Wo die Silhouette der Vogesen erscheint
Wanderung durch den zauberhaften Bliesgau. Vor mehr als 160 Jahren schwärmte auch ein anonymer Autor von dem, was er da sah.
BLIESGAU/KLEINBLITTERSDORF „Ich sah einen schönen Herbsttag kommen, als ich Bliescastel verließ, um meine Wanderung thalabwärts gegen die französische Grenze hin fortzusetzen. Das nahe Dorf Mimbach hob seinen Kirchthurm aus dem Nebel empor, als ich quer über das Wiesenthal nach der Landstraße ging. […] Kein Mensch begegnete mir, kein Wagen fuhr an mir vorüber. […] Auch die Blies schlich lautlos zu meiner Rechten hin, und hätte sie nicht zuweilen am Wehr einer Mühle gerauscht, wären nicht die Kinder mit ihren kleinen Viehheerden im Wiesenthale sichtbar geworden, ich hätte geglaubt, der große Pan schlafe, ehe es Mittag geworden, und hätte am Ende mit der ganzen traumhaft stillen Landschaft zu träumen angefangen. – 1859, vor mehr als 160 Jahren, erschien diese Schilderung im „Morgenblatt für gebildete Leser , einer Zeitung, die in Stuttgart und München herausgegeben wurde. Der anonyme Autor ließ darin in mehrere Teilen seine Wanderung Revue passieren, die ihn von Zweibrücken aus über Webenheim und Blieskastel schließlich nach Reinheim, Habkirchen und auch über die deutsch-französische Grenze hinweg nach Frauenberg führte. Noch ganz beseelt vom Geist der Romantik, hielt der Wanderer jene Impressionen fest, die er bei seiner mehrtägigen Fußtour durch den Bliesgau gewonnen hatte.
Wanderungen in dem heutigen Biosphärenreservat haben also durchaus Tradition. Wer sich im Laufe der Jahrzehnte auf das Abenteuer einließ, per pedes die Region zu erkunden und danach darüber die Feder führte, der lieferte „Reisereportagen
, die bis heute nichts von ihrem Reiz verloren haben. Der Aufstieg auf den Kahlenberg bei Breitfurt wird nicht nur an der Ruine des Alexanderturms mit einem Beinahe-Panoramablick belohnt; Böckweiler liegt sozusagen zu Füßen, das Zweibrücker Land mit den Bergen des Pfälzer Waldes sind die Kulissen dazu. Als der Turm auf der über 400 Meter hohen Erhebung noch stand, sollen sich von dort oben aus noch famosere Aussichten geboten haben. Bei klarem Wetter, so heißt es in einer Erzählung des Schriftstellers Oskar Denger, sei gar das Straßburger Münster zu erkennen gewesen.
Auf der anderen Seite, dem Westen zugewandten Hang des Bliestals, lässt sich vom Kirchheimer Hof aus ebenfalls bestens Umschau halten. Die Biesinger Höhe, das so propere Dorf Wolfersheim am Kalbenberg und drunten im Tal Breitfurt mit seiner Bliesmühle sind einige der Blickfänge von dieser Stelle aus. „Das Gut liegt im Bliesthale. Es ist Hügelgegend, das Klima ist mild, Hagelschlag kommt selten vor, Frost dagegen im Vorsommer öfter. Die Ackerarbeiten beginnen Anfangs März und enden im November. Die übliche Fruchtfolge ist: Roggen gedüngt, dann Klee, Weizen, Kartoffeln, Hafer, Kartoffeln oder Runkelrüben gedüngt ...“, heißt es in einem 1879 erschienen „Handbuch. Dabei wird ausdrücklich erwähnt, dass das im Eigentum des „Herrn Alexandre Jacomin des Malespine befindliche Gut mit „einem prächtigen Garten, sehr schönen Gewächshäusern und vortrefflichem Obst“aufwarte. Der nach wie vor in der Region als „Schackmä“legendäre Besitzer war eben in jeder Hinsicht ein stilsicherer Schöngeist, der den Kirchheimer Hof als „Schmuckkästlein“gestaltete, das weit und breit seinesgleichen suchte.
Auf ihn zurück geht auch das heutige Aussehen der Ottilienquelle, die bis zum Ersten Weltkrieg Anziehungspunkt vieler Pilger speziell aus dem Elsass war. Augenleiden soll ihr Wasser gelindert haben, das freilich längst nicht mehr fließt. Ein anderer Pilgerort von Rang war der Husarenberg über Medelsheim. Die Kapelle dort oben zog nicht nur die Wallfahrer an, auch der Muttergottes scheint der Ort besonders am Herzen gelegen zu haben. 1873 kam es dort erstmalig auf heute saarländischem Boden (und damit drei Jahre vor den spektakulären Ereignissen im preußischen Marpingen) zu dem Phänomen von Marienerscheinungen. Abertausende Gläubige stürmten den Hauptort der „Parr und wollten daran teilhaben. Heute ist es wieder ruhig auf dem Husarenberg, der Ort selbst mit seiner uralten Martinskirche und dem pittoresken Kreuzweg gehört ebenso zu den Sehenswürdigkeiten wie das weite Lothringer Land in Richtung Süden. Ähnlich verhält es sich bei einem Spaziergang über die alte „Duser Straße“oberhalb von Pinningen, von wo aus sich die Silhouette der Vogesen ablesen lässt. Aber auch die Blicke über das Bickenalbtal hinüber in die Pfalz haben meditative Qualitäten.
So manch spektakulärer Aussichtspunkt muss jedoch mühsamer erstiegen werden. Der Blick von oben auf Wolfersheim setzt die Begehung verschlungener Pfade auf den Hanickel voraus. Belohnt werden die Strapazen von hier aus mit einem Orts- und Landschaftsbild, das sogar den Homburger Schlossberg samt Hotel beinhaltet. Gelegenheiten zu derartigen Abenteuertouren inklusive neuer Perspektiven bietet der Bliesgau gar zahlreiche – heute wie zu Zeiten der Wanderer im 19. Jahrhundert.