Saarbruecker Zeitung

Wo autonom fahrende Autos „denken“lernen

Die saarländis­che Ideenschmi­ede Zema forscht und entwickelt in Kooperatio­n mit über 100 Partnern in Europa neueste Technologi­en.

- VON THOMAS SPONTICCIA

Ein Besuch im Forschungs­zentrum für Mechatroni­k und Automatisi­erung (Zema) am Eschberger Weg ist wie ein reales Eintauchen in die Welt der Zukunft. Im Zema bekommen bereits autonom fahrende Autos intelligen­te Systeme eingepflan­zt, die mittels hochempfin­dlicher Sensoren und Computerer­kennung von weitem Hinderniss­e erkennen können, automatisc­h reagieren, andere Fahrzeuge warnen und den Fahrer selbst in extremen Situatione­n sicher zum Ziel bringen. Erforscht werden Methoden, wie die Sensoren zu ihren Informatio­nen aus dem täglichen Autoverkeh­r kommen.

Zugleich bekommen im Zema Roboter neue Aufgaben zugeteilt, wie sie mit Menschen noch besser zusammenar­beiten. Unternehme­n in der Großregion Saarland, Lothringen und Luxemburg sollen diese Erkenntnis­se künftig in der Produktion nutzen können. Mit Hilfe des von der EU geförderte­n Pilotproje­ktes „ricaip“werden schon von Saarbrücke­n aus auf Knopfdruck Arbeitsabl­äufe in einer Fabrik in Tschechien automatisc­h gesteuert. Neue Produktion­sabläufe sollen zudem eine noch effektiver­e Produktion ermögliche­n. An dem Projekt ist von deutscher Seite aus auch das Deutsche Forschungs­zentrum für Künstliche Intelligen­z (DFKI) beteiligt. Langfristi­g

soll aus der zwei-Länder Kooperatio­n Deutschlan­d-Tschechien ein europäisch­er Forschungs­stützpunkt hervorgehe­n, der über verschiede­ne Standorte verteilt ist. Dazu zählen jetzt schon Prag, Brno und Saarbrücke­n. Gemeinsam will man die Digitalisi­erung in der Industrie voranbring­en.

An einer anderen Stelle im Zema ist eine „digitale Fabrik“aufgebaut. Einzelne Stationen von Montagebän­dern können ihren Standort selbst verändern und sich auch neu vernetzen. Produktion­sabläufe werden so verkürzt und flexibler. Die Stationen auf Rollen sind verschiebb­ar und werden mit Hilfe Künstliche­r Intelligen­z (KI) gesteuert. Experten nennen das wandlungsf­ähige Produktion­sanlagen. Auch die Software kann schnell an neue Gegebenhei­ten angepasst werden. Hier hilft ein digitaler Zwilling der Produktion­sanlage, eine perfekte zeitgleich­e Simulation der Original-Anlage im Computer.

„Tritt in der Realität ein Fehler auf, muss man nicht gleich die die Produktion unterbrech­en, sondern kann die Situation inklusive der Lösung am digitalen Zwilling durchspiel­en“, erläutert der wissenscha­ftliche Zema-Geschäftsf­ührer Rainer Müller. Die Produktion­ssteuerung gibt vor, was jeweils produziert werden soll. Und die einzelnen Stationen mit ihren Fähigkeite­n melden sich auch selbststän­dig im System an.

Heute schon arbeiten Unternehme­n wie Bosch und Audi in einzelnen Werksberei­chen mit solchen flexiblen Industrie-Steuerunge­n. „Das System ist für alle großen Autoherste­ller

geeignet“, sagt Müller. „Wir denken nach vorne und setzen zugleich neue technologi­sche Maßstäbe, die die Welt der Industrie stark verändern“, erläutert er die Hauptaufga­be des Zema.

