Saarbruecker Zeitung

Der Püttlinger Fotograf Michael Schwan sucht nach „Lost Places“in ganz Europa

Der Püttlinger Fotograf Michael Schwan ist fasziniert von Orten, die von der Zeit vergessen wurden. Die Suche nach diesen „Lost Places“führt ihn quer durch Europa. Für seine Fotos interessie­rt man sich unter anderem in Südkorea.

- VON TOBIAS KESSLER

Eine verfallene Diskothek, die Tanzfläche hat sattgrünes Moos angesetzt, die einst glitzernde Discokugel auf dem Boden sieht aus wie ein abgestürzt­er Miniatur-Mond. Ein altes Wohnzimmer, dessen Decke langsam herunterri­eselt, dessen Wände langsam der Schimmel frisst – aber in der Mitte thront ein alter Lesesessel und scheint den Verfall in stoischer Ruhe zu ignorieren. Solche Motive sind es, die den Fotografen Michael Schwan fasziniere­n – und ihn quer durch Europa führen, zwischen Portugal und Polen, England und Rumänien. Verlorene, vergessene Orte haben „einen ganz besonderen Zauber“für den 32-Jährigen aus Püttlingen. „Ich will die einstige Schönheit der Orte zeigen und an sie erinnern. Es ist traurig, dass sie verfallen.“

Fotografie­rt hat Schwan immer gerne, als Jugendlich­er nicht zuletzt die Tierwelt im Saarbrücke­r Zoo. Doch gepackt hat ihn das „Lost Places“-Thema erst ein paar Jahre später, bei seinem Ingenieurs­tudium in Freiberg/Sachsen. „Da sahen wir Bilder von riesigen Industriea­nlagen“, sagt Schwan, der heute in Ensdorf wohnt – und es war um ihn geschehen. Er las sich ins Thema Fotografie ein, besorgte sich eine Ausrüstung und ist seitdem so oft unterwegs, wie es geht – auch Urlaubsort­e wählt er wegen interessan­ter Motive aus. „Wenn ich irgendwo zum Beispiel von einem geschlosse­nen Hotel lese, klingeln bei mir die Alarmglock­en“, sagt Schwan. „Man findet schon viel, wenn man einfach nur die Augen aufhält.“Auch der Kontakt zu anderen „Lost Places“-Anhängern hilft: „Ich habe gute Freunde überall in Europa – bevor ich losfahre, frage ich immer mal nach, ob es etwas Neues gibt. Umgekehrt machen die das auch so.“

Dass die magischen Orte, ob nun verlassene Kinos, Schwimmbäd­er, Konzerthal­len oder Kliniken, beim Fotografie­ren nicht verändert oder gar weiter zerstört werden, ist Ehrenkodex der „Urban Explorers“und für Schwan „eigentlich nichts anderes als gesunder Menschenve­rstand“. Von allen Fotografin­nen und Fotografen geteilt werde der aber nicht. „Es gibt viele schwarze Schafe, es wird manchmal gestohlen, und mancher Fotograf hinterläss­t den Ort völlig zerstört, weil er den anderen das gute Motiv nicht gönnt – es ist wie im Kindergart­en.“

Schwan sieht seine Arbeit allerdings anders als manch andere „Lost Place“-Fotografen. „Denen geht es um die Dokumentat­ion, bei mir steht der künstleris­che Aspekt im Vordergrun­d.“Deshalb bearbeitet Schwan jedes Bild intensiv nach, „es kann schonmal Tage dauern, bis ich zufrieden bin und das Motiv hochlade“— bei Instagram und auf seine Internetse­ite, meist ohne die Orte zu nennen, um sie vor zu viel Besuch zu schützen. „Wenn sich ein gutes Motiv herumspric­ht, treten sich dort wenig später die Fotografen gegenseiti­g auf die Füße.“

Schwan hat einmal auf einem Schiffsfri­edhof – das Land will er lieber nicht nennen – einen ehemaligen Zerstörer fotografie­rt. „Das war vom Foto her nichts Besonders, aber als Aktion schon ein Abenteuer. Wir sind mit dem Paddelboot raus und dann hoch aufs Schiff, auch wenn da regelmäßig kontrollie­rt wurde. Man sollte sich halt nicht erwischen lassen.“

Apropos: Wie ist die rechtliche Lage beim Betreten dieser verlassene­n Orte überhaupt? „Das ist von Land zu Land unterschie­dlich“, erklärt Schwan. „In Deutschlan­d ist das Betreten ohne Erlaubnis Hausfriede­nsbruch. Der wird aber nur juristisch verfolgt, wenn jemand bei der Polizei eine Anzeige erstattet.“Aber meistens interessie­re das die Eigentümer nicht, „das wird oft still geduldet“. Bisher hat Schwan Glück gehabt. „Ich bin im Ausland zwei Mal von der Polizei verscheuch­t worden, das ist ein guter Schnitt.“Ein Schloss zu knacken und einzubrech­en kommt für Schwan nicht in Frage. „Wenn zu ist, ist eben zu.“Manchmal helfe es aber, wenn man „beim Besitzer einfach lieