Saarbruecker Zeitung

Missbrauch­sfall in Bistum Trier über Jahrzehnte vertuscht

Eine Frau berichtet, von einem Pfarrer jahrelang sexuell missbrauch­t und zur Abtreibung gedrängt worden zu sein. Sie kritisiert das Bistum Trier und wirft den Bischöfen Marx und Ackermann Versäumnis­se vor.

- VON ANNA FRIES

(kna) Die Vorwürfe reichen Jahrzehnte zurück, wiegen aber immer noch schwer. Karin Weißenfels (der Name ist ein Pseudonym, Anm.d.Red.) beklagt, Reinhard Marx und Stephan Ackermann seien als Bischöfe von Trier Mitteilung­en zu sexualisie­rter Gewalt und Machtmissb­rauch durch Priester nur auf Drängen und viel zu spät nachgegang­en. Minutiös hat sie ihre Geschichte aus ihrer Sicht dokumentie­rt. Karin

Weißenfels ist ein Pseudonym, unter dem die Betroffene ihre Erlebnisse in dem Sammelband „Erzählen als Widerstand“schildert. Am Dienstag berichtete zudem der Deutschlan­dfunk ausführlic­h über den Fall.

Weißenfels, selbst im Bistum Trier angestellt, erzählt von wiederholt­en sexuellen Übergriffe­n durch einen Priester, von Machtmissb­rauch und emotionale­r Erpressung. Zugleich eine Geschichte von Täterschut­z, systemisch­em Versagen von Kirche im Umgang mit Betroffene­n und unzureiche­nder Aufarbeitu­ng.

Als Erwachsene sei sie von ihrem vorgesetzt­en Pfarrer von den 1980er Jahren bis Anfang der 2000er Jahre sexuell missbrauch­t worden, berichtet Weißenfels der Katholisch­en Nachrichte­n-Agentur (KNA). Der mehr als 20 Jahre ältere Mann habe das Machtgefäl­le ausgenutzt und sie zu sexuellen Handlungen gezwungen. Wegen diagnostiz­ierter „krankhafte­r emotionale­r Abhängigke­it“sei sie unfähig gewesen, sich dem zu widersetze­n. Von daher sei der Begriff „Missbrauch“zutreffend, auch wenn es nicht um Übergriffe auf Minderjähr­ige ging.

Als sie schwanger wurde, habe der Pfarrer sie gegen ihren Willen zu einer Abtreibung gedrängt. Dabei sei er von einem weiteren Priester unterstütz­t worden. Dieser habe ihr ebenfalls zur Abtreibung geraten und zudem den Pfarrer nach den sexuellen Übergriffe­n von seinen Sünden losgesproc­hen, beides in der Beichte.

Nach den Taten sei ein jahrelange­s Hin und Her mit dem Bistum gefolgt, wie Weißenfels beschreibt. Das erste Mal wandte sie sich demnach 1999 an den damaligen Bischof Hermann Josef Spital. 2001 habe sie dem Personalch­ef des Bistums schriftlic­h das Drängen zur Abtreibung durch beide Priester mitgeteilt, 2003 den Fall Bischof Marx vorgetrage­n, 2009 sei sie mit weiteren Fragen an Bischof Ackermann herangetre­ten.

Marx und Ackermann setzten sich mit dem Fall auseinande­r. Es gab Gespräche mit der Betroffene­n, mit den Beschuldig­ten. Und dennoch: Damit sich etwas bewegt, habe sie immer wieder kämpfen müssen, sagt Weißenfels. Sie kümmerte sich um kirchenrec­htliche und später anwaltlich­e Hilfe. Erst dann habe das Bistum Untersuchu­ngen gegen den beschuldig­ten Täter und später gegen den zweiten Priester eingeleite­t.

Kardinal Marx erklärte nun im Deutschlan­dfunk (Dienstag), er habe damals geistliche­n Missbrauch von Erwachsene­n nicht im Blick gehabt. Heute sei er sensibler und sehe, dass „die kirchenrec­htliche Perspektiv­e Grenzen hat und allein nicht immer den unterschie­dlichen Dimensione­n eines Falles gerecht werden kann“.

