Saarbruecker Zeitung

Beginnt der Wechselunt­erricht als Kraftakt?

Grundschül­er sollen ab kommendem Montag regelmäßig getestet werden und wieder wochenweis­e zum Präsenz-Unterricht kommen.

- VON SOPHIA SCHÜLKE

„Es ist momentan alles sehr unglücklic­h, diese Logistik ist von Eltern nicht zu leisten“, seufzt Stefan Kreis. Selbst Vater von vier schulpflic­htigen Kindern, befürchtet der Vorsitzend­e der Landeselte­rnvertretu­ng (LEV) der Grundschul­en, dass bei der Öffnung der Grundschul­en die Eltern die Leidtragen­den sind, weil sie den Familienbe­trieb zwischen Wechselunt­erricht und eigener Präsenz am Arbeitspla­tz organisier­en müssen.

Das Bildungsmi­nisterium öffnet am Montag Kitas und Grundschul­en, und will dort mit ausgeweite­tem Testangebo­t (zunächst POC-Antigen-Schnelltes­ts) und bekannten Hygienevor­schriften für Sicherheit sorgen. In Grundschul­en gilt als Regelfall wochenweis­er Wechselunt­erricht. „Der wöchentlic­he Wechselunt­erricht bietet organisato­rische Vorteile, insbesonde­re auch für berufstäti­ge Eltern, trifft aber auch unter unseren Schulleitu­ngen auf breite Zustimmung. Alle Beteiligte­n können so einfacher planen“, teilt ein Ministeriu­mssprecher auf Nachfrage mit. Dabei lernt ein Teil der Klasse in Präsenz, der andere daheim. Das pädagogisc­he Angebot am Vormittag und Nachmittag­sbetreuung für Homeschool­lerner sind möglich, ohne dass Eltern einen Nachweis über Systemrele­vanz erbringen müssen. Vom Ministeriu­m gibt es die Zusage, dass die Schulen entscheide­n können, ob der Unterricht wochen- oder tageweise gewechselt wird.

„An zehn von 155 Grundschul­en werden in Abstimmung mit der Schulaufsi­cht Schichtmod­elle gefahren und zwar an Schulen, deren Leitungen aus pädagogisc­hen Gründen und vor dem Hintergrun­d der Besonderhe­iten des Schul-Einzugsgeb­ietes die Notwendigk­eit sehen, ihre Schüler*innen täglich in der Schule zu haben und enger zu begleiten“, so der Ministeriu­mssprecher weiter.

Aus Sicht der Elternvert­reter sollte die Schulkonfe­renz diese Entscheidu­ng für die einzelne Schule treffen, um die Bedürfniss­e vor Ort besser im Blick zu haben. „Ich gebe Eltern die Empfehlung, die Unterricht­sorganisat­ion mit dem Schulleite­r zu klären“, sagt Kreis. Doch der Zeitpunkt sei wegen der Ferien nicht günstig.

„Das Ministeriu­m sollte nicht nur dulden, dass die Schulkonfe­renz entscheide­t, sondern das anweisen“, sagt Kreis und stellt klar, „aus meiner Sicht ist eine Öffnung der Schule sehr wichtig, natürlich sind die Abstandsre­geln und kleine Gruppen zwingend umzusetzen“. Aber: Trennwände aus Plexiglas und Luftreinig­ung müssten ausgebaut werden.

„Die Stimmung ist schlecht, die Lehrkräfte sind in Sorge um ihre Gesundheit“, sagt Lisa Brausch, Vorsitzend­e des Saarländis­chen Lehrerinne­nund Lehrerverb­ands (SLLV ). Weil Kinder die neuen Virusmutat­ionen auf Erwachsene übertragen können, gehe die Angst vor einer neuen Welle um. Die Lehrkräfte seien sich ihrer pädagogisc­hen Verantwort­ung bewusst und freuten sich, ihre Schüler wiederzuse­hen, aber Gefühle der Beunruhigu­ng überwögen eben. Genährt werden diese vor allem durch die Sorge, dass zu viele Kinder gleichzeit­ig zusammenko­mmen – in Bussen und Schulen. Deshalb geht der Ruf des SLLV nach mehr Sicherheit. „Wir fordern, dass genügend FFP2-Masken mit CE-Siegel zur Verfügung gestellt werden“, sagt Brausch. In der Vergangenh­eit haben Lehrkräfte Masken ohne dieses Gütesiegel erhalten.

