Karnevals-Phantomschmerz in Köln
In den üblichen Karnevalshochburgen herrscht Katerstimmung. Immerhin: Da und dort bricht sich das karnevaleske Virus dann doch Bahn.
(dpa) Bernhard Heinen geht ein paar Schritte durch das Severinstor in Köln, ein sandfarbenes Gebäude aus dem 13. Jahrhundert. Für Heinen ist es das Tor zu einem Wunderland. „Wenn sie hier durch das Tor kommen, an Rosenmontag, das können sie sich nicht vorstellen“, versichert der 66-Jährige, den man mit seinem Schnauzbart und rheinischen Dialekt schnell als Deuter der Kölner Gefühlslage akzeptiert. Zigmal ist er schon als Ordner beim Rosenmontagszug mitgelaufen. „Dat isn Feeling“, schwärmt er. „Ich hab‘ immer gesagt: Die Hochzeit, die Geburt von meinem Sohnemann und dat hier. Dat sind die drei schönsten Sachen.“In diesem Jahr fällt diese schöne Sache aus. Der „Zoch“, wie man den Umzug in Köln nennt, ist abgesagt. Grund natürlich: Corona. Eigentlich wäre er genau an dieser Stelle, an der Severinstorburg losgezogen. Aber statt überfüllten Bürgersteigen und einem Regen aus Kamelle – geworfenen Süßigkeiten – herrscht Tristesse.
Wie groß der Phantomschmerz ist, lässt sich daran erkennen, dass es ein paar Leute dennoch nicht zu Hause hält. In Düsseldorf schickt Karnevalswagenbauer
Jacques Tilly ein paar seiner Motivwagen-Entwürfe durch die Stadt. In Köln wird die verwaiste Zugstrecke zum Fixpunkt für traurige Karneval-Hardliner. „Ich habe mir gedacht: Wenn schon kein Zug ist, dann gehe ich wenigstens mal ein Stück“, sagt Bernhard Heinen. „Et fehlt wat. Wir Kölner kriegen das im Prinzip mit der Muttermilch eingeflößt“, erklärt er. Macht es nicht trotzdem auch ein bisschen Spaß, so allein? „Nein, eigentlich nicht“, sagt
Heinen. Auffällig oft sind es Menschen, die tatsächlich in Köln geboren wurden, die man an diesem Tag trifft. Keine Zugezogenen. Ein paar Schritte weiter etwa steht Heinrich Groten im Gewand eines Clowns. Man kann sagen, er trägt es aus Überzeugung: 1991 sei man auch durch die Stadt gezogen, sagt er. Der Rosenmontagszug fiel damals wegen des Golfkrieges eigentlich aus. Die Frage, was Karneval für ihn bedeute, beantwortet Groten so: „Sie müssen sich vorstellen, mein Vater hat schon am zweiten Weihnachtstag Karnevalsmusik gespielt.“
Es sind Sätze, die einem in Hamburg oder Berlin vollkommen schleierhaft erscheinen. Wer Karneval nicht versteht, dem dürfte auch sein Nichtvorhandensein reichlich schnuppe sein. Der Kölner Karnevalspräsident Christoph Kuckelkorn ist auch deshalb in diesen Tagen ein gefragter Gesprächspartner. Seit Donnerstag, Weiberfastnacht, ist er nun schon damit beschäftigt, das Nichts in Worte zu fassen. Auch heute. „Es ist schon merkwürdig“, sagt Kuckelkorn am Severinstor. „Ich habe ja als Zugleiter von hier oben zwölf Jahre lang den Zug eröffnen können. Dann stehen die Menschen hier dicht gedrängt, soweit man gucken kann.“Und nun: „Diese Leere.“Entlang der Zugstrecke wurden zumindest die Leuchtfiguren aufgestellt, die auch in normalen Jahren den Weg markieren. In der Lesart des Festkomitees des Kölner Karnevals sollen sie den Jecken „Trost“spenden. Vor grauem Himmel wirken sie mitunter aber wie Mahnmale. Immerhin versucht man auch in anderen Stadtteilen tapfer zu bleiben. In der verwaisten Schildergasse, Kölner Einkaufsmeile und Zugstrecke, schiebt Gaby Willims mit Töchtern und Enkelin einen Kinderwagen zwischen geschlossenen Geschäften umher – in Verkleidung. „Wir hatten erst überlegt, ob wir einen Trauermarsch machen sollen, in Schwarz“, sagt Willims. Am Ende hat sie sich aber doch für die Pappnase entschieden – über der Mund-Nasen-Maske.