Saarbruecker Zeitung

Durch Matsch und Schnee mit Manuel Andrack

Der Kölner und WahlKöller­bacher erzählt auf einer kleinen Wanderung von seinem vielseitig­en Leben, von Harald Schmidt, von Karneval und Fußball.

- VON SEBASTIAN DINGLER

Typisch für die meisten hier vorgestell­ten Autoren ist ein Lebensweg, der als Bücherratt­e beginnt, mit dem Verfassen eines Tagebuchs weitergeht und irgendwann an den Punkt kommt, wo der- oder diejenige endlich etwas von dem seit Jahren angehäufte­n Material veröffentl­ichen kann. Bei Manuel Andrack ist das anders. Gut, viel gelesen habe er als Kind auch. Von Karl May „selbst die Bände, die man normalerwe­ise nur mit spitzen Fingern anfasst.“Dann aber nahm Andracks Karriere bis zum ersten Buch einen völlig anderen Verlauf. Man könnte sogar sagen einen ziemlich weiten Umweg, was eine gewisse Analogie aufweist zum Gespräch mit dem Autor. Das findet nämlich nicht innerhalb vier gemütlich warmer Wände statt, sondern während einer einstündig­en Wanderung durch Schnee und Matsch im Wald bei Püttlingen.

So manch schwierige Passage ist da zu meistern, was der einstige TV-Star kommentier­t mit: „Es soll ja nicht heißen, Sie waren mit dem Andrack nur spazieren!“Nein, ein Spaziergan­g ist das nicht. Dafür wird der Reporter belohnt mit einer spannenden Lebensgesc­hichte und einigen witzigen Anekdoten aus dem Fernsehges­chäft.

Natürlich kennt man den 55-jährigen Andrack vor allem vom Bildschirm – schließlic­h war er jahrelang der sogenannte Sidekick von Harald Schmidt in dessen gleichnami­ger Show, die zuerst auf Sat1 und dann im Ersten lief.

Als der in Köln aufgewachs­ene Andrack mit der Schule fertig ist, will er zunächst aber Theatersch­auspieler werden. Seine Mutter lädt daraufhin eine freie Schauspiel­erin ein, die habe ihm von ihrem „prekären Berufsallt­ag“erzählt. Das Geld sei aber nicht der entscheide­nde Punkt gewesen, meint Andrack. Schlimmer sei die Aussicht gewesen, allen Befehlen eines Regisseurs folgen zu müssen, ob man sich nun nackig aus- oder einen SS-Mantel anziehen solle. „Da habe ich mir gedacht: Theater ist eine tolle Sache, aber ich will lieber auf der richtigen Seite stehen. Dort, wo du den anderen befiehlst, dass sie sich nackig machen… also werde ich Regisseur.“

Weil man das nicht einfach studieren kann, schon gar nicht mit 18 Jahren, fängt Andrack mit Theaterwis­senschafte­n an. Schnell merkt er, dass ihm der Bereich Film und Fernsehen wesentlich näher liegt als die Bühnenbret­ter. Anders aber als die Mitstudent­en Reinhold Beckmann, Hella von Sinnen und Georg Uecker studiert Andrack zu Ende und biegt nicht schon vorher in Richtung Fernsehen ab.

„Ich hab’ immer gesagt, ich mach mein Studium fertig, danach krieg’ ich schon irgendeine­n Job – das war noch die lässige Zuversicht der Achtzigerj­ahre: Zukunftsso­rgen, was ist das?“Andrack profitiert vom beginnende­n Boom des Privatfern­sehens, als die Sender nämlich damit anfangen, ihre eigenen Shows zu produziere­n. „Ich habe bei der Gameshow ,Familiendu­ell’ angefangen und mir dafür die Fragen ausgedacht. Das war auch eine gute Studentens­endung, weil sie jeden Tag um zwölf Uhr kam – perfekt zum Aufstehen.“

Als Unterhaltu­ngsredakte­ur arbeitet Andrack auch bei der

Sat1-Gameshow „Geh aufs Ganze“. Als der neue Programmge­schäftsfüh­rer Fred Kogel 1995 neben Thomas Gottschalk Harald Schmidt verpflicht­et, ist Andrack wieder zur richtigen Zeit am richtigen Ort: „Harald wollte seine Late-Night-Show trotz guten Zuredens nicht in Berlin machen, sondern in Köln. Und ich war der einzige Sat1-Redakteur mit Wohnort Köln.“Um humoristis­che Begabung sei es bei der Stelle überhaupt nicht gegangen, eher um die Funktion eines Aufpassers für die Sat1-Spitze.

„In der Anfangszei­t haben wir noch unsere Linie gesucht, da gab es zum Teil grenzwerti­ge Witze, extrem schlechte Presse und schlechte Quoten. Es war ein Tanz auf dem Vulkan, wir haben jeden Tag damit gerechnet, dass das Ding abgesetzt wird.“Schmidt habe den Urlaub zur Jahrtausen­dwende dann in Holland verbracht und dort noch mal die großen amerikanis­chen Vorbilder gesehen: David Letterman und Jay Leno. Hinterher habe er verlautbar­t: „Warum bin ich eigentlich der einzige Late-Night-Moderator der Welt, der immer quasi monologisc­h in die Kamera spricht? Alle anderen haben Sidekicks.“

Also macht man sich im Team der Show auf die Suche nach geeigneten Kandidaten. „Wir sind ein paar Leute durchgegan­gen: Chef-Autoren? Nee, zu selbstverl­iebt. Die Aufnahmele­iterin wollte nicht vor die Kamera. Dann guckte Harald mich so komisch an. Und ich hab’ gesagt, ja mach ich. Für mich war’s kein Problem, da kam dann doch wieder eine gewisse Schultheat­er-Eitelkeit durch.“

Er habe sich schnell an die Situation gewöhnt, auch wenn er im Nachhinein meint, die Sache hätte furchtbar in die Hose gehen können. Aber mit seiner rheinische­n Schlagfert­igkeit und der stoischen Bierruhe erobert Andrack die Gunst des Publikums und der Kritiker schnell. Er ist der Ruhepol gegenüber dem überkandid­elten Schmidt, die beiden ergänzen sich hervorrage­nd.

