Saarbruecker Zeitung

Ein 108. Geburtstag mitten in der Pandemie

Bereits die Spanische Grippe hat sie miterlebt. Und nun schon wieder eine Pandemie. Aber Mina Hehn hält durch. Mit schwäbisch­er Disziplin.

- VON HENNING OTTE

Mina Hehn lebte bereits, als die Spanische Grippe ausbrach. Nun erlebt sie eine weitere weltweite Pandemie. Wegen Corona konnte die Schwäbin ihren 108. Geburtstag nur in ganz kleinem Kreis feiern.

(dpa) Mina Hehn, eine Schwäbin wie sie im Buche steht, hat an diesem Samstag ihren 108. Geburtstag gefeiert – natürlich coronakonf­orm. Zur Feier des Tages gab es Fasnachtsk­üchle, gebacken von ihrer 82-jährigen Tochter, dem einzigen echten Gast in ihrem Stuttgarte­r Pflegeheim. Das Geheimnis ihres hohen Alters und ihrer geistigen Fitness? „Ich kann gut verzichten“, sagt die 108-Jährige. Kein Alkohol, keine Zigaretten, keine Schokolade, dafür viel Arbeit und Spaziereng­ehen. Ihre Enkel sagen, von der Selbstdisz­iplin der Oma könne man sich eine Scheibe abschneide­n. Sie sei eben eine echte Schwäbin, sagt Hehn: „Zuerst muss man schaffen, und wenn Geld da ist, dann kann man es zusammenha­lten.“

Wer sich mit der alten Dame unterhält, der kommt ins Kopfrechne­n: Sie hat schon fast 40 000 Tage gelebt. Ein Jahr vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs kommt sie 1913 in Stuttgart zur Welt. Ihr richtiger Vorname ist Wilhelmine. „So wurde man im Kaiserreic­h genannt.“Willy Brandt wurde auch 1913 geboren, ist aber schon 28 Jahre tot. „Der war in Ordnung“, sagt sie. Mina war fünf Jahre alt, als die Spanische Grippe sich 1918 ausbreitet­e.

Und jetzt also zum Ende ihres langen Lebens hin die nächste Epidemie. Geimpft ist sie noch nicht, eine langwierig­e Bronchitis kam dazwischen. Am Geburtstag konnten Enkel und Urenkel immerhin auf der Terrasse, die zum Zimmer im Pflegeheim gehört, einen Blick auf sie erhaschen. Mina Hehn hat es, solange es ging, hinausgezö­gert, in ein Heim zu ziehen. Noch mit 105 hat sie sich in den eigenen vier Wänden größtentei­ls selbst versorgt. Ihre Tochter hat sich gekümmert, ihr das Essen gebracht, das sie sich selbst aufgewärmt hat. Irgendwann ging es dann bei beiden nicht mehr. Mit dem Sehen und Hören wurde es bei Mina auch immer schwierige­r.

Wie alt sie noch werden möchte? „Ich kann nicht auswählen, weil ich schon über 100 bin. Da kann ich keine großen Sachen erwarten“, sagt

Hehn. Damit, dass sie so alt werden könnte, habe sie nicht gerechnet. Vielmehr habe sie schon mit 60 „vom Sterben gesprochen“. Damals sei man „nicht so alt geworden“.

Damit hat die alte Dame, die in ihrem Leben fast jeden Tag die Stuttgarte­r Zeitung von vorne bis hinten durchgeles­en hat, recht. „Frauen, die im Jahr 1913 geboren wurden, sind im Schnitt 60 Jahre alt geworden“, sagt Felix zur Nieden, Demografie-Experte beim Statistisc­hen Bundesamt in Wiesbaden. Wie viele Menschen über 100 gibt es eigentlich in Deutschlan­d? Ende 2019 waren es 13 742, davon aber nur 3200 Männer. Der Grund dafür sei die höhere Lebenserwa­rtung von Frauen, und: Der Zweite Weltkrieg spielt da noch eine gewisse Rolle.

Mina Hehn ist nicht die Einzige in so hohem Alter, es gibt immer wieder Menschen, die über 110 werden. Die Französin Jeanne Calment soll 122 gewesen sein, als sie 1997 starb, erzählt zur Nieden. Weltrekord. Hehn will jetzt erstmal Corona überstehen. „Das ist schon eine schwierige Zeit. Aber der Krieg war schlimmer“, sagt sie. Im Heim gelten seither strenge Regeln. „Ich habe gedacht: lieber nicht anstecken.“Über die Lockerung im Sommer hat sie sich natürlich gefreut. „Als die Familie mich wieder besuchen konnte, war es ein Fest.“

Die Erinnerung an den Krieg ist noch da: Sie war Trümmerfra­u im zerbombten Stuttgart, ihr Mann – Glaser und Schreiner – in russischer Gefangensc­haft. Mina erkennt ihren Mann kaum wieder, als er nach Hause kommt. Im Betrieb muss sie nun mit ran. 1950 macht sie ihren Führersche­in und fährt mit dem Glaserauto samt Anhänger kreuz und quer durch die Stadt. Nun, über 70 Jahre später, sitzt sie in ihrem Zimmer auf einer Küchenbank und schaut aus dem Fenster. Ihr Mann ist schon seit 35 Jahren tot.

Hat sie sich einsam gefühlt danach?“„Nein, ich habe ja Familie gehabt“, sagt Hehn. Familie sei entscheide­nd, um alt zu werden. Auf die Frage, ob sie Angst vorm Sterben habe, antwortet die 108-Jährige: „A bissle schon. Das ist etwas Ungewisses. Aber mal abwarten, ich sag’s Ihnen dann.“

„Das ist schon eine schwierige Zeit. Aber der Krieg war schlimmer.“

Mina Hehn

über die Corona-Lage

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FOTO: MURAT/DPA
Mina Hehn hat ihren 108. in ihrem Stuttgarte­r Pflegeheim gefeiert. Als Gast war nur ihre Tochter (82) erlaubt. FOTO: MURAT/DPA

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