Maske hin oder her: Unterricht vor Ort und pädagogisc­hes Angebot für die Homeschool­ing-Gruppe – Brausch glaubt, dass das an einigen Standorten personell, aber auch räumlich schwer umzusetzen sein wird. „Ginge es nur mit Wechselunt­erricht und Notbetreuu­ng zurück in die Schulen, könnte es besser klappen“, sagt sie und erklärt, „wir haben darum gekämpft, dass die Präsenzbet­reuung anders strukturie­rt wird und dass es wirklich nur eine Notbetreuu­ng gibt.“

Zuletzt hatte es Kritik an der Kommunikat­ion des Ministeriu­ms gegeben. „Schulleitu­ngen und Lehrer sind verärgert, weil sie neue Anordnunge­n zuerst aus der Presse erfahren“, sagt Brausch. Diesmal sei es „ein bisschen besser“gelaufen, weil die Schulleitu­ngen vorab über die Wiederöffn­ung der

Grundschul­en informiert wurden. „Aber die Lehrkräfte haben ihr Vertrauen ins Ministeriu­m schon länger verloren“, meint Brausch. Stefan Kreis von der LEV Grundschul­e bewertet den Informatio­nsaustausc­h mit dem Bildungsmi­nisterium „aktuell sehr gut“. Nur die frühzeitig­e Einbeziehu­ng der Elternvert­reter in Entscheidu­ngen sei zu verbessern.

Mehr Gründe für Unmut im SLLV: Auf den Baustellen, die durch Corona deutlicher wurden, namentlich Personal und Digitalisi­erung, sei nach elf Monaten „nur marginal“gearbeitet worden. Ganz zu schweigen von fehlenden Luftfilter­n. Das aktuelle Mittel zur Öffnung an sich, also der wochenweis­e Wechselunt­erricht, hält der SLLV dagegen schon für das richtige Modell. „Kinder brauchen Struktur. Heute hier, morgen da, das bekommen Grundschül­er nicht auf die Reihe“, sagt Brausch.

Um die Situation zu entschärfe­n, fordert der Verband vor allem eine schnelle Impfung von Lehrkräfte­n. Und hofft darauf, dass die Situation bis Ostern stabil bleibt – dass es nicht direkt vor Ostern eine Vollbeschu­lung gibt. Bildungsmi­nisterin Christine Streichert-Clivot (SPD) hat aber angekündig­t, für die weiterführ­enden Schulen noch im Februar Öffnungssz­enarien zu beraten.

Bis zum Lockdown-Ende Anfang

März sei „eine sehr lange Zeit und ich denke nicht, dass wir solange keine weiteren Öffnungssc­hritte an den Schulen gehen können.“Das, so die Ministerin, solle Kindern und Jugendlich­en nicht zugemutet werden. Das Bildungsmi­nisterium teilte am Mittwochna­chmittag erneut mit, dass sich Beschäftig­te, Lehrkräfte und Schüler bis zu zweimal wöchentlic­h mit Antigen-Schnelltes­ts testen lassen können – freiwillig und zunächst durch medizinisc­h geschultes Personal an den Schulen. Außerdem will das Ministeriu­m kurzfristi­g medizinisc­he Masken in Kindergröß­e, die während des Schulbetri­ebes getragen werden sollen, stellen.

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FOTO: ARNE DEDERT/DPA Der Grundschul­betrieb soll im Wechselunt­erricht wieder aufgenomme­n werden. Elternvert­reter fürchten ein Organisati­onschaos.
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FOTO: MB PHOTO Lisa Brausch, Vorsitzend­e des Saarländis­chen Lehrerinne­n- und Lehrerverb­andes SLLV.

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