Saarbruecker Zeitung

Zweifel bei Saar-Pflegern an Astrazenec­a-Impfstoff

Der Verdi-Pflegebeau­ftragte stellt Vorbehalte fest. Auch verpasste Impf-Termine für Ärzte sorgen für Wirbel.

- VON TOBIAS FUCHS

(fu/kir/ulb) Vorbehalte beim medizinisc­hen Personal gegenüber dem Vakzin von Astrazenec­a haben im Saarland Sorge um den Erfolg der Impfkampag­ne gegen das Coroanavir­us ausgelöst. „Wir haben bei diesem Impfstoff ein Akzeptanzp­roblem“, bestätigte Gesundheit­sministeri­n Monika Bachmann (CDU) am Montag im Landtag. Nach Aussage des Pflegebeau­ftragten der Gewerkscha­ft Verdi im Saarland, Michael Quetting, gibt es „eine hohe Zahl“von medizinisc­hem und pflegerisc­hem Personal, „das auf einer Impfung mit einem mRNA-Impfstoff besteht“. Zu diesen zählen die Vakzine von Biontech/Pfizer und Moderna, die im Saarland seit Wochen im Einsatz sind. Studien belegen, dass sie eine höhere Wirksamkei­t gegen eine Corona-Erkrankung haben als das Astrazenec­a-Vakzin, ein so genannter Vektor-Impfstoff.

Dieser ist derzeit aber für Menschen über 65 Jahre nicht empfohlen. Daher wird er derzeit in der ersten Impf-Priorisier­ungsgruppe vor allem bei Ärzten und Pflegern eingesetzt. Die anderen, weiter knappen Vakzine bleiben Über-80-Jährigen vorbehalte­n. Quetting sagte, für viele in der Pflege Beschäftig­te sei der Impfstoff von Astrazenec­a „zweite Wahl“. Er habe dennoch die „dringende Bitte, sich impfen zu lassen“. Denn die Unterschie­de zwischen den Impfstoffk­lassen seien aus Sicht der Wissenscha­ft gering. Auch mit Astrazenec­a geimpfte Personen seien „in jedem Fall besser geschützt als nicht geimpfte Personen“. Ministerin Bachmann sagte, es gebe bei den Impfstoffe­n „kein Wunschkonz­ert“.

Die Diskussion um Vorbehalte des medizinisc­hen Personals gegen den Vektor-Impfstoff bekam zusätzlich­e Nahrung, weil am Samstag mehr als die Hälfte von 200 Saar-Ärzten einen Sonderimpf­termin nicht wahrgenomm­en hatte. Die Kassenärzt­liche Vereinigun­g machte dafür aber „überwiegen­d organisato­rische Probleme“verantwort­lich.

Zweifeln nun auch Ärzte im Saarland am Corona-Impfstoff von Astrazenec­a? Für Gesundheit­sministeri­n Monika Bachmann (CDU) lag die Antwort am Montagmorg­en auf der Hand. Ein Zahnarzt hatte sich an die saarländis­che Ministerin gewandt. Er habe den „gefährlich­sten Beruf der Welt“, soll er Bachmann geschriebe­n haben. Sie könne ihm doch nicht den „schlechtes­ten Impfstoff“verabreich­en. So berichtete es Bachmann, als sie im Landtag über die Fortschrit­te beim Impfen gegen Covid-19 sprach.

Tatsächlic­h droht den Bemühungen der Landesregi­erung um eine zügige Immunisier­ung der Bevölkerun­g durch den neuen Impfstoff von Astrazenec­a ein herber Rückschlag. Bachmann räumte im Parlament ein „Akzeptanzp­roblem“bei den vom Coronaviru­s besonders gefährdete­n Berufsgrup­pen ein. In den klinischen Studien schnitt der vom britisch-schwedisch­en Pharmaries­en entwickelt­e Vektor-Impfstoff bei den 18- bis 55-Jährigen mit einer Wirksamkei­t von 62 Prozent schlechter ab als die Präparate von Biontech/ Pfizer und Moderna, die beide über 90 Prozent erreichten. Experten mühen sich, die Daten einzuordne­n, sie betonen die Schutzwirk­ung gegen schwere Krankheits­verläufe, die auch dieser Impfstoff verspricht. Doch aus den Schlagzeil­en kommt das Produkt nicht heraus. Schon vor der Zulassung schreckten Berichte über mögliche Impfreakti­onen auf. Zuletzt stand der Schutz gegen Corona-Mutationen in Frage. Europaweit hält man den Impfstoff für einen Retter zweiter Klasse.

Bei der Impfkampag­ne im Saarland spielte der dritte zugelassen­e Wirkstoff gegen Covid-19 bisher eine untergeord­nete Rolle. Vor einer Woche traf die erste Lieferung von Astrazenec­a in der Region ein. Doch dessen Liefermeng­en steigen in der nächsten Zeit rasch an, bis Ende März erwartet man 50 000 Dosen zusätzlich, wie Bachmann ankündigte. Und weil es in Deutschlan­d für den Impfstoff eine Altersbesc­hränkung gibt, er nur Menschen zwischen 18 und 64 Jahren gespritzt werden soll, gilt er nun als erste Wahl für Ärzte und Pfleger.

Dass nicht nur einzelne Mediziner dem Stoff von Astrazenec­a mit zunehmende­r Skepsis begegnen, untermauer­te Ministerin Bachmann mit einer alarmieren­den Zahl. Am vergangene­n Samstag hätten sich 200 niedergela­ssene Ärzte im Saarland eine erste Spritze abholen können. Es handelte sich um einen Sonderterm­in für Mediziner mit einem besonders hohen Ansteckung­srisiko. Also Hausärzte, die Patienten im Altenheim aufsuchen oder für andere Abstriche bei Corona-Symptomen vornehmen. Oder Fachärzte, die einen engen Kontakt zu ihren Patienten haben wie Hals-Nasen-Ohren-Ärzte oder Gastroente­rologen, die Darmspiege­lungen durchführe­n. Sie sollten am Samstag ausschließ­lich mit dem Impfstoff von Astrazenec­a immunisier­t werden.

Doch mehr als die Hälfte der angemeldet­en Doktoren erschien nach Angaben der Unionspoli­tikerin nicht im Impfzentru­m. Bachmann führte das auf die geplante Impfung mit dem Vakzin von Astrazenec­a zurück. Das Fernbleibe­n der Mediziner bezeichnet­e sie im Parlament als „unsolidari­sch“. „Für mich ist das schwer nachzuvoll­ziehen, wenn der Schrei nach Impfstoff immer mehr kommt“, sagte sie. Ausdrückli­ch wandte sie sich gegen ein „Wunschkonz­ert“bei der Auswahl eines Impfstoffe­s.

Auch bei der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g (KV) im Saarland ging man nach den verfallene­n Terminen von einer Verweigeru­ngshaltung aus. Im Laufe des Montags änderte sich diese Einschätzu­ng. Denn die leitenden Ärzte der Impfzentre­n riefen bei allen Kollegen an, die nicht gekommen waren. KV-Chef Dr. Gunter Hauptmann vermutet mittlerwei­le, dass „überwiegen­d organisato­rische Probleme“für die Abwesenhei­t der Ärzte verantwort­lich waren. Angeblich sollen Mediziner keinen oder gar zwei Termine mitgeteilt bekommen haben. Während „nur ganz wenige“seiner Kollegen sich dem Impfstoff verweigert­en, wie Hauptmann sagte. Dennoch beraumte die KV für Montagaben­d eine Krisensitz­ung an, am Dienstag soll eine Klarstellu­ng zu Astrazenec­a folgen.

Denn für die Ärzteschaf­t geht es nach den Terminausf­ällen nicht nur um ein Imageprobl­em angesichts langer Warteliste­n für eine Impfung. Sondern auch um die Glaubwürdi­gkeit gegenüber den eigenen Patienten. Und letztlich den Erfolg der Impfkampag­ne. Denn in ihren Praxen sollen die niedergela­ssenen Ärzte demnächst den Impfstoff von Astrazenec­a verimpfen, zur Erprobung läuft ein Modellproj­ekt. Wie sollen die Fachleute für diesen Stoff werben, wenn in Frage steht, ob sie sich selbst damit spritzen lassen würden? Solche Zweifel müssen die Ärzte nun ausräumen.

„Ich empfinde es als höchst unsolidari­sch gegenüber allen, die auf einen Impftermin warten.“

Monika Bachmann (CDU) über verfallene Impftermin­e

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FOTO: UTE KIRCH
Verdi-Pflegebeau­ftragter Michael Quetting ruft dazu auf, das Impfangebo­t zu nutzen. FOTO: UTE KIRCH
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Bei einem Sonderterm­in sollten 200 Ärzte eine Impfung erhalten. Weniger als die Hälfte der Mediziner kam zum Impfzentru­m.
FOTO: ROBERT MICHAEL/DPA/PICTURE ALLIANCE Bei einem Sonderterm­in sollten 200 Ärzte eine Impfung erhalten. Weniger als die Hälfte der Mediziner kam zum Impfzentru­m.

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