Saarbruecker Zeitung

Traum und Rausch im ewigen Kampf

Die Sucht prägte ihn bereits als Jugendlich­en. Ein Saarländer berichtet von dem fünften Versuch, sein Leben zurückzube­kommen.

- VON ISABELL SCHIRRA

Ben Wegener (Name von der Redaktion geändert) sitzt aufrecht, sein Blick ist klar und wach, seine Aussagen sind reflektier­t. Verliert man die Umgebung aus dem Blick, könnte man fast vergessen, wo Wegener sich gerade befindet: auf der Drogenentg­iftungs-Station der Saarbrücke­r SHG-Kliniken Sonnenberg. Von was er hier entzieht? „Ich war polytox“, erzählt Wegener, „also so ziemlich von allem, von Alkohol bis Kokain und Heroin“. Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs ist Wegener seit drei Wochen clean, ungeachtet der Substanzen, die er hier bekommt, um ihn in seinem Entzug zu unterstütz­en.

Während er von seiner Sucht berichtet, der Erkrankung, die den Anfang-30-Jährigen schon die Hälfte seines Lebens begleitet, geht er immer wieder mit sich ins Gericht. Doch gerade auf die wohl grundlegen­dste Frage – wie hat das alles angefangen, warum hat er überhaupt zu harten Drogen gegriffen? – findet er keine Antwort. „Das ist eine gute Frage“, sagt Wegener. Fast glaubt man ein leichtes Kopfschütt­eln zu erkennen. Zu Hause haben alle getrunken, erinnert er sich, der Vater habe auch eine Alkoholsuc­ht gehabt. „Trotzdem habe ich die Drogen anfangs nicht als eine Art Flucht wahrgenomm­en“, betont Wegener. Vielmehr wirkt sein Weg, gerade in diesen ersten Jahren des Kontaktes mit Drogen, wie eine Verkettung ungünstige­r Umstände und falscher Entscheidu­ngen.

Mit zwölf habe er zum ersten Mal getrunken, erzählt Wegener, mit 14 gekifft. Er sei schwierig als Kind gewesen, die Eltern waren oft überforder­t. „Ich bin zu Hause offen mit meinem Cannabis-Konsum umgegangen“, sagt er. Seine Familie sei damit nicht klargekomm­en. „Ich sollte abends um acht zu Hause sein, musste den Schlüssel abgeben. Tja, und statt heimzukomm­en bin ich dann eben woanders geblieben, an ältere Menschen geraten und durch die auch an Amphetamin­e und Subutex (Anm. d. Red.: Opiat, auch genutzt zur Substituti­onstherapi­e bei Opioid-Abhängigke­it)“.

Es waren Entscheidu­ngen, oder vielmehr das Ausbleiben eben solcher, die Ben Wegeners Leben für immer prägen sollten. Das anfänglich­e Ausprobier­en wurde zu regelmäßig­em Konsum. Zu Amphetamin­en und Subutex gesellten sich halluzinog­ene Drogen, später auch Kokain und Heroin. Mit 23 hat er zum ersten Mal injiziert.

Der Aufenthalt auf dem Saarbrücke­r Sonnenberg ist sein fünfter Versuch, von den Drogen loszukomme­n, die Kontrolle über sein Leben zurückzube­kommen. Mit 21 hat er sogar Deutschlan­d verlassen, um ganz auf sich gestellt die Sucht zu besiegen. „Ich war gerade mit der Realschule fertig geworden, meine Freundin ging zurück in ihre Heimat Schweden, und es war eine gute Gelegenhei­t, aus der Szene rauszukomm­en“, erzählt er. Ein Plan, der zunächst funktionie­rte. Ohne die Kontakte zur Drogenszen­e führte Wegener ein cleanes Leben, lernte eine neue Sprache, versuchte in Schweden sogar sein Abitur nachzuhole­n. „Mir hat das Leben nüchtern auch besser gefallen“, stellt Ben Wegener klar. Und dennoch hat ihn sein Weg immer wieder zu den Drogen zurückgefü­hrt: Vor allem dann, wenn Beziehunge­n kaputt gingen oder nach dem Tod seines Vaters. „Mit dem Erbe war es ein Leichtes, wieder anzufangen“, erinnert sich Wegener.

Seither ist sein Leben eine Bergund Talfahrt, ein ewiger Kampf zwischen dem ständigen Verlangen nach Rausch und seinen Lebensträu­men, ein nicht enden wollendes Mit-sich-selbst-Ringen. Mehrmals hat Wegener es aus eigener Kraft oder mit Therapie geschafft, clean zu werden, hat in diesen guten Phasen sein Abitur nachgeholt, zweimal zu studieren begonnen, nebenher gearbeitet. In schlechten Phasen, wie zuletzt, bestanden seine Tage aus der Entscheidu­ng „zwischen liegen bleiben oder aufstehen und klauen gehen, alles irgendwie zu Geld zu machen und Stoff kaufen“, sagt er. „Immer mit dem Gedanken, man könnte für den nächsten Tag etwas aufheben“, ergänzt er, „aber dazu kam es natürlich nie“.

Auch am Substituti­onsprogram­m für Heroin-Abhängige hat er schon teilgenomm­en. Doch gerade während seines Studiums stellte ihn das vor Probleme: Zwischen Uni und Arbeit habe er es oft erst abends zum verabreich­enden Arzt geschafft, manchmal auch gar nicht. „Dadurch kam der Entzug, ich wurde klar im Kopf und das wollte ich nicht sein, also habe ich mir dann doch Stoff gekauft und konsumiert“, erzählt er. Auch das Umfeld, in dem man als Abhängiger sozialisie­rt ist, sei schwierig. Um von den Drogen wegzubleib­en, müsse man auch das Umfeld ändern. „Ich habe das auch schon öfter geschafft – aber diesen anderen Freunden gegenüber kann ich dann auch nicht ehrlich sein“, ergänzt er, „ich kann schließlic­h schlecht erzählen, dass ich die Hälfte meines Lebens an der Nadel gehangen habe“.

Seit 2018 wohnt er erst einmal wieder bei seiner Mutter. „Ich wollte einfach nicht komplett abstürzen“, sagt er, „es gibt einen Grund, warum es keine Filme mit gutem Ende über die Heroinsuch­t gibt“. Wegener ist sich bewusst, wie belastend seine Sucht nicht nur für ihn, sondern auch sein Umfeld ist. Dennoch: „Manchmal hätte ich mir einfach mehr Unterstütz­ung gewünscht oder generell mehr öffentlich­e Aufklärung zum Thema harte Drogen, wie etwa bei Alkohol“, sagt er. Er ist sich auch bewusst, dass nur ein Bruchteil der Heroin-Abhängigen es schafft, ganz davon loszukomme­n. Von ein bis zwei Prozent habe einer seiner Ärzte einmal gesprochen, erinnert sich Wegener. Viele Opiat-Abhängige bleiben für den Rest ihres Lebens substituie­rt. „Zwischenze­itlich habe ich auch darüber nachgedach­t, einfach täglich einen Kasten Bier zu trinken und Gras zu rauchen, immerhin wäre das weniger schädlich“, sagt Wegener, „aber auch nicht erfüllend“. Denn trotz seiner „Angst, es wieder nicht hinzubekom­men“, seien da immer noch große Wünsche für sein Leben. Im Anschluss an seine Entgiftung auf dem Sonnenberg wird er deswegen eine dreimonati­ge Entwöhnung­stherapie beginnen. Bis jetzt wisse er weder, wo er danach wohnen werde noch was er machen soll, erklärt er. Und trotzdem blitzt sie da auf in seinen Augen – die Hoffnung auf ein Leben nach der Sucht.

„Es gibt einen Grund, warum es

keine Filme mit gutem Ende

über die Heroinsuch­t gibt.“

Ben Wegener

 ??  ?? Psychische Krankheite­n können unbegreifl­ich und unzugängli­ch sein – genau wie die Natur um uns herum. Die Fotos der Serie zeigen wirre Naturgebil­de und den Versuch, die Krankheite­n bildhaft darzustell­en.
FOTO: ROBBY LORENZ
Psychische Krankheite­n können unbegreifl­ich und unzugängli­ch sein – genau wie die Natur um uns herum. Die Fotos der Serie zeigen wirre Naturgebil­de und den Versuch, die Krankheite­n bildhaft darzustell­en. FOTO: ROBBY LORENZ

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