Doppelbesteuerung wird Thema im Bundestag
Die FDP bringt das Thema Doppelbesteuerung von Renten in den Bundestag. Ein Musterfall aus dem Saarland spielt dabei eine wichtige Rolle.
Die Doppelbesteuerung von Renten erreicht das politische Berlin. Auf Antrag der FDP muss sich der Bundestag mit dem Thema auseinandersetzen. Zwei Musterklagen aus Saarbrücken spielen dabei eine große Rolle.
Der Staat kassiert bei Renten doppelt Steuern. Darüber empören sich zigtausend Rentner, die gegen ihre Steuerbescheide Einspruch eingelegt haben – davon nach Zahlen von Mitte Dezember rund 2000 aus dem Saarland. Ein Auslöser dafür ist ein Musterfall eines Rentners aus Saarbrücken (Az. 3 K 1072/20). Inzwischen ist ein weiterer aus der Landeshauptstadt hinzugekommen. Beide sind vorm Finanzgericht des Saarlandes anhängig. Denn die Finanzverwaltung bestreitet, dass es eine – verfassungswidrige – Doppelbesteuerung gibt.
Jetzt ist die Frage der doppelten Besteuerung der Altersbezüge aber nicht mehr nur eine Sache der Gerichte, sie schlägt im politischen Berlin Wellen. Der Bundestag befasst sich in der kommenden Woche auf Antrag der FDP damit. Parallel dazu hat die Oppositionpartei eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, mit der sie das Finanzministerium und deren Chef Olaf Scholz (SPD) unter Druck setzt.
Im Kern fordert die FDP eine Umkehr der Beweislast. „Nicht mehr der Steuerpflichtige muss belegen, dass eine Doppelbesteuerung vorliegt, sondern der Staat muss belegen, dass dies nicht der Fall ist“, heißt es in dem Antrag, der unserer Zeitung vorliegt. Die Finanzämter verlangen bislang unter Berufung auf ein Urteil des Bundesfinanzhofs von den Rentnern eine detaillierte Berechnung der von ihnen behaupteten Doppelbesteuerung. Und nicht nur das: Sie fordern von den Rentnern jede Menge Unterlagen: „Versicherungsverlauf, Steuerbescheide und Steuererklärungen für die Jahre der Einzahlungsphase, soweit diese nicht mehr an Amtsstelle vorliegen“, wie es in einem Schreiben der Oberfinanzdirektion Nordrhein-Westfalen an die ihr untergeordneten Behörden heißt. So reagierten bundesweit Finanzämter, wenn Rentner wegen Doppelbesteuerung Einspruch gegen ihre Steuerbescheide einlegen, wie der Mannheimer Steuerberater Heinrich Braun beobachtet hat, der die Musterverfahren aus dem Saarland betreut. Nur welcher Arbeitnehmer bewahrt Steuererklärungen und -bescheide 40 Jahre oder länger auf? Und wer ist fähig, solche Berechnungen anzustellen?
Auch wenn der Bundestag kommende Woche über das Thema debattiert, wird die FDP höchstwahrscheinlich keine Mehrheit für ihren Antrag bekommen. Die große Koalition dürfte ihn abbügeln. Die Oppositionspartei macht daher schon einmal deutlich, wie ernst ihr die Angelegenheit ist. „Weshalb sich der Finanzminister nicht für die Belange der Rentner einsetzt, ist mir unverständlich“, kritisiert der FDP-Bundestagsabgeordnete und Steuerberater Markus Herbrand, der den Antrag eingebracht hat. Und der saarländische FDP-Bundestagsabgeordnete Oliver Luksic kündigt mit Blick auf die Bundestagswahl im September an: „Die Doppelbesteuerung wird zum Thema im Wahlkampf“, wenn die Bundesregierung nicht umgehend im Sinne der Rentner handele.
