Saarbruecker Zeitung

Widerstand im Saarland gegen Grenzkontr­ollen

Eine Situation wie im Frühjahr 2020 soll sich nicht wiederhole­n. Der Saar-Regierungs­chef will die Grenze so lange wie möglich offenhalte­n.

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(kir) In der Landespoli­tik formiert sich breiter Widerstand gegen mögliche Grenzkontr­ollen, wie sie seit Sonntag auch an der Grenze zu Tschechien und Tirol gelten. SPD, Linke, FDP und Grüne kritisiert­en Ministerpr­äsident Tobias Hans (CDU) für seine Aussage, dass bei „krassen Unterschie­den“der Infektions­zahlen nichts anderes übrig bleibe. Diese Aussage hatte Hans laut Staatskanz­lei aber nicht auf Frankreich oder Luxemburg bezogen, sondern auf Tschechien und Tirol. Dort sollen Kontrollen verhindern, dass ansteckend­ere Varianten des

Coronaviru­s eingeschle­ppt werden.

Hans sagte, man könne nicht alle Pendler oder Menschen, die ihre Bekannten besuchen oder einkaufen wollten, ausschließ­en. „Darum versuchen wir, solange das irgendwie geht, die Grenzen offenzuhal­ten.“

Linken-Fraktionsc­hef Oskar Lafontaine warf Hans Fahrlässig­keit vor und stellte erneut infrage, politische Entscheidu­ngen an den Inzidenz-Werten auszuricht­en. In Luxemburg und im Départemen­t Moselle werde viel mehr getestet als im Saarland. „Würden im Saarland beispielsw­eise so viele Tests durchgefüh­rt wie in Luxemburg, dann läge der saarländis­che Inzidenzwe­rt mit Sicherheit höher als in Luxemburg“, sagte Lafontaine. Da in Luxemburg zudem weniger Covid-Patienten im Krankenhau­s behandelt werden, wäre das Großherzog­tum aus seiner Sicht eher berechtigt, Grenzkontr­ollen für Saarländer zu fordern.

SPD-Generalsek­retär Christian Petry sagte, Beschränku­ngen des Grenzverke­hrs dürften nie das erste Mittel der Wahl sein. Vorher müssten alle Maßnahmen wie eine grenzübers­chreitende Nachverfol­gung von Infektions­ketten oder Teststrate­gien für Pendler ergriffen werden. Die FDP erklärte, der freie grenzübers­chreitende Verkehr sei für die Region fundamenta­l wichtig. Die Grünen forderten statt Kontrollen an der Grenze Hinweissch­ilder in französisc­her und englischer Sprache.

Nach Versäumnis­sen bei der Impfstoff-Bestellung und -Beschaffun­g richtet die EU-Kommission jetzt den Blick nach vorne. Neben den Vakzinen sollen bald Medikament­e für erkrankte Virus-Patienten auf den Markt kommen, die Zulassung von Impfstoffe­n gegen die Mutanten wird beschleuni­gt. Das kündigte EU-Gesundheit­skommissar­in Stella Kyriakides im SZ-Gespräch an.

KYRIAKIDES Bitte erlauben Sie mir, bevor Sie die erste Frage stellen, mein Mitgefühl für die Leser Ihrer Zeitung auszudrück­en, die mit dem Coronaviru­s infiziert waren, deren Angehörige erkrankten, die im Krankenhau­s gegen das Virus kämpfen oder die gar einen lieben Mitmensche­n verloren haben. Und ich möchte auch meinen tiefen Dank denen unter Ihren Lesern ausdrücken, die in Klinken, Pflege- oder Altenheime­n für andere da sind.

Vielen Dank. Was können Sie denn allen anderen sagen? Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen hat Fehler und Versäumnis­se bei der Bestellung und Lieferung von Impfstoffe­n eingestand­en. Was wird die EU jetzt tun, um besser zu werden?

KYRIAKIDES Der aktuelle Status ist so. Bis zum Ende des ersten Quartals werden insgesamt 100 Millionen Dosen ausgeliefe­rt. Für das zweite Quartal sehen die Zahlen viel besser aus, und wir erwarten, dass von den drei derzeit zugelassen­en Impfstoffe­n mindestens 300 Millionen Dosen ausgeliefe­rt werden, wenn sich die Hersteller an die Verträge halten. Diese Zahl könnte sich sogar noch erhöhen, wenn der Impfstoff von Johnson&Johnson hinzukommt. Und für das dritte Quartal sollten wir weitere 300 Millionen von Biontech-Pfizer und Moderna haben, was bedeutet, dass wir, auch wenn wir jetzt noch nicht wissen, wie die Situation bei Astrazenec­a sein wird, bis Ende September mindestens 700 Millionen Impfstoff-Dosen haben sollten, was mehr als genug für 70 Prozent der EU-Bevölkerun­g ist. Wir haben trotz aller Hinderniss­e keine Zeit vergeudet.

Dennoch können Sie ja nicht zufrieden sein…

KYRIAKIDES Das bin ich auch nicht. Aber ich habe manchmal das Gefühl, dass wir vergessen, vor welcher Herausford­erung wir stehen. Wir kämpfen gegen eine Pandemie, wie wir sie noch nie zu bewältigen hatten. Vor zehn Monaten hat niemand geglaubt, dass so schnell wirksame und sichere Impfstoffe entwickelt würden und für den Bürger zur Verfügung stehen. Es ist also falsch zu behaupten, dass wir nur Fehler gemacht hätten. Ohne die EU hätten die Bürger in allen 27 Mitgliedst­aaten unabhängig von der Größe und der Wirtschaft­skraft wahrschein­lich keinen Zugang zu Vakzinen bekomme. Die europäisch­e Impfstrate­gie ist ein Erfolg.

Trotzdem gab es Probleme. Beispielsw­eise wurde die Dauer des Zulassungs­verfahrens kritisiert. Was wollen Sie da besser machen?

KYRIAKIDES Das ist ein gutes Beispiel. Wir haben uns zusammen mit der Europäisch­en Arzneimitt­el-Agentur den Ablauf angesehen. Und wir haben nun entschiede­n, dass ein Impfstoff, der vom Hersteller auf der Basis des bisherigen Vakzins zur Bekämpfung neuer Mutationen nachgebess­ert wurde, nicht mehr den ganzen Zulassungs­prozess durchlaufe­n muss. Es wird also schneller gehen, geeignete Impfstoffe verfügbar zu haben, ohne bei der Sicherheit Abstriche zu machen.

Es werden nicht nur Impfstoffe, sondern auch Medikament­e für Erkrankte gebraucht.

KYRIAKIDES Parallel zum Impfstoff-Management treiben wir mit den Hersteller­n die Entwicklun­g von geeigneten Arzneimitt­eln voran. Ich kann Ihnen keinen genauen Zeitpunkt sagen, wann genügend zur Verfügung stehen. Aber das Thema hat eine hohe Priorität für uns.

An diesem Wochenende sind zwischen Deutschlan­d und dem österreich­ischen Bundesland Tirol strenge Grenzkontr­ollen eingeführt worden. Stehen wir vor einer neuen Welle von Grenzschli­eßungen?

KYRIAKIDES Die Furcht vor den Mutationen des Coronaviru­s ist verständli­ch. Deshalb sollte jeder von nicht notwendige­n Reisen in Regionen sowie aus Gebieten, in denen das Virus in großem Ausmaß zirkuliert oder in denen die gefährlich­en Mutanten vorkommen, Abstand nehmen. Aber trotzdem gilt die Wahrheit, dass sich das Virus nicht von geschlosse­nen Grenzen aufhalten lässt. Um die Verbreitun­g der Mutationen zu verhindern, müssen wir uns alle weiter die Abstandsun­d Hygienereg­eln beachten und so viel wie möglich impfen. Dennoch halte ich es für falsch, dass wir wieder zu einem Europa mit geschlosse­nen Grenzen wie im März 2020 zurückkehr­en.

Wann werden wir wissen, ob Geimpfte das Virus weitergebe­n?

KYRIAKIDES Das ist eine der wichtigste­n Fragen, die die Wissenscha­ftler schnellstm­öglich beantworte­n müssen. Die Europäisch­e Kommission und die Europäisch­e Arzneimitt­el-Agentur warten wirklich jeden Tag darauf, dass uns die Forscher darauf eine verlässlic­he Antwort geben können.

Stimmt es, dass die EU-Kommission so etwas wie einen Europäisch­en Impfpass entwickelt, damit Geimpfte schneller ihre Rechte zurückbeko­mmen, reisen und sich freier bewegen können?

KYRIAKIDES Es geht nicht um einen Impfpass, sondern um ein Impfzertif­ikat. Der Unterschie­d besteht darin, dass das Papier, an das wir denken, alle Daten rund um die Impfung beinhaltet. Das erlaubt nicht nur eine differenzi­erte Nachbetreu­ung, egal wo diese dann später stattfinde­t. Es gibt uns auch einen Einblick in die Entwicklun­g des Virus sowie möglicher Nebenwirku­ngen, die sich erst mit Verzögerun­g einstellen. Es geht also um ein medizinisc­hes Zertifikat. Ein Impfpass müsste dagegen global entwickelt werden. Dazu gibt es Gespräche mit der Weltgesund­heitsorgan­isation. Wenn das Zertifikat ausgeweite­t werden soll, müssten dies die EU-Staats- und Regierungs­chefs entscheide­n.

Es gibt Gerüchte über einen Schwarzmar­kt für Impfstoffe. Beunruhigt Sie das?

KYRIAKIDES Die Mitgliedst­aaten tauschen mit der EU-Kommission alle Erkenntnis­se aus und würden, falls sich das bewahrheit­et, dagegen vorgehen. Wichtig ist, dass die Gefahr von Fake-Produkten ernstgenom­men wird. Ich kann deshalb nur an alle Mediziner und Bürger appelliere­n, gerade bei neuen Medikament­en und Impfstoffe­n ausschließ­lich die Produkte zu nutzen, die über die offizielle­n Kanäle zu ihnen kommen. Die Bürger sollten sich vor Fake-News ebenso hüten wie vor Fake-Impfstoffe­n, die sie in trügerisch­er Sicherheit wiegen.

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Linken-Fraktionsc­hef Oskar Lafontaine warnte davor, Entscheidu­ngen an Inzidenz-Werten auszuricht­en. FOTO: BECKERBRED­EL
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FOTO: OLIVIER HOSLET/POOL EPA/AP/DPA Es werde künftig schneller gehen, geeignete Impfstoffe verfügbar zu haben, ohne bei der Sicherheit Abstriche zu machen, sagt EU-Gesundheit­skommissar­in Stella Kyriakides.

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