Wie der Lockdown Saarbrückens Tauben stresst
Geschäftsschließungen verringern Menschenstrom und Futterangebot – und sie steigern den Andrang bei den Vogelschützern.
Die Tauben kennen den Weg. Sie gleiten auf das große dunkle Loch in der offenen ersten Etage zu, bremsen ihren Flug mit ein paar Flügelschlägen, und die Dunkelheit darin verschluckt sie rasch.
Wie vor sieben Monaten, beim ersten SZ-Bericht über diesen Taubentreffpunkt, eine leere Immobilie gleich neben dem Parkdeck am Rathaus St. Johann. Das ausgehöhlte Haus steht also direkt neben dem Taubenschlag auf dem Parkhaus. Dort füttern Tierschützer die gefiederten Stadtbewohner, beseitigen deren Kot und tauschen die Eier gegen Gipsattrappen aus. Das ist ein wirksames Verfahren gegen das ungebremste Wachstum der Saarbrücker Stadttauben-Population.
Und es wäre noch effektiver, gäbe es nicht mitten in Saarbrücken unkontrollierbare Treffpunkte in maroden Gebäuden. Der Nachwuchs, der dort zur Welt kommt, tritt Tag für Tag in einen harten Wettbewerb um weniger Futter auf den Straßen. Noch immer dünnt der Lockdown den Menschenstrom aus, der sich durch die Saarbrücker Einkaufsmeilen bewegt.
Entsprechend geringer ist die Menge an Resten, welche die Tauben aufpicken können. Und umso größer ist der Andrang an den beiden Schlägen des Vereins Stadttauben Saarbrücken.
Dessen Sprecher Andreas Goldschmidt weiß nur zu gut, wie lange dieser Ausnahmewinter den Tieren und deren Betreuern zugesetzt hat. „Es war ganz einfach die Dauer des Lockdowns“, sagt Goldschmidt. Er schätzt, dass seither zu den rund 750 Tieren, die schon vor dem Lockdown zu betreuen waren, noch bis zu 150 hinzukamen. Die Kälte tat in den verangenen Wochen ein Übriges, um die Zahl der Schützlinge kräftig steigen zu lassen.
„Andere Vereine sind im Lockdown stillgelegt. Bei uns ist das Gegenteil der Fall“, sagt Goldschmidt. Nicht zuletzt wegen des starken „Zuflugs“ist das Arbeitsaufkommen stark gewachsen.
Die Neuen im Schlag sind auf der Suche nach Futter den bisherigen Nutzern einfach zu den beiden Taubenschlägen in der Innenstadt gefolgt. Sind die Neulinge dann auch noch stärker als die Altvorderen, tritt ein unerwünschter Verdrängungseffekt ein. Genau den wollen die wiederholt für ihr Engagement ausgezeichneten Taubenschützer verhindern. Sie wissen, wie wichtig eine sachgerechte Fürsorge ist, um den Nachfahren von Haustauben gerecht zu werden. „Das sind nun einmal keine Wildtiere, es sind frei lebende Haustiere, die wir in die Städte geholt und die wir durch Zucht geprägt haben. Daher rührt die Verantwortung des Menschen für diese Tiere“, sagt Andreas Goldschmidt.
Auf sich allein gestellt sind die Saarbrücker Taubenschützer nicht, wie eine SZ-Anfrage bei der Stadtverwaltung ergab. Die Landeshauptstadt sieht den Verein als Partner bei dem Bemühen, die Zahl der Tauben tierschutzgerecht zu kontrollieren.
Das Amt für Klima- und Umweltschutz hat die beiden Taubenschläge in der Innenstadt zur Verfügung gestellt. Dort werden die Tauben gezielt gefüttert und können ihre Notdurft verrichten. Darüber hinaus erhält der Verein Zuschüsse zur Pflege und Unterhaltung der Taubenschläge. Der Zentrale Kommunale Entsorgungsbetrieb reinigt das Umfeld der Taubenschläge.
Genauso wichtig sind weitere Stadtmitarbeiter, die bei Hinweisen auf Tauben in Not einschreiten. „Wir arbeiten sehr gut mit der Saarbrücker Feuerwehr zusammen“, sagt Vereinssprecher Goldschmidt.
Und er macht kein Hehl daraus, dass die Stadttaubenschützer selbst noch Verstärkung gebrauchen könnten. Gesucht sind Vogelliebhaber, bei denen kranke und sehr junge Tiere auf „Päppelstellen“zu Kräften kommen können. Und wo sie bereit werden für ein Leben in ihrem wahren Zuhause: der Saarbrücker Innenstadt mit all ihren kleinen und großen Abenteuern für die Nachkommen
von Vögeln, die einst in Felsen brüteten. Bis der Mensch sie entdeckte und in seine Nähe holte – mit allen Konsequenzen.
Kontakt: Wer den Verein Stadttauben Saarbrücken unterstützen oder Notfälle melden möchte, wende sich über die Internetseite an die Tierschützer. https://stadttauben-saarbruecken. jimdofree.com/kontakt/