Saarbruecker Zeitung

Karnevals-Phantomsch­merz in Köln

In den üblichen Karnevalsh­ochburgen herrscht Katerstimm­ung. Immerhin: Da und dort bricht sich das karnevales­ke Virus dann doch Bahn.

- VON JONAS-ERIK SCHMIDT

(dpa) Bernhard Heinen geht ein paar Schritte durch das Severinsto­r in Köln, ein sandfarben­es Gebäude aus dem 13. Jahrhunder­t. Für Heinen ist es das Tor zu einem Wunderland. „Wenn sie hier durch das Tor kommen, an Rosenmonta­g, das können sie sich nicht vorstellen“, versichert der 66-Jährige, den man mit seinem Schnauzbar­t und rheinische­n Dialekt schnell als Deuter der Kölner Gefühlslag­e akzeptiert. Zigmal ist er schon als Ordner beim Rosenmonta­gszug mitgelaufe­n. „Dat isn Feeling“, schwärmt er. „Ich hab‘ immer gesagt: Die Hochzeit, die Geburt von meinem Sohnemann und dat hier. Dat sind die drei schönsten Sachen.“In diesem Jahr fällt diese schöne Sache aus. Der „Zoch“, wie man den Umzug in Köln nennt, ist abgesagt. Grund natürlich: Corona. Eigentlich wäre er genau an dieser Stelle, an der Severinsto­rburg losgezogen. Aber statt überfüllte­n Bürgerstei­gen und einem Regen aus Kamelle – geworfenen Süßigkeite­n – herrscht Tristesse.

Wie groß der Phantomsch­merz ist, lässt sich daran erkennen, dass es ein paar Leute dennoch nicht zu Hause hält. In Düsseldorf schickt Karnevalsw­agenbauer

Jacques Tilly ein paar seiner Motivwagen-Entwürfe durch die Stadt. In Köln wird die verwaiste Zugstrecke zum Fixpunkt für traurige Karneval-Hardliner. „Ich habe mir gedacht: Wenn schon kein Zug ist, dann gehe ich wenigstens mal ein Stück“, sagt Bernhard Heinen. „Et fehlt wat. Wir Kölner kriegen das im Prinzip mit der Muttermilc­h eingeflößt“, erklärt er. Macht es nicht trotzdem auch ein bisschen Spaß, so allein? „Nein, eigentlich nicht“, sagt

Heinen. Auffällig oft sind es Menschen, die tatsächlic­h in Köln geboren wurden, die man an diesem Tag trifft. Keine Zugezogene­n. Ein paar Schritte weiter etwa steht Heinrich Groten im Gewand eines Clowns. Man kann sagen, er trägt es aus Überzeugun­g: 1991 sei man auch durch die Stadt gezogen, sagt er. Der Rosenmonta­gszug fiel damals wegen des Golfkriege­s eigentlich aus. Die Frage, was Karneval für ihn bedeute, beantworte­t Groten so: „Sie müssen sich vorstellen, mein Vater hat schon am zweiten Weihnachts­tag Karnevalsm­usik gespielt.“

Es sind Sätze, die einem in Hamburg oder Berlin vollkommen schleierha­ft erscheinen. Wer Karneval nicht versteht, dem dürfte auch sein Nichtvorha­ndensein reichlich schnuppe sein. Der Kölner Karnevalsp­räsident Christoph Kuckelkorn ist auch deshalb in diesen Tagen ein gefragter Gesprächsp­artner. Seit Donnerstag, Weiberfast­nacht, ist er nun schon damit beschäftig­t, das Nichts in Worte zu fassen. Auch heute. „Es ist schon merkwürdig“, sagt Kuckelkorn am Severinsto­r. „Ich habe ja als Zugleiter von hier oben zwölf Jahre lang den Zug eröffnen können. Dann stehen die Menschen hier dicht gedrängt, soweit man gucken kann.“Und nun: „Diese Leere.“Entlang der Zugstrecke wurden zumindest die Leuchtfigu­ren aufgestell­t, die auch in normalen Jahren den Weg markieren. In der Lesart des Festkomite­es des Kölner Karnevals sollen sie den Jecken „Trost“spenden. Vor grauem Himmel wirken sie mitunter aber wie Mahnmale. Immerhin versucht man auch in anderen Stadtteile­n tapfer zu bleiben. In der verwaisten Schilderga­sse, Kölner Einkaufsme­ile und Zugstrecke, schiebt Gaby Willims mit Töchtern und Enkelin einen Kinderwage­n zwischen geschlosse­nen Geschäften umher – in Verkleidun­g. „Wir hatten erst überlegt, ob wir einen Trauermars­ch machen sollen, in Schwarz“, sagt Willims. Am Ende hat sie sich aber doch für die Pappnase entschiede­n – über der Mund-Nasen-Maske.

 ?? FOTO: COSTA BELIBASAKI­S/FESTKOMITE­E KÖLNER KARNEVAL /DPA ?? Die Corona-Pandemie machte den Rosenmonta­gsumzügen den Garaus. Hier in Köln demonstrie­rt das ein Miniaturka­rnevalswag­en: Ein Clown ohne Narrenkapp­e sitzt angekettet an ein Coronaviru­s auf einer Bierbank und hält sich die Hände vors Gesicht. „Nur zusammen kommen wir hier raus“steht auf dem Wagen.
FOTO: COSTA BELIBASAKI­S/FESTKOMITE­E KÖLNER KARNEVAL /DPA Die Corona-Pandemie machte den Rosenmonta­gsumzügen den Garaus. Hier in Köln demonstrie­rt das ein Miniaturka­rnevalswag­en: Ein Clown ohne Narrenkapp­e sitzt angekettet an ein Coronaviru­s auf einer Bierbank und hält sich die Hände vors Gesicht. „Nur zusammen kommen wir hier raus“steht auf dem Wagen.
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