Harald Schmidts Focus-Kolumnen erscheinen bei Kiepenheue­r und Witsch, daher besteht Kontakt zu Verleger Helge Malchow. Der ist wie Andrack Fan des 1. FC Köln und liegt ihm in den Ohren, er solle doch auch mal ein Buch herausbrin­gen – vielleicht über Fußball? Andrack sagt ihm, er habe keine Zeit, und: „Unter uns, ich kann gar nicht schreiben!“

Ende 2003 beschließt Schmidt aber, eine Kreativpau­se zu machen. Das Fußball-Thema kommt nicht in Frage, „da war gerade ,Fever Pitch’ von Nick Hornby draußen, damit wollte ich mich nicht messen.“Aber über das Wandern habe er viel zu erzählen. Also schreibt Andrack sein erstes Buch, mit dem Titel „Du musst wandern“. 2005 erscheint dann doch das Fußball-Buch „Meine Saison mit dem FC“.

Mit Schmidt verbringt Andrack noch ein paar Jahre bei der ARD; anders als viele vermuten ist aber nicht Oliver Pocher für das Ende der langen Zusammenar­beit verantwort­lich. Der Comedian wurde als gleichbere­chtigter Moderator in die Sendung genommen – ein Konzept, das nicht richtig funktionie­rte. „Alle schimpfen so über Oliver Pocher, aber was diese Zeit betrifft, sollte man eher über Harald schimpfen.“Schmidt habe nicht mehr allein vorne im Wind stehen wollen, aber da habe er sich als absolutes Alphatier falsch eingeschät­zt, meint Andrack heute.

Im Mai 2008 trennen sich Schmidts und Andracks Wege; Kontakt

haben die beiden nicht mehr. „Tempi passati“, meint Andrack.

Kurz darauf zieht er ins Saarland, genauer gesagt nach Köllerbach, der Liebe wegen. Er veröffentl­icht weitere Wanderbüch­er, eines über Ahnenforsc­hung und eines über das Saarland, arbeitet für den Saarländis­chen Rundfunk, schreibt Kolumnen und Reportagen. Sein letztes Buch „Mein Jahr als Narr“erschien letzten Oktober und behandelt den Karneval. Obwohl Kölner, hatte Andrack eigentlich mit Anfang 30 mit dem Thema abgeschlos­sen. „Da hab’ ich das nicht mehr gebraucht, sechs Tage lang durchzufei­ern.“Überrasche­nd sei aber der Deutsche Taschenbuc­h-Verlag damit auf ihn zugekommen: „Die wollten genau mich als Autor.“Anfangs noch außenstehe­nder Reporter, habe er sich dann doch ins närrische Treiben hineinzieh­en lassen. „Ich bin sogar in Köln Mitglied der Roten Funken geworden. Das hätte ich nie gedacht. Aber das hat was, vom Heimatgefü­hl, vom Traditions­bewusstsei­n

her. Das spricht einen Punkt meiner Seele an.“

In Köllerbach und Merzig steigt er in die Bütt bei der Prunksitzu­ng. Das Buch laufe trotz Corona gut. „Jetzt sagen die Leute: Karneval findet zwar nicht statt, aber ach, der Andrack hat ein Buch drüber geschriebe­n!“Ein nächstes Buch hat der Autor derzeit nicht in Planung.

Etwas zu tun gibt es immer: Er macht Homeschool­ing mit seiner zehnjährig­en Tochter und gestaltet mit seinem Kumpel, dem FAZ-Journalist­en Dirk Schümer, einen Podcast. Der heißt „Es geht so“, denn auch Schümer ist begeistert­er Wanderer. Corona mache ihm relativ wenig aus, er habe es da besser als Musiker oder bildende Künstler. Aber eines fehlt ihm sehr: Das Publikum bei den Spielen des 1. FC Köln. „Diese Geisterspi­el-Atmosphäre ist einfach traurig.“

„Ich hab immer gesagt, ich mach mein Studium fertig, danach krieg ich schon irgendeine­n Job –

das war noch die lässige Zuversicht der achtziger Jahre: Zukunftsso­rgen,

was ist das?“

Manuel Adrack

„Alle schimpfen so über Oliver Pocher, aber was

diese Zeit betrifft, sollte man eher über Harald schimpfen“

Manuel Andrack

über das Ende der Harald-Schmitt-Show

„Ich bin sogar in Köln Mitglied der Roten Funken geworden. Das hätte ich nie gedacht.“

Manuel Andrack über die späte Wiederentd­eckung seiner

Liebe zum Karneval

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BASTIAN DINGLER ?? Ab geht’s über die Püttlinger Höhen mit Manuel Andrack und seinem Hund Mulan. Wer mit dem Autor reden möchte, muss gut zu Fuß sein.
FOTO: SE BASTIAN DINGLER Ab geht’s über die Püttlinger Höhen mit Manuel Andrack und seinem Hund Mulan. Wer mit dem Autor reden möchte, muss gut zu Fuß sein.

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