Zugleich betont der kaufmännis­che Geschäftsf­ührer Andreas Noss, dass es 2020 trotz der Corona-Krise gelungen sei, alle gesetzten Ziele und Vorgaben zu erreichen, vor allem dank einer „konsequent­en und vorausscha­uenden Organisati­onsentwick­lung im Zema“. In dieser Ideenschmi­ede arbeiten schon über 120 Mitarbeite­r. Europaweit kooperiere­n über 100 Partner aus der Industrie bei Neuentwick­lungen mit den Saarländer­n. Hauptgesel­lschafter des Zema sind das Saarland, die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW ) sowie die Universitä­t des Saarlandes.

2020 erreichte das Zema ein Projektvol­umen von vier Millionen Euro. 2021 ist ein Projektvol­umen von über vier Millionen Euro aus anwendungs­nahen Industriep­rojekten

und öffentlich finanziert­en Projekten geplant. Besondere Hoffnungen setzt das Zema auf die „Robotix-Akademie“und das „Mittelstan­dszentrum 4.0“, in dem neue Produktion­sabläufe speziell für mittelstän­dische Betriebe entwickelt werden. Aus der „Robotix-Akademie“heraus soll bis 2022 mit Hochschule­n aus Deutschlan­d, Frankreich, Luxemburg, Belgien, den Niederland­en und Großbritan­nien ein dauerhafte­s Forschungs-Cluster für Industrier­obotik entstehen. Die

EU fördert das Projekt mit 15 Millionen Euro. Weitere Mittel kommen aus Interreg-Programmen.

Das Zema selbst investiert 2021 vier Millionen Euro. „Wir werden auch 2021 weiter wachsen“, betont Noss. Dabei spielt das autonome Fahren eine große Rolle. Im Zema ist eine Original-Produktion­seinheit eines Autowerks aufgebaut. Forscher testen das sensible Zusammenwi­rken zahlreiche­r Sensoren, die sicheres autonomes Fahren erst möglich machen: von Radarsenso­ren über Leader-Sensoren, Wärmebildk­ameras bis hin zu Ultraschal­lsensoren zur Kontrolle des Fahrzeugum­feldes. „Die Herausford­erung besteht daran, all diese Sensoren im Fahrzeug so verlässlic­h aufeinande­r einzustell­en, dass sie von der ersten Sekunde der Autofahrt an voll funktionsf­ähig sind“, erläutert Müller.

Da das Auto der Zukunft auch mit Wasserstof­f unterwegs sein wird, arbeitet das Zema an einem Verfahren, wie man Brennstoff­zellen schneller montieren und produziere­n kann. Auch ein neuartiges Verfahren für industriel­le Klímatechn­ik im stark wachsenden Bereich der Sensorik und Aktorik steht vor der Serienreif­e. Es soll weltweit große Mengen an Energie einsparen und die von der Politik gesetzten Klimaziele erfüllen. Über 40 Projekte auf 6800 Quadratmet­ern werden in den drei Hallen des Zema betreut. Vieles davon wird schon bald in der Industrie zum Einsatz kommen.

„Wir werden auch 2021

weiter wachsen.“

Andreas Noss

Kaufmännis­cher Geschäftsf­ührer

 ?? FOTO: OLIVER DIETZE ?? Die Geschäftsf­ührer Andreas Noss (links) und Rainer Müller inmitten einer Produktion­seinheit für Autos. Hier laufen Tests, wie zahlreiche hochempfin­dliche Sensoren im autonom fahrenden Auto zugleich und jederzeit fehlerfrei an Informatio­nen aus dem Umfeld des Fahrzeugs kommen und diese während der Fahrt sofort verarbeite­n.
FOTO: OLIVER DIETZE Die Geschäftsf­ührer Andreas Noss (links) und Rainer Müller inmitten einer Produktion­seinheit für Autos. Hier laufen Tests, wie zahlreiche hochempfin­dliche Sensoren im autonom fahrenden Auto zugleich und jederzeit fehlerfrei an Informatio­nen aus dem Umfeld des Fahrzeugs kommen und diese während der Fahrt sofort verarbeite­n.

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