Hilfe für benachteiligte Kinder in Malstatt
Gemeinwesenprojekte wie das Kinderbildungszentrum Malstatt (Kibiz) helfen vor allem denen, die in der Pandemie auf der Strecke zu bleiben drohen: Kinder aus schwierigen sozialen und familiären Verhältnissen.
Gemeinwesenprojekte in sozialen Brennpunkten sind gerade in der Pandemie Anlaufstellen für die Unterstützung benachteiligter Kinder und ihrer Familien. Hier leistet das Kinderbildungszentrum in Malstatt viel Arbeit für bessere Teilhabechancen.
Es ist ruhig in den Spielzimmern des Kinderbildungszentrums (Kibiz) in Malstatt. Wo sich sonst dutzende Kinder, oft auch deren Mütter und wenige Väter treffen zum Spielen, Lernen und bei Beratungsbedarf zu Lebensfragen aller Art, findet Toben zur Zeit nur nach strenger Terminvergabe statt. „Wir sind froh, im Moment überhaupt etwas anbieten zu können“, sagt Petra Leidinger-Weismann, Kibiz-Koordinatorin. Sie ist seit der Gründung dieses Gemeinwesen-Projektes im unteren Malstatt dabei. Wie alle Mitarbeiterinnen dort engagiert sie sich mit Leib und Seele für die vielen unterpriviligierten, auch armen Menschen in dem Saarbrücker Stadtteil, für die das Kibiz neben dem Stadtteilbüro und anderen Gemeinwesenprojekten eine wichtige Anlaufstelle ist.
„85 Prozent unserer Menschen haben mittlerweile einen migrantischen Hintergrund, die meisten sind Muslime“, berichtet sie. Das sei früher anders gewesen. Berührungsängste mit dem vom Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche getragenen Zentrum im Untergeschoss der Kirchberg-Grundschule seien aber auch bei denjenigen muslimischen Neuankömmlingen, die ihre Religion streng lebten, schnell ausgeräumt, denn hier werde niemand missioniert, erklärt sie. Spätestens beim „Frühen Frühstück“, das das Kibiz in Nicht-Corona-Zeiten
täglich für bis zu 70 Kinder vor Schulbeginn anbietet, zeige sich die Buntheit und kulturelle Vielfalt des Stadtteils, der gerade für Migranten oft die erste Adresse ist. Denn wer fremd, allein und unsicher ist, zieht dorthin, wo es bezahlbaren Wohnraum gibt und wo sich Strukturen aus den jeweiligen Herkunftsländern erhalten, Netzwerke gebildet haben. Wie im unteren Malstatt.
Shirina Ahmad zum Beispiel. Sie flüchtete vor dem Krieg in Syrien mit ihrem Mann und zwei Töchtern nach Deutschland. Die zweieinhalbjährige Maja ist in Saarbrücken geboren. Für die 31-jährige syrische Kurdin und ihre Kinder ist das Kibiz ein Anker, auch und gerade in der Pandemie. Sema (11) und Pella (7) besuchen die vierte und die erste Klasse der Grundschule am Wallenbaum, gegenüber der Kirchberggrundschule. Die beiden Schulen teilen sich einen großen Park mit Spielplatz und Schulhöfen. Im Kibiz erhalten ihre großen Töchter Nachhilfe. Eine Stunde Einzelunterricht, angeleitet von pädagogischen Fachkräften oder Studierenden, bietet das Zentrum jedem Kind an. „Mittlerweile kommen über 30 Kinder“, berichtet Kibiz-Mitarbeiterin Anna Witkowska. Denn das Lernen von zu Hause ist für viele der Familien ein kaum zu stemmender Kraftakt, sprachlich, erzieherisch und organisatorisch (siehe unten).
Shirina Ahmad hat es noch vergleichsweise gut getroffen, die junge Mutter wirkt sehr engagiert. Sie lebt mit ihrer Familie in einer 70-Quadratmeter-Wohnung. Bis vor kurzem hätten ihre Töchter nur ein Handy gehabt, um an Online-Konferenzen mit der Grundschullehrerin teilzunehmen. „Aber unser W-Lan ist sehr schlecht“, erzählt Shirina Ahmad. Immerhin hat die Familie einen Internetanschluss und seit ein paar Tagen endlich auch ein Tablet vom Regionalverband. Und das bringt die beiden älteren Mädchen zum Strahlen. Sie hätten es allerdings früher gebraucht, denn seit dieser Woche gehen beide täglich zumindest für drei Schulstunden zum Präsenz-Unterricht. Ihre Schule ist eine der wenigen, die sich gegen den wöchentlichen Wechsel des Unterrichts entschieden haben – um täglich Kontakt zu haben zu den Schülern.
