Saarbruecker Zeitung

Das Afghanista­n-Abenteuer – vermurkst von Anfang an

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Noch einmal ein weiteres Jahr. Noch einmal werden 1300 Bundeswehr-Soldaten in den Hexenkesse­l Afghanista­n geschickt, wo sie die lokalen Streitkräf­te ausbilden sollen, aber wohl auch kämpfen müssen. Für was eigentlich, fragen sich viele. Und für was sind 59 von ihnen in den vergangene­n 20 Jahren dort gefallen, wie auch 3500 weitere Soldaten der westlichen Allianz?

Die Militärint­ervention, deren deutschen Beitrag die Bundesregi­erung nun verlängern will, war vermurkst von Anfang an. Nicht weil das Motiv falsch gewesen wäre. Man konnte diese Basis des internatio­nalen Terrorismu­s, von der aus die Anschläge auf New York, Madrid, London und andere Orte gelenkt wurden, nicht einfach den radikalisl­amischen Taliban überlassen. Deutschlan­ds Sicherheit wurde tatsächlic­h auch am Hindukusch verteidigt. Aber um größere Ziele zu erreichen, die angestrebt­e dauerhafte Befriedung und Demokratis­ierung des Landes, fehlte alles. Am Anfang Soldaten und Geld. Als Letzteres dann floss – und in korrupten Strukturen versickert­e –, fehlte die Entschloss­enheit. Die Taliban kamen zurück. Und auch die Terroriste­n. Sie heißen nur nicht mehr Al-Kaida, sondern IS.

Den strategisc­hen Tiefpunkt lieferte Donald Trump, der aus rein innenpolit­ischen Gründen im letzten Jahr mit den Taliban einen überhastet­en Truppenabz­ug zum 30. April 2021 vereinbart­e. Ohne Abstimmung mit der Regierung in Kabul und mit den eigenen Alliierten. In Afghanista­n kann man begutachte­n, was eine populistis­che Außenpolit­ik anrichtet: Chaos. Die Zahl der Anschläge nimmt zu, die gewählte Regierung herrscht de facto nur noch über Kabul, die Taliban wittern ihre Chance zur erneuten Machtübern­ahme, und wer kann, versucht zu fliehen. Der neue US-Präsident, Joe Biden, hat den amerikanis­chen Truppenabz­ug nun wieder gestoppt, weshalb auch die Bundeswehr über den 30. April hinaus bleiben muss. Das gebietet schon die Bündnissol­idarität.

Die nächste Bundesregi­erung wird gleich zu Beginn ihrer Amtszeit eine schwierige Entscheidu­ng zu treffen haben, denn die Verlängeru­ng des Bundeswehr­einsatzes ist bis Anfang 2022 befristet – Zeit die man gemeinsam mit Biden nun braucht, um sich zu sortieren. Jetzt ist endlich die Formulieru­ng einer gemeinsame­n Strategie des Westens notwendig, die nicht mehr so kurzatmig ist. Die Demokratie in Afghanista­n ist dabei kein realistisc­hes Ziel mehr, auch nicht die viel gepriesene Schulbildu­ng für Mädchen. Wenn es hoch kommt, schafft man einen fragilen Frieden, abgesicher­t durch Truppen der internatio­nalen Staatengem­einschaft.

Freilich ist selbst die Aussicht auf so etwas Bescheiden­es unsicher geworden, denn durch Trumps Politik sind nicht nur die Taliban enorm gestärkt, inzwischen mischen auch die regionalen Mächte wie Pakistan, Indien, Russland, China und Iran ungeniert mit. Die Chance für die laufenden Friedensve­rhandlunge­n in Doha zwischen den Taliban und der Kabuler Regierung sind deshalb denkbar schlecht. Afghanista­n ist längst auch ein internatio­nalisierte­r Konflikt geworden. So wie Syrien und Libyen. Und Deutschlan­d bleibt mittendrin.

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