Die Tat von Hanau hat Spuren hinterlassen
Ein Jahr nach dem Anschlag mit neun Toten sehen nicht nur die Angehörigen weiter Handlungsbedarf gegen Rassismus und Rechtsextremismus.
(dpa) Ein Jahr ist es her, dass der Deutsche Tobias R. in Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven erschoss – und noch immer sind Entsetzen und Ratlosigkeit über die Tat in der Stadt greifbar. Am 19. Februar, diesen Freitag, werden Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) das zu spüren bekommen, wenn sie zusammen mit dem Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) und Angehörigen der Toten an der Gedenkfeier teilnehmen.
Vielfach hatten die Angehörigen in den vergangenen zwölf Monaten Konsequenzen aus der Tat gefordert – allen voran ein entschiedeneres Eintreten gegen Rechts. Den Behörden warfen sie vor, „Warnsignale“nicht ernst genug genommen zu haben. Neben Pamphleten mit Verschwörungstheorien und rassistischen Ansichten, die der 43-jährige Täter vor der Tat im Internet veröffentlicht hatte, gehört dazu auch ein von ihm verfasster, sehr wirrer Brief, der Monate zuvor beim Generalbundesanwalt eingegangen war.
Warum wurde dem nicht nachgegangen und warum durfte Tobias R. Waffen besitzen? Wie kann eine solche Tat künftig verhindert werden? Diese Fragen treiben nicht nur die Familien um. Schärfer formuliert es die „Initiative 19. Februar Hanau“, ein Zusammenschluss Hanauer Angehöriger.
In einem der Texte auf ihrer Homepage ist von einem „Versagen der Behörden vor, während und nach der Tat“, von „Schwerfälligkeit der Ämter bei der Unterstützung und Hilfe“und von „unverzeihlichem Fehlverhalten der Sicherheitskräfte in der Tatnacht“die Rede. Er zeigt, wie tief die Wunden und die Zerrissenheit in Hanau auch ein Jahr nach dem Anschlag noch sind.
Als besonders schwierig für die Hinterbliebenen schätzt der Opferbeauftragte der hessischen Landesregierung und ehemalige Generalstaatsanwalt, Helmut Fünfsinn, ein, dass es nach dem beispiellosen rassistischen Terroranschlag aller Voraussicht nach kein Strafverfahren geben wird, da sich der Täter selbst richtete. Denn auch wenn die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft noch nicht abgeschlossen sind: Bisher sollen sich nach Medienberichten keine Hinweise darauf ergeben haben, dass Tobias R. Mitwisser oder Helfer hatte.
Zuletzt dürfte die Mitteilung von Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU), der Polizeinotruf sei in der Tatnacht überlastet gewesen, den Unmut der Angehörigen geschürt haben. Brisant ist dieses Eingeständnis deshalb, weil eines der Opfer, der 22-jährige Vili Viorel P un, den Täter nach den ersten Schüssen mit seinem Auto verfolgt haben soll, um ihn zu stoppen – und dabei mehrfach vergeblich den Notruf gewählt haben soll. Kurz darauf war er von Tobias R. in seinem Auto erschossen worden. Auch wenn Beuth nun, ein Jahr nach der Tat, technische Gründe für den Engpass verantwortlich macht und auf das dennoch schnelle Handeln der Einsatzkräfte hinweist, bleiben Fragen.
Auf der anderen Seite habe es auch Dinge gegeben, die nach der Tat und bei der Aufarbeitung richtig gelaufen seien, sagt Fünfsinn. So sei es wichtig gewesen, dass der Generalbundesanwalt das Verfahren übernommen habe. Auch beim Engagement gegen Rechtsextremismus sieht Fünfsinn Fortschritte – und verweist etwa auf einen neuen Fonds für Projekte gegen Extremismus. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am Wochenende mit Blick auf das Hanau-Gedenken gemahnt – und auf Maßnahmen der Bundesregierung verwiesen. Ob sich der Alltagsrassismus, „den man nicht leugnen kann“, dadurch beeindrucken lasse, sagt Fünfsinn, stehe auf einem anderen Blatt.
Erst kürzlich hatte der Soziologe Matthias Quent angesichts der Tat von Hanau erklärt, dass die gesamte Gesellschaft im Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus gefordert sei – und erst ganz am Anfang eines langen Lernprozesses stehe.
Hinterbliebene werfen den Behörden „Versagen“vor.