Der technisch daherkommende Begriff der Beweislastumkehr, den die FDP verwendet, birgt für die Finanzverwaltung Sprengstoff. Bisher hat sie vermieden, selbst in irgendeinem Fall eine Berechnung zu präsentieren, ob eine Doppelbesteuerung vorliegt oder nicht. Erst recht haben die Finanzbehörden nicht mit eigenen Zahlen auf den Musterfall vorm Finanzgericht Saarbrücken reagiert, bei dem der Kläger auf Euro und Cent genau die Doppelbesteuerung beziffert. Steuerexperte Braun und der Saarbrücker Finanzmathematiker Klaus Schindler haben nämlich eine Formel entwickelt, mit der sich der Umfang der Doppelbesteuerung für jeden Rentner ermitteln lässt. Demnach sind Millionen Menschen betroffen, die seit 2005 in Ruhestand gegangen sind, und erst nach 2070 endet die Doppelbelastung.
Hintergrund der Auseinandersetzung ist ein Systemwechsel bei der Besteuerung: Seit 2005 wird schrittweise ein immer größerer Anteil der Renten besteuert. Im Gegenzug können Erwerbstätige einen immer höheren Anteil ihrer Altersvorsorgebeiträge von der Steuer absetzen. Das Bundesverfassungsgericht hat aber verboten, dass in Folge der Umstellung versteuerte Rentenbeiträge bei Auszahlung der Altersbezüge nochmals der Steuer unterliegen. Stimmen diese Berechnungen, verliert der Fiskus Milliardeneinnahmen. Die Beweislastumkehr könnte die bislang für den Staat lukrative Steuerpraxis gefährden. Denn womöglich kämen die Behörden zum gleichen Ergebnis wie Braun und Schindler.
Passend dazu traktiert die FDP das Bundesfinanzministerium mit der Frage, „ob es selbst in der Lage wäre, eine mögliche Doppelbesteuerung der Renten zu berechnen“. Darüber hinaus wollen die Abgeordneten wissen, ob sich das Ministerium mit Vertretern der Länderbehörden
auf ein abgestimmtes Verhalten gegenüber Rentnern verständigt haben, die sich gegen die von ihnen vermutete Doppelbesteuerung wehren. Damit greift die FDP ein Anliegen des Steuerexperten Braun auf, der das Ministerium und damit Olaf Scholz auf Herausgabe des Protokolls dieser Sitzung verklagt hat.
Aus der Sicht Brauns steckt dahinter eine perfide Methode. Der im Grundgesetz garantierte „Rechtsschutz wird ausgehöhlt, indem man sich bundesweit verabredet, Rentnern unlösbare Aufgaben zu stellen“, sagt er. Die Vorgabe des Bundesfinanzhofs, dass Rentner die Beweislast für die Doppelbesteuerung tragen müssen, werde maßlos überdehnt. Die Finanzämter könnten von Bürgern nicht verlangen, was vielleicht ein Mathematiker leisten kann. Ein Finanzamt in Duisburg forderte von Rentnern sogar darzulegen, inwiefern ihre Fälle mit dem saarländischen Musterfall und den beim Bundesfinanzhof anhängigen Verfahren vergleichbar seien. Das könne aber nur leisten, wer Akteneinsicht habe, sagt Braun. Diese Forderung sei unerfüllbar. Dabei wollen diejenigen, die Einspruch gegen den Steuerbescheid einlegen, zunächst nur eins: dass ihre Steuersache ruht, bis die Musterfälle vorm Bundesfinanzhof geklärt sind, um dann womöglich bei einem positiven Ausgang profitieren zu können. Ein verzweifeltes Ehepaar schrieb kürzlich an den Steuerberater, „dass es uns Rentnern nicht möglich ist, die geforderten Beweise zu liefern“.
Braun hält den Antrag der FDP deshalb zwar politisch für gut und richtig, eigentlich müsse die Finanzverwaltung aber nur das geltende Recht umsetzen. Die Ämter müssten demnach die Fälle ruhen lassen, wenn sich Bürger bei ihrem Einspruch auf ein Verfahren stützen, das vor einem Bundesgericht anhängig ist und bei dem die Verfassungsmäßigkeit einer Norm umstritten ist.
Trotz der unüberwindlich scheinenden Hürden, die die Finanzämter aufstellen, wehren sich unzählige Rentner mit Einsprüchen gegen die Doppelbesteuerung. Die Liberalen im Bundestag haben auch danach gefragt, wie viele Rentner dies bisher getan haben. Steuerexperte Braun schätzt, dass die Millionengrenze inzwischen überschritten ist.