Das Kibiz-Team kennt die Hürden bei der Vergabe der Endgeräte an bedürftige Schülerinnen und Schüler. „Erst sollten nur diejenigen, die schon im Sommer einen Antrag gestellt hatten, ein Tablet bekommen“, erzählt Claudia Rebmann, Bereichsleiterin Sozialraumorientierte Hilfen bei der Diakonie. Viel Lobbyarbeit bei den Verantwortlichen in den Behörden sei erforderlich, um Hilfsangebote wie die kostenfreien Tablets so niedrigschwellig zu machen, dass sie auch bei den Bedürftigen ankämen. „Der Ausleihvertrag mit der Schule ist sechs Seiten lang und auf Deutsch“, moniert Petra Leidinger-Weismann. Das Kibiz hatte im Sommer kurzerhand selbst Tablets angeschafft und sie – bürokratisch unkompliziert – verliehen. Denn da ist ja auch noch die Sache mit der Haftpflicht: „Die wenigsten der Familien hier haben überhaupt eine Haftpflichtversicherung“, sagt die Kibiz-Leiterin. Und bleiben damit auf den Kosten sitzen, sollte ein Leihgerät kaputt gehen.
Dass der Präsenz-Unterricht für ihre Mädchen aufgrund der schwierigen Situation schon seit Mitte Januar möglich gewesen wäre, wusste Shirina Ahmad zudem nicht. Sie habe Aufgabenpakete und Wochenpläne von der Schule erhalten und sei sowohl von den Lehrkräften ihrer Kinder als auch im Kibiz unterstützt worden. Sema und Pella sprechen beide fließend Deutsch und kämen recht gut klar, sagt sie. Doch ihr eigener Deutschunterricht, der im
Kibiz für Migranten angeboten wird, muss schon seit Monaten ausfallen. Und auch der Spielkreis, den sie mit ihrer jüngsten Tochter besucht, kann nur mit einer weiteren Familie stattfinden und das nur nach Anmeldung. Dabei ist er quasi der völlig unzureichende Kita-Ersatz.
Gerade für die Kinder in sozialen Brennpunkten wie Malstatt sind die harten Kontaktbeschränkungen besonders schlimm. Sie wohnen meist beengt und brauchen dringend Austausch und Förderung. „Hier in Malstatt fehlen rund 1200 Kita-Plätze“, bemängelt Claudia Rebmann. Auch wenn viele Kitas neu gebaut oder erweitert würden. Gerade deshalb seien Angebote wie das des Kibiz und anderer Gemeinwesenprojekte so wichtig, sowohl für die Bildungsgerechgtigkeit als auch für die Integration. Viele Vorschulkinder aus Migrantenfamilien haben wenig Kontakt zu deutschen Muttersprachlern, sie lernen deshalb oft sehr spät Deutsch. Wenn es ganz schlecht läuft, erst in der Grundschule. Dann müssen die Defizite mühsam in der Sprachförderung ausgeglichen werden, ein Teufelskreis.
Rund 300 Kinder und 150 Erwachsene haben 2019 Angebote des Kibiz genutzt. Derzeit betreut das Zentrum immer noch rund 260 Menschen. Bei den Erwachsenen kämen vor allem Frauen, so Rebmann. „Viele der Themen, derer wir uns hier annehmen, ergeben sich in der Frauenberatung“, sagt Anna Witkowska. „Wir sind bestens mit anderen Projekten vernetzt und ein Ort des Vertrauens. Wir legen Wert darauf, mit den Familien als Einheit zu arbeiten.“Man habe versucht, alle Angebote weiterlaufen zu lassen und sie den Corona-Bedingungen anzupassen, auch den Einzel-Musikunterricht, der Schüler nur fünf Euro pro Monat koste. Nun hofft das Team auf die Öffnung. Damit es wieder laut wird im Kibiz.
„Der Tablet-Ausleihvertrag mit der Schule ist sechs Seiten lang und auf Deutsch. Das über
fordert viele.“
Petra Leidinger-Weismann
Kibiz-Leiterin