Wo autonom fahrende Autos „denken“lernen
Die saarländische Ideenschmiede Zema forscht und entwickelt in Kooperation mit über 100 Partnern in Europa neueste Technologien.
Ein Besuch im Forschungszentrum für Mechatronik und Automatisierung (Zema) am Eschberger Weg ist wie ein reales Eintauchen in die Welt der Zukunft. Im Zema bekommen bereits autonom fahrende Autos intelligente Systeme eingepflanzt, die mittels hochempfindlicher Sensoren und Computererkennung von weitem Hindernisse erkennen können, automatisch reagieren, andere Fahrzeuge warnen und den Fahrer selbst in extremen Situationen sicher zum Ziel bringen. Erforscht werden Methoden, wie die Sensoren zu ihren Informationen aus dem täglichen Autoverkehr kommen.
Zugleich bekommen im Zema Roboter neue Aufgaben zugeteilt, wie sie mit Menschen noch besser zusammenarbeiten. Unternehmen in der Großregion Saarland, Lothringen und Luxemburg sollen diese Erkenntnisse künftig in der Produktion nutzen können. Mit Hilfe des von der EU geförderten Pilotprojektes „ricaip“werden schon von Saarbrücken aus auf Knopfdruck Arbeitsabläufe in einer Fabrik in Tschechien automatisch gesteuert. Neue Produktionsabläufe sollen zudem eine noch effektivere Produktion ermöglichen. An dem Projekt ist von deutscher Seite aus auch das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) beteiligt. Langfristig
soll aus der zwei-Länder Kooperation Deutschland-Tschechien ein europäischer Forschungsstützpunkt hervorgehen, der über verschiedene Standorte verteilt ist. Dazu zählen jetzt schon Prag, Brno und Saarbrücken. Gemeinsam will man die Digitalisierung in der Industrie voranbringen.
An einer anderen Stelle im Zema ist eine „digitale Fabrik“aufgebaut. Einzelne Stationen von Montagebändern können ihren Standort selbst verändern und sich auch neu vernetzen. Produktionsabläufe werden so verkürzt und flexibler. Die Stationen auf Rollen sind verschiebbar und werden mit Hilfe Künstlicher Intelligenz (KI) gesteuert. Experten nennen das wandlungsfähige Produktionsanlagen. Auch die Software kann schnell an neue Gegebenheiten angepasst werden. Hier hilft ein digitaler Zwilling der Produktionsanlage, eine perfekte zeitgleiche Simulation der Original-Anlage im Computer.
„Tritt in der Realität ein Fehler auf, muss man nicht gleich die die Produktion unterbrechen, sondern kann die Situation inklusive der Lösung am digitalen Zwilling durchspielen“, erläutert der wissenschaftliche Zema-Geschäftsführer Rainer Müller. Die Produktionssteuerung gibt vor, was jeweils produziert werden soll. Und die einzelnen Stationen mit ihren Fähigkeiten melden sich auch selbstständig im System an.
Heute schon arbeiten Unternehmen wie Bosch und Audi in einzelnen Werksbereichen mit solchen flexiblen Industrie-Steuerungen. „Das System ist für alle großen Autohersteller
geeignet“, sagt Müller. „Wir denken nach vorne und setzen zugleich neue technologische Maßstäbe, die die Welt der Industrie stark verändern“, erläutert er die Hauptaufgabe des Zema.
Zugleich betont der kaufmännische Geschäftsführer Andreas Noss, dass es 2020 trotz der Corona-Krise gelungen sei, alle gesetzten Ziele und Vorgaben zu erreichen, vor allem dank einer „konsequenten und vorausschauenden Organisationsentwicklung im Zema“. In dieser Ideenschmiede arbeiten schon über 120 Mitarbeiter. Europaweit kooperieren über 100 Partner aus der Industrie bei Neuentwicklungen mit den Saarländern. Hauptgesellschafter des Zema sind das Saarland, die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW ) sowie die Universität des Saarlandes.
2020 erreichte das Zema ein Projektvolumen von vier Millionen Euro. 2021 ist ein Projektvolumen von über vier Millionen Euro aus anwendungsnahen Industrieprojekten
und öffentlich finanzierten Projekten geplant. Besondere Hoffnungen setzt das Zema auf die „Robotix-Akademie“und das „Mittelstandszentrum 4.0“, in dem neue Produktionsabläufe speziell für mittelständische Betriebe entwickelt werden. Aus der „Robotix-Akademie“heraus soll bis 2022 mit Hochschulen aus Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Belgien, den Niederlanden und Großbritannien ein dauerhaftes Forschungs-Cluster für Industrierobotik entstehen. Die
EU fördert das Projekt mit 15 Millionen Euro. Weitere Mittel kommen aus Interreg-Programmen.
Das Zema selbst investiert 2021 vier Millionen Euro. „Wir werden auch 2021 weiter wachsen“, betont Noss. Dabei spielt das autonome Fahren eine große Rolle. Im Zema ist eine Original-Produktionseinheit eines Autowerks aufgebaut. Forscher testen das sensible Zusammenwirken zahlreicher Sensoren, die sicheres autonomes Fahren erst möglich machen: von Radarsensoren über Leader-Sensoren, Wärmebildkameras bis hin zu Ultraschallsensoren zur Kontrolle des Fahrzeugumfeldes. „Die Herausforderung besteht daran, all diese Sensoren im Fahrzeug so verlässlich aufeinander einzustellen, dass sie von der ersten Sekunde der Autofahrt an voll funktionsfähig sind“, erläutert Müller.
Da das Auto der Zukunft auch mit Wasserstoff unterwegs sein wird, arbeitet das Zema an einem Verfahren, wie man Brennstoffzellen schneller montieren und produzieren kann. Auch ein neuartiges Verfahren für industrielle Klímatechnik im stark wachsenden Bereich der Sensorik und Aktorik steht vor der Serienreife. Es soll weltweit große Mengen an Energie einsparen und die von der Politik gesetzten Klimaziele erfüllen. Über 40 Projekte auf 6800 Quadratmetern werden in den drei Hallen des Zema betreut. Vieles davon wird schon bald in der Industrie zum Einsatz kommen.
„Wir werden auch 2021
weiter wachsen.“
Andreas Noss
Kaufmännischer Geschäftsführer