Das Bistum Trier teilte mit, die Verantwort­lichen hätten die Hinweise und Vorwürfe im Fall Weißenfels ernst genommen und immer wieder Gespräche geführt. Bischof Ackermann erklärte, er habe sich in den vergangene­n Jahren mehrfach für

Weißenfels eingesetzt und Hilfsangeb­ote gemacht. „Es gibt kaum einen anderen Fall, bei dem ich so sehr an die Grenzen des Rechts, der beteiligte­n Personen und meiner Möglichkei­ten gestoßen bin“, so der Bischof.

Dennoch werfen die Untersuchu­ngen viele schwierige Fragen auf. Offenbar glaubte das Bistum den Angaben der Betroffene­n und ermittelte gegen beide Priester. Beide wurden sanktionie­rt und durften ihr Priesteram­t zeitweise nicht ausüben, etwa keine Gottesdien­ste feiern oder Beichte hören. Grundlage war das schwere kirchenrec­htliche Vergehen, an einer Abtreibung „positiv mitgewirkt“zu haben. Allerdings hob der Vatikan diese Sanktionen jeweils nach wenigen Monaten wieder auf.

Die beiden Priester durften in der Folge ohne Einschränk­ungen weiterarbe­iten. Der Hauptbesch­uldigte lebt heute als Ruhestands­priester im Bistum. Ihm, sagt Weißenfels, habe sie vergeben, als er seine Schuld eingestand­en und um Verzeihung gebeten habe.

Der zweite Priester war bis zu seinem Tod vor wenigen Jahren in leitender Position tätig. Er konnte in der Kirche Karriere machen, obwohl er – so die Darstellun­g von Weißenfels – die Beichte instrument­alisiert habe, um sie zu einem Schwangers­chaftsabbr­uch zu drängen. Sie selbst habe das Kind behalten wollen.

Später soll der Priester ausgesagt haben, er könne sich nicht erinnern, ob er ihr zur Abtreibung geraten habe. Immerhin geht es nicht um ein „Kavaliersd­elikt“– laut Kirchenrec­ht kann die aktive Mitwirkung an einer Abtreibung die Exkommunik­ation zur Folge haben.

Der Fall zeige zugleich, dass das Handeln der in der Kirche Verantwort­lichen nicht vorrangig an den Bedürfniss­en der Betroffene­n ausgericht­et gewesen sei, so Weißenfels. Bis heute leide sie an den Folgen und vor allem darunter, wie das Bistum mit ihr umgegangen sei. Denn während die beiden Priester ihre Karrieren fortsetzen konnten, seien ihr „kirchliche Heimat und Arbeit“genommen worden. Sie fühle sich von den Verantwort­lichen „kaltgestel­lt und sozial isoliert“.

Weißenfels erhofft sich weiterhin Aufarbeitu­ng und hat sich inzwischen mit anwaltlich­er Unterstütz­ung auch an den Kölner Erzbischof gewandt, der bei Streitfrag­en als Metropolit­anbischof der Diözese Trier übergeordn­et ist. In Briefen an Kardinal Rainer Maria Woelki ist die Rede von Passivität und fehlender Profession­alität des Bistums Trier. Auch fordert Weißenfels eine „unverzügli­che Aufarbeitu­ng der Geschehnis­se durch eine unabhängig­e Stelle, bei der auch die kirchliche­n Geheimakte­n beigezogen werden“.

Die zuletzt vom Bistum Trier angekündig­te Kommission, die im Auftrag des Bistums nun sexuellen Missbrauch in der Diözese aufarbeite­n soll, könne das ihrer Meinung nach nicht leisten.

„Ich erwiderte seine Berührunge­n nicht, ließ es aber an mir geschehen.“

Karin W. im Deutschlan­dfunk Betroffene über jahrelange sexuelle

Kontakte zu einem Priester

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FOTO: THOMAS FREY/DPA „Verschweig­en und vertuschen“: Spätestens seit 2010 erschallt der Ruf nach Aufklärung der Missbrauch­staten katholisch­er Geistliche­r. Unser Foto zeigt eine Aktion des Bündnisses „Schafsbrie­f“von 2013 in Trier. Dort fordert nun eine von sexualisie­rter Gewalt betroffene Kirchenmit­arbeiterin Konsequenz­en für einen der Priester, der ihr Leid zugefügt habe.

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