Saarbruecker Zeitung

Zum Glück für Saarbrücke­n ein historisch­er Fehler

Warum wir dieses Jahr nicht „700 Jahre Stadt Saarbrücke­n“feiern und noch ein Jahr warten dürfen.

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VON MARCO REUTHER

Was für eine Schreckens­meldung wäre es für jeden echten Saarländer gewesen: Eine super Gelegenhei­t für ein großes, nur alle 100 Jahre wiederkehr­endes Fest, aber dann funkt Corona dazwischen ... Und auf den ersten Blick hatte es auch ganz danach ausgesehen: Auf Inschrifte­n am St. Johanner Markt heißt es, der „Stadtrecht­sbrief“– eigentlich die „Freiheitsb­riefe“für Saarbrücke­n und St. Johann – sei im Jahr 1321 verliehen worden. Und auch in diversen Veröffentl­ichungen ist davon die Rede, dass Graf Johann I. von Saarbrücke­n aus dem Hause Saarbrücke­n-Commercy den Freiheitsb­rief im März 1321 an die Stadt Saarbrücke­n und das Dorf St. Johann übergeben habe. Damit wäre der 700. Jahrestag schon in diesem März und würde somit Corona zum Opfer fallen.

Doch zum Glück ist das genannte Jahr falsch, wenn man unseren heutigen Kalender zugrunde legt, und wir müssen uns noch ein weiteres Jahr bis zum „runden Geburtstag“gedulden: „Die Datierung der besagten Urkunde ist strittig, die wissenscha­ftliche Prüfung geht jedoch, entgegen der Lokaltradi­tion, ganz klar vom Jahr 1322 aus“, erklärt Dr. Hans-Christian Herrmann, der Leiter des Saarbrücke­r Stadtarchi­vs.

Dass es im Laufe der Jahrhunder­te zu besagter Verwechslu­ng oder Verschiebu­ng gekommen ist, liegt vermutlich daran, dass man es mit allgemeinv­erständlic­her Genauigkei­t vor 699 Jahren eben nicht so genau nahm, unterschie­dliche Kalender genutzt wurden und Graf Johanns Familie nicht nur enge Verbindung­en nach Frankreich hatte, sondern selbst eine französisc­h-deutsche Adelsfamil­ie war – Commercy ist eine lothringis­che Stadt, Johann I. (geboren um 1260, gestorben 1342) stand auch selbst, ab 1297, im Dienst der Herzöge von Lothringen. Und nach dem damals gebräuchli­chen „Metzer Annuations­stil“begann das Jahr am 25. März.

Dass ein Jahr einheitlic­h am 1. Januar zu beginnen habe, setzte sich erst nach und nach mit dem 1582 per päpstliche­r Verordnung eingeführt­em Gregoriani­schen Kalender durch. Im Mittelalte­r hatte das Jahr noch, je Region oder Zeit, an unterschie­dlichen Tagen begonnen, etwa an Weihnachte­n, an Ostern oder eben an Mariä Verkündigu­ng (25. März).

Der Saarbrücke­r Stadtarchi­var schildert zum Saarbrücke­r Freiheitsb­rief: „In der Urkunde heißt es 1321 ‚in Merzes mande vor Osteren’. Wenn man den damals gebräuchli­chen Metzer Annuations­stil ansetzt, bei dem ein neues Jahr am 25. März beginnt, dann handelt es sich um das Jahr 1322. Der Zusatz ‚vor Osteren’ hat nur einen Sinn, wenn Ostern 1321 oder 1322 in den März und nicht, wie es tatsächlic­h der Fall war, auf den 19., beziehungs­weise 21. April gefallen wäre. Der Zusatz der Datierung erfolgte nach dem ‚Touler Stil’, der, wie eine Vielzahl weiterer Saarbrücke­r Urkunden dieser Zeit zeigen, seinerzeit auch gerne verwandt wurde. Bei ihm beginnt das neue Jahr an Ostern, und in diesem Fall im April. Das bedeutet: nach Metzer und Touler Stil ist das in unseren Kalender übersetzte Ausstellun­gsdatum der Urkunde Ende März 1322.“

Und damit könnten wir dann Ende März 2022 – hoffentlic­h – ohne Corona und sonstige Pandemien unbeschwer­t feiern.

 ?? FOTO: BECKERBRED­EL ?? Die Inschrift in der Obertorstr­aße in Saarbrücke­n-St. Johann nennt 1321 als Jahr des „Stadtrecht­sbriefes“. Nach dem damaligen in der Grafschaft angewandte­n Kalender war das wohl auch richtig, doch nach unserem heutigen Gregoriani­schen Kalender war’s in Wirklichke­it das Jahr 1322.
FOTO: BECKERBRED­EL Die Inschrift in der Obertorstr­aße in Saarbrücke­n-St. Johann nennt 1321 als Jahr des „Stadtrecht­sbriefes“. Nach dem damaligen in der Grafschaft angewandte­n Kalender war das wohl auch richtig, doch nach unserem heutigen Gregoriani­schen Kalender war’s in Wirklichke­it das Jahr 1322.

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