüftungssituation unserer sehr ähnlich ist. Mit unserer Belegungsquote haben wir das Maximum an Vorkehrungen getroffen, wodurch das Risiko sicherlich geringer ist als in vielen anderen Lebensbereichen. Das einzige Argument, das dagegen spricht, ist natürlich, dass man die Leute dazu animiert, ihr Haus zu verlassen.
Dass die Philharmonie reduzierte Konzerte veranstaltet, ermöglicht die Politik in Luxemburg. Was bedeutet Ihnen dieses Signal?
GEHMACHER Die Tatsache, dass die Politik Kultur nicht als Erstes schließt und als Letztes wieder öffnet, sondern versucht, auch darüber nachzudenken, welche Rolle Kultur im Leben spielt und wie bedeutend das Risiko ist, halte ich für extrem wichtig. Das hat für Kulturschaffende eine starke symbolische Funktion. Ich bin unserer Kulturministerin und unserer Regierung dafür extrem dankbar, wenn man bedenkt, dass die Gastronomie unverändert geschlossen ist.
Restaurants sind in Luxemburg geschlossen, aber Kultureinrichtungen offen: Haben Sie das Gefühl, sich als Kulturschaffender rechtfertigen zu müssen?
GEHMACHER Wann sind Maßnahmen kohärent und konsequent? Unsere Veranstaltungen finden mit einem kleinen, kalkulierten Risiko statt, und stehen in einer guten Relation zu ihrer gesellschaftlichen Bedeutung. Kultur ist etwas, dass uns bereichert, und dafür ist man bereit, minimale Risiken einzugehen. Wenn man Konzerte in Zeiten der Pandemie veranstaltet, ist das Wichtigste Disziplin, auch die des Publikums, und dass man alle Vorkehrungen trifft, um die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung so gering wie möglich zu halten.
Wenn Sie nach Deutschland und Frankreich schauen, wo seit zehn Monaten wenig Präsenz-Kultur stattfinden darf, was geht Ihnen da durch den Kopf?
GEHMACHER Unsere Veranstaltungen mit 100 Personen sind ein wundervolles Symbol, aber unser Haus ist weit weg von einem Normalbetrieb, von 1500 Plätzen können wir 100 besetzen. Wir sind auf eine sehr geringe Anzahl von Veranstaltungen, die finanziell gerade noch darstellbar sind, reduziert. Wir arbeiten mit unserem eigenen Orchester, dessen Gehälter wir sowieso bezahlen. Auch Dank des Orchesters und der Unterstützung durch Staat und Stadt Luxemburg, unserer Sponsoren, und Förderer, die uns gerade in dieser Situation treu geblieben sind, ist es zu stemmen.
Wie wirkt sich der Notbetrieb künstlerisch aus? Bestimmte Komponisten können die Musiker seit beinahe einem Jahr nicht aufführen. Gehen Fertigkeiten verloren?
GEHMACHER Wir können zwei Drittel des symphonischen Repertoires nicht aufführen, Mahler, Bruckner und alle Symphoniker. Dennoch denke ich, dass dies perspektivisch kein Problem darstellt. Ein gut ausgebildeter Musiker kann immer noch Mahler, wenn er drei Jahre keinen Mahler gespielt hat. Die große Schwierigkeit war eher am Anfang, als sich die Musiker an ihren Einzelpulten bei zwei Meter Abstand neu einhören mussten. Das bringt aber auch einen enormen Lerneffekt.
Reduziertes Repertoire, oft wechselnde Vorschriften und viel Aufwand, macht es da noch Spaß?
GEHMACHER Ja, es macht noch Spaß. Unsere Mission ist es, Konzerte zu veranstalten. Wir planen sonst zwei bis drei Jahre im Voraus, nun rufe ich einen Pianisten an, und frage, ob er in drei Wochen bei uns auftreten kann. Diese neue Kurzfristigkeit fordert heraus und bereichert das Leben für uns alle. Der schwierigste Monat für uns war der April vergangenen Jahres, als alle zu Hause bleiben mussten. Die Musiker schätzen es, wieder spielen zu dürfen.
Wird das Programm für die kommenden Jahre normal geplant?
GEHMACHER Wir gehen davon aus, dass uns die Pandemie noch bis weit in die Saison 21/22 begleiten wird, und dann das Publikum noch nicht komplett wieder zurückkommen wird. Die Anzahl der Konzerte wird etwas reduziert, aber da das Programm der Philharmonie immer sehr reichhaltig war, wird es wohl kaum jemand merken. Wir glauben, dass wir in der Saison 2022/23 wieder in Richtung 100 Prozent gehen. Die Frage ist natürlich auch, wie sich mittelfristig die finanzielle Perspektive entwickelt und mit welchen Zuschüssen wir in den kommenden Jahren rechnen können, denn die öffentliche Hand wird sparen müssen, um die Kosten der aktuellen Maßnahmen zu finanzieren.
Machen Sie sich Zukunftssorgen?
GEHMACHER Nein, aber es bleibt dieses Spannungsfeld, in dem öffentliche Kulturinstitutionen immer sind: langfristig genug Zusagen von öffentlicher Seite zu bekommen, und auf deren Basis eine solide Programmplanung zu machen. Das gelingt in Luxemburg normalerweise sehr gut, aber auch der Luxemburger Staat wird gefördert sein.
Falls es nach der Krise weniger Geld gibt, denken Sie, dass die Philharmonie dadurch an Glanz einbüßt?
GEHMACHER Nein, ich habe keine Angst. Es ist ein professioneller Ansatz, gerade jetzt in diesem Moment vorsichtig zu sein. Ich bin aber trotzdem ein zuversichtlicher Mensch.