Als das Saarland Afrikaner ausstellte
Die neuen „Saarbrücker Hefte“bieten Blicke in die Vergangenheit und Kritik an der Gegenwart. Um Kolonialismus und Rechtsextremismus geht es, um Verkehr, Literatur und Bildende Kunst.
Die Aktualität hat die neue Ausgabe überholt. Titelthema der „Saarbrücker Hefte“122 ist der Mord an Samuel Yeboah in der Nacht zum 19. September 1991; der Ghanaer starb nach einem Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim in Saarlouis. Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken stellte die Ermittlungen nach einem Jahr ergebnislos ein; erst 2020 wurde der Fall neu aufgerollt, wobei auch die Ermittlungen von 1991/92 untersucht werden: Wurde eine Spur in die rechtsextreme Szene nicht gründlich genug verfolgt?
Anstoß für die „Hefte“, sich dem Thema zu widmen und zu fragen: „Waren es Skins?“. Der Text von Ex-„Spiegel“-Redakteur“Wilfried Voigt mag jetzt nicht mehr auf dem neuesten Stand sein – denn nach Redaktionsschluss hat die Bundesanwaltschaft Ermittlungen gegen einen 49-Jährigen aus der rechtsextremen Saarlouiser Szene begonnen. Lesenswert ist er dennoch (und kostenlos zu lesen auf der Internetseite der „Hefte“). Voigt zeichnet die Zeit der Tat nach, zitiert nicht-öffentliche Aussagen aus der Politik von damals, nach denen Saarlouis „ein Schwerpunkt rechtsextremer Aktivitäten im Saarland“geworden sei. Öffentlich wurde dieser Eindruck von der Politik abgewiegelt. Voigts These über die Gegenwart: Das „Problem des Rechtsextremismus“sei auch fast 30 Jahre nach dem Tod Yeboahs „dramatisch“. In dem Magazin schließt sich eine mehrseitige Chronik rechter Gewalt im Saarland der vergangenen 30 Jahre an: von der
Neonazi-Attacke auf Roma 1990 bis zum Messerangriff auf einen Afrikaner in Burbach im Juni 2020. Eine grausige Lektüre.
Kolonialismus ist ein weiteres Thema – so blickt Sadija Kavgic auf die „Kola“, die „erste große Kolonial-Ausstellung“April/Mai 1913 in Saarbrücken. Die warb vollmundig mit vermeintlichen Attraktionen wie einem „ostafrikanischen Negerdorf mit 40 Eingeborenen aus Ostafrika“und „Häuptling Ogas mit seinen Lieblingsfrauen“. In dem Rahmen der „Kola“fand auch die Fahnenweihe der „ehemaligen Afrikaner“statt – gemeint sind deutsche Kolonialtruppen, die einen Volksaufstand in Deutsch-Südwestafrika (heutiges Namibia) blutig niederschlugen. Bei der Fahnenweihe wurden die Aufständischen als „räuberische Horden in Südwest“bezeichnet – eine sprachlich perfide Umkehrung der Tatsachen.
Regelmäßiger „Hefte“-Schwerpunkt ist die Verkehrspolitik, auch diesmal: Autor Klaus Gietinger beschäftigt sich mit den Regionalflughäfen der Großregion: Saarbrücken, Luxemburg, Metz-Nancy-Lorraine, Hahn, Lüttich und Charleroi. Die kannibalisierten sich gegenseitig, sagt Gietinger, und lebten „von staatlichen Investitionen“, nicht zuletzt der Saarbrücker Flughafen. „Das ist ökonomisch und ökologisch schwachsinnig.“Gietingers Vorschlag: alle Flughäfen außer Luxemburg aufgeben und deren Subventionsgelder in den ÖPNV und Bahnstrecken stecken. In diesem Zusammenhang kritisiert Werner Ried (Allianz Pro Schiene) in seinem Text „Irrwege der Asphaltierung“Anke Rehlinger (SPD), Ministerin für Wirtschaft, Arbeit, Energie und Verkehr. Für die geplante „Nordsaarlandstraße“, für Ried „nur eine Nordumfahrung von Merzig“, und die Umfahrung von Riegelsberg „auf zusätzlichem Asphalt, wo heute Wald steht“, seien Mittel vorhanden; aber für die „gesetzlich gebotene Daseinsvorsorge beim Angebot von Bussen und Bahnen sowie zum Ausbau von
Rad-Infrastruktur“fehle „angeblich“das Geld. Ried spricht von „Verblendung“und vermisst insgesamt eine nachhaltige Verkehrspolitik.
Lesenswert ist auch ein Text von Laura Weidig, die sich anhand des 50. Geburtstags der Saarbrücker Mensa mit der Architektursprache des Brutalismus beschäftigt und dessen „Gedanken der Aufrichtigkeit“: Das Material Beton soll nicht anders aussehen als Beton, und die Konstruktionsteile sollen ihre Funktion nicht verbergen – Gebäude also, die von ihren Herstellungsbedingungen und von ihrem Zweck erzählen. Vielleicht wird man die wuchtige Beton-Mensa nach der Lektüre des Textes noch schöner finden als zuvor (oder doch eher skeptisch bleiben) – aber anders anschauen wird man sie in jedem Fall.
Im weniger politisch denn künstlerisch ausgerichteten finalen Heftdrittel gibt es einen Blick auf den im Saarland geborenen Schriftsteller Wolfgang Brenner; Ralph Schocks Buch über Spuren des Expressionismus in der Saarregion und das Buch „Ver_Dichtungen“des in Saarbrücken lebenden Künstlers Albert Herbig werden rezensiert. Lyrik und Kurzprosa gibt es von Klaus Behringer, Sonja Ruf und Christina Haubrich, außerdem Nachrufe auf die Malerin Andrea Neumann und den Autor Helge Dawo.
In einem atmosphärischen Text nimmt uns Autor Ekkehart Schmidt zu einem Flanieren durch Gegenwart und Vergangenheit saarländischer Kneipen mit. In Ausgabe 121 hatte er die Tresen rund um Saarbrücken erkundet, nun geht es nach Völklingen und Luisenthal. Dort entdeckt Schmidt unter anderem die Kneipe „Zum Kumpel“, wo er bei der eher ungewöhnlichen Kombination Espresso plus „Roschdwurscht“Stammkunden nach verblichenen Kneipen befragt und Namen hört wie „Gehl Pit“, „Peifersch Eck“und „Zum Löwen“, die im sogenannten Volksmund wenig delikat „Café Scheißdreck“hieß. In Fenne besucht er das „Café Karadeniz“, das von Migranten betrieben wird, die die Kneipe „Achterklause“zum Teehaus umgebaut haben. Der Stadt Völklingen attestiert Schmidt nach dem Ende der Hütte als Arbeitgeber für Tausende „eine völlig neue Kneipen- und Imbisslandschaft“. Wo es früher „legendäre Geschichten von Doppelreihen mit Biergläsern und Mettschnittchen“gab, da „zapfen jetzt Migranten“. Den „Völklinger Kiez“um den Bahnhof herum gebe es schon lange nicht mehr, aber Schmidt entdeckt „die letzte echte Industriearbeiterkneipe“: die „Hüttenschänke“. Doch deren Überleben unter Corona ist ungewiss, spekuliert Schmidt, denn „die staatlichen Hilfen sind für viele Wirte zum Sterben zu viel, zum Überleben zu wenig“.