Saarbruecker Zeitung

„Tschüss, fühlt euch gedrückt!“

Die Coronapand­emie zwingt uns nun schon lange Zeit in einen neuen Alltag. Freunde treffen klappt meist nur digital. Und das wirkt nach.

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Wie sehr mir dieser Satz schon zum Hals raushängt. Und doch meine ich ihn jedes Mal aufs Neue ernst. So ernst, dass ich mich dabei selbst vor der Computerka­mera sitzend umarme, um denjenigen am anderen Ende der Verbindung zu demonstrie­ren, dass ich sie jetzt wirklich in den Arm nehmen würde, wenn es denn nur ginge.

„Tschüss, fühlt euch gedrückt!“Diese Worte sind im letzten Jahr zu meinem Standardsa­tz geworden, sobald ich mich nach einem virtuellen Treffen von meinen Freunden verabschie­de. Es steht außer Frage: Die Nähe fehlt. Gemeinsam Pizza bestellen und im Wohnzimmer auf dem Boden sitzen, weil das Sofa nicht groß genug für alle ist, fehlt. Ein Spieleaben­d, bei dem das Spielbrett nicht auf einer Webseite angezeigt wird, sondern haptisch vor einem auf dem Tisch liegt und die Würfel weitergere­icht werden, fehlt. Allen noch einen Schluck Wein nachschenk­en und leidenscha­ftlich stundenlan­g über Gott und die Welt philosophi­eren, fehlt.

Am Anfang der Pandemie schienen diese digitalen Zusammenkü­nfte noch mehr wie ein aufregende­r Lichtblick im gefühlt niemals endenden März 2020.

Sie haben die bis dahin normalen Treffen auf ein Stück Kuchen am Wochenende oder den gemeinsame­n Restaurant­besuch am Freitagabe­nd ersetzt. Doch so langsam, knapp ein Jahr und einen Lockdown später, wird mir deutlich, dass diese virtuellen Treffen vor den Bildschirm­en sich zu unserem neuen Freundscha­fts-Alltag gemausert haben – und wir damit eigentlich nicht glücklich sind, sondern nur aus der Not heraus eine Tugend geschaffen haben, die es uns ermöglicht, irgendwie Zeit zusammen zu verbringen. Meistens genau für zwei Stunden, dann sind alle müde, und wir beenden die virtuelle Zusammenku­nft.

Dennoch, wir haben uns eine Routine geschaffen. Schnell eine Nachricht in die Gruppe geschriebe­n und gefragt „Habt ihr mal wieder Lust auf einen Videoanruf?

Ich schlage den Donnerstag­abend vor.“Es folgen ein paar kurze Antworten: „Ja, passt“, „Bei mir auch“, „Geht klar“, „Bin leider raus, beim nächsten Mal wieder“. Und dann sitzen wir, mehr oder weniger pünktlich, zur vereinbart­en Uhrzeit vor unseren Computern, starren den Bildschirm an und hören uns gegenseiti­g zu, was es aktuell für Neuigkeite­n gibt. Wir trösten uns, wenn der Lagerkolle­r zu groß wird. Muntern uns auf, wenn es bei einer oder einem mal nicht so rundläuft wie gewünscht und freuen uns mit, wenn es etwas Spannendes zu berichten gibt. In all diesen Momenten wäre eine Umarmung auch angebracht, ist aber nicht möglich. Und das fehlt.

Doch all diesem immer noch neuen, virtuellen Alltag zum Trotz bin ich unheimlich froh darüber, dass wir überhaupt die Möglichkei­t haben, uns beim miteinande­r Sprechen auch sehen zu können. Ich kann für meine Freunde weiterhin da sein, wenn es ihnen mal nicht so gut geht, kann mit ihnen durch den Bildschirm anstoßen, wenn es etwas zu feiern gibt und kann sie dennoch auf eine bestimmte Art und Weise dabei ansehen. Das macht die Freundscha­ft trotz physischer Distanz greifbar.

Und ich kann ihnen zum Abschied nicht nur sagen „Tschüss, fühlt euch gedrückt!“, sondern es ihnen zumindest auch noch zeigen, wie ernst ich diesen Satz meine.

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