Italiens neuer Premier nimmt die Arbeit auf
In Italien setzt Mario Draghi auf ein Kabinett, in dem bisherige Gegner zusammenkommen. Erstes Rumoren lässt nicht lange auf sich warten.
In Italien haben der neue Regierungschef Mario Draghi und sein parteiübergreifendes Einheitskabinett ihre Arbeit aufgenommen. Ein Regierungsprogramm gibt es bislang aber noch nicht.
Die Stille um Mario Draghi hält weiter an. Seit Samstag ist der 73-jährige Römer als italienischer Ministerpräsident vereidigt, 23 Minister und Ministerinnen steuern mit ihm zusammen fortan die Geschicke der Republik. Doch auf ein Regierungsprogramm oder auch nur eine kurze inhaltliche Erklärung warteten die Italiener auch am Sonntag vergeblich. Mit dem ehemaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank koordiniert nicht nur ein parteiübergreifend anerkannter Experte für Wirtschaft und Finanzen die Linien der Politik in Rom. Auch eine für Italien ungewohnt ruhige Art der Kommunikation hält mit Draghi Einzug, die mit Reserviertheit noch schwach umschrieben ist. Bis zur Vertrauensabstimmung im Senat am Mittwoch und am Donnerstag im Abgeordnetenhaus wird es wohl still um Draghi bleiben. Kein Kommentar, kein Tweet, wie man es von seinen Vorgängern gewohnt war. Die 67. Regierung der Nachkriegszeit steht, doch sie ist anders als alles Dagewesene.
Die 23 Ministerposten besetzte der 73-jährige Ex-Bankier und Hochschullehrer in Abstimmung mit Staatsoberhaupt Sergio Mattarella. Er berücksichtigte dabei das politische Gleichgewicht in seiner aus sechs größeren und weiteren kleineren Parteien bestehenden Koalition. Als weiterhin stärkste parlamentarische Kraft besetzt die linkspopulistische Fünf-Sterne-Bewegung vier Ministerien, der 34-jährige Außenminister Luigi Di Maio blieb im Amt. Die rechte Lega stellt drei Ministerposten, ebensoviele
Kabinettsposten erhielten die Sozialdemokraten sowie Forza Italia von Ex-Premier Silvio Berlusconi. Wie lange es diese bislang in offenem Konflikt koexistierenden Kräfte in einem Bündnis aushalten, ist die große Frage in Italien.
Auch wenn Draghi sein Regierungsprogramm noch schuldig ist, sind die Prioritäten angesichts der Pandemie und ihrer Folgen klar. Der Premier bestätigte Gesundheitsminister Roberto Speranza von der Linkspartei Leu im Amt, im Umgang mit der Pandemie setzt Draghi also auf Kontinuität. Neben der Impfkampagne liegt der Schwerpunkt der Regierung auf der Koordination und der Verteilung der EU-Hilfsgelder. Bis Ende April erwartet Brüssel einen schlüssigen Ausgaben-Plan. Vier parteilose Experten bilden den Kreis im Kabinett um Draghi, der unmittelbar mit der Verwendung der bis zu 209 Milliarden Euro EU-Gelder befasst sein wird. Wirtschaftsminister Daniele Franco hat langjährige Erfahrung als Spitzenfunktionär bei der italienischen Zentralbank und im staatlichen Verwaltungsdienst, er gilt als Intimus des Ex-EZB-Chefs. Als Minister für technologische Innovation wurde der ehemalige Vodafone-Manager Vittorio Colao vereidigt, der für die Vorgängerregierung bereits einen Plan zur Verwendung der EU-Milliarden erarbeitet hatte. Dritter im Bunde Draghis ist der Physiker Roberto Cingolani, der das bisherige Umweltministerium in eine Behörde für eine „ökologische Wende“umbauen soll. Als Minister für Infrastruktur und Verkehr amtiert der ehemalige Leiter des Statistikinstituts Istat, Enrico Giovannini. Der
Premier behielt das Portfolio für Europaangelegenheiten für sich. Die wichtigsten Kontakte nach Brüssel koordiniert Draghi mit seinen exzellenten Kontakten also selbst.
Kritik wurde bereits laut, da im Kabinett von 23 Ministerien nur acht von Frauen besetzt sind. Darunter sind die bisherige parteilose Innenministerin Luciana Lamorgese sowie die neue Justizministerin Marta Cartabia, frühere Präsidentin
des Verfassungsgerichtshofes. Besonders in der Fünf-Sterne-Bewegung rumort es. In einer Urabstimmung hatten die Parteimitglieder am Donnerstag den Weg für die Regierung freigemacht. Die politische Ausrichtung des Kabinetts stößt vielen an der Parteibasis nun aber auf. Bei der Vertrauensabstimmung im Senat wird deshalb mit bis zu 40 Nein-Stimmen aus den Reihen der Fünf Sterne gerechnet.