Der Radsport lässt ihn einfach nicht los
Andreas Walzer musste seine Profi-Karriere vor 20 Jahren wegen einer Herzmuskel-Entzündung beenden. Heute berät der Olympia-Sieger Profis für ein RadsportUnternehmen – unter anderem Triathlet Jan Frodeno vom LAZ Saarbrücken. Und geht als Hobby-Triathlet
Andreas Walzer hat schon für viele sportliche Schlagzeilen gesorgt. Im Trikot der Radlerfreunde Homburg – und der deutschen Nationalmannschaft. Elf Mal wurde der 50-Jährige deutscher Meister auf der Bahn und auf der Straße. In Japan wurde Walzer 1990 Vizeweltmeister mit dem Bahn-Vierer in der Mannschaftsverfolgung über 4000 Meter. Ein Jahr später wurde er in der gleichen Disziplin in Stuttgart Weltmeister. Doch den Höhepunkt seiner Kariere erfuhr Walzer 1992 bei den Olympischen Spielen in Barcelona. Mit dem Bahn-Vierer gewann er die Goldmedaille.
Doch der größte Moment seiner Karriere geht mit einem Wermutstropfen einher. Der Wermutstropfen – das war die Entscheidung des damaligen Bundestrainers Wolfgang Oehme, den Homburger nicht im Finale einzusetzen. Während Stefan Steinweg, Jens Lehmann, Michael Glöckner und Guido Fulst sich auf die 4000 Meter machten und im Fnale gegen Australien durchsetzten, saß der damals 22-jährige Walzer im Innenraum des Velodroms in Vall d‘Hebron und musste zuschauen. Dabei hatte Walzer zuvor alle Rennen bestritten, gehörte zur Stammformation, die ein Jahr zuvor bei der WM in Stuttgart die Goldmedaille gewonnen hatte. Und ausgerechnet jetzt, im wichtigsten Rennen seines Lebens, fuhr statt Walzer Guido Fulst. Eine Entscheidung, an der der Homburger lange zu knabbern hatte. „Bis heute weiß ich nicht, warum der Bundestrainer mich rausgenommen hat“, sagte Walzer noch 2016. „Ich weiß nur eins: Ich war ganz bestimmt nicht der Langsamste.“
Radprofi zu werden, das war eigentlich nicht Walzers Ziel. „Ich bin da einfach so reingewachsen“, erzählte er einmal. Seit frühester Kindheit saß er auf einem Fahrrad – Papa Bernhard war selbst Radsportler. Profi wurde Sohnemann Andreas schließlich doch. Allerdings erst 1995. Zuvor gewann er 1993 mit der Vierer-Straßenmannschaft
des Bundes Deutscher Radfahrer bei der WM in Oslo Silber. Dann trat er zunächst für Schauff Öschelbronn – und schließlich den Nachfolge-Rennstall Gerolsteiner in die Pedale. Und mischte auf internationalem Parkett mit. Walzer holte Etappensiege bei der Tour de Liège, der Tour de la Région Wallonne oder der Tour de Moselle. Den Sprung zu einer der drei großen Rundfahrten, dem Giro d‘Italia, der Vuelta España oder der Tour de France, schaffte er aber nie. Ein Umstand, den er einmal als „vielleicht einzigen Makel meiner Karriere“bezeichnete.
Nach nur sechs Jahren musste Walzer seine Profi-Karriere beenden. Nach einem dramatischen Zwischenfall: Bei der Hessen-Rundfahrt steht 2001 das Einzelzeitfahren an. Walzer tritt an, kann das Rennen aber nicht beenden. Sein Puls rast, überschlägt sich. Eine Herzkatheter-Untersuchung wird durchgeführt, Walzers Herz fängt an zu flimmern – und bleibt dann stehen. Walzer ist bei Bewusstsein, bekommt alles mit. „Ich habe gemerkt, wie sich Panik ausgebreitet hat“, erinnerte er sich. Mit einem großen Defibrillator bringen die Ärzte Walzers
Herz wieder in ruhige Bahnen. Später wird festgestellt, dass er unter einer Herzmuskel-Entzündung leidet – sein Karriere-Ende ist mit im Alter von 31 Jahren besiegelt.
Walzer musste sich beruflich neu orientieren. 2002 übernahm der gelernte Industriekaufmann im Jugenddorf Homburg die Leitung
der Verwaltung. Berufsbegleitend bildete sich der Familienvater als Betriebswirt weiter. Dem Radsport blieb er treu. So war er von 2008 bis 2012 sportlicher Leiter der U 23-Bundesliga-Mannschaft von MLP/Wiesloch. Als Experte begleitete er für den Saarländischen Rundfunk zahlreiche Tour-de-France-Rundfahrten. Auch beim Weltcup-Nachwuchsrennen „Saarland Trofeo“der Gemeinde Gersheim ist er Berater und Begleiter.
2012 erhielt Walzer erneut eine Chance, sich beruflich zu verändern. Vom Koblenzer Radhersteller Canyon-Bicycle bekam er aufgrund seiner Erfahrung im Radrennsport und seiner betriebswirtschaftlichen Ausbildung das Angebot, in die Fahrrad-Industrie einzusteigen. Walzer ist bei dem Unternehmen für die Ausrüstung und das Material zahlreicher Rad-Profis zuständig, die die Komponenten von Canyon fahren. „Mehr als 200 Profis vom Straßenrennsport über Cross und Mountainbike bis zum Triathlon stehen bei Canyon unter Vertrag“, berichtet er. Sechs Profi-Teams wie Movi-Star und Alpecin Phönix rüstet Canyon aus. Auch die mehrfachen Sieger des Hawaii-Triathlons, Jan Frodeno vom LAZ Saarbrücken und Patrick Lange vom DSW Darmstadt, fahren mit Material von Canyon. Walzer berät die Profis mit seiner Expertise nicht nur über Radteile wie Rahmen, Lenker oder Sattelstütze – er führt auch Vertragsgespräche. Als Leiter des Teams „Pro-Sport-Management“bei Canyon verhandelt er unter anderem mit Stars wie dem Niederländer Mathieu Van der Poel und dem
Spanier Alejandro Valverde.
Die Corona-Pandemie beeinflusst auch Walzers Arbeit. „Vieles läuft zur Zeit im Homeoffice.“Drei Mal in der Woche ist er aber in Koblenz vor Ort – und steht zudem in ständigem Kontakt mit den Profis, die er betreut. Die seien selbstverständlich in großer Sorge darüber, dass der Radrenn-Kalender noch immer leer bleibt. Vor kurzem hätten die Athleten bei der Rundfahrt „Down Under“in Australien in die Pedale treten sollen.
Doch nicht nur beruflich, auch privat ist Walzer dem Radsport noch verbunden. Auch wenn er sich sportlich nicht mehr darauf beschränkt. Durch den Kontakt mit Frodeno und Lange kam auch Walzer auf den „Triathlon-Geschmack“. Seit vier Jahren nimmt er an Rennen über die Mitteldistanz teil. Das bedeutet 1,9 Kilometer Schwimmen, einen Halbmarathon laufen – und eben auch 90 Kilometer Radfahren. „Dabei geht es aber mehr um den Spaß und weniger um gute Platzierungen“, sagt der 50-Jährige, der in Schwarzenbach wohnt. Doch ganz ohne sportlichen Ehrgeiz geht es bei Walzer nicht. Wenn es seine Zeit zulässt, trainiert der einstige Olympia-Sieger fünf bis sechs Mal in der Woche. Tochter Sara, ebenfalls eine Hobby-Triathletin, begleitet ihn beim Training. Walzers Sohn Grischa hat andere sportliche Ambitionen: Er spielt bei der U 19 der SV Elversberg und will Fußball-Profi werden. Walzers Karriere als Radsportler habe die Kinder nicht beeinflusst. „Die sollten sich ihren Sport selbst aussuchen“, sagt er.
Dennoch wissen seine Kinder selbstverständlich über seine Erfolge Bescheid. Als Andreas Walzer vor fünf Jahren einmal seine olympische Goldmedaille vermisste, fand sich diese im Schulranzen von Junior Grischa wieder, der sie mit in die Schule genommen hatte, weil das Thema Olympia auf dem Stundenplan stand. „Jeder sollte was mitbringen, was mit Olympia zu tun hat“, erzählt Walzer, „die Lehrerin hat ein bisschen gezittert, als sie die Medaille in der Hand hatte“.
„Bis heute weiß ich nicht, warum der Bundestrainer mich rausgenommen hat. Ich weiß nur eins: Ich war ganz bestimmt nicht der
Langsamste.“
Andreas Walzer wurde bei Olympia 1992 in Barcelona, wo der deutsche Bahnrad-Vierer Gold gewann,
ausgerechnet im Finale nicht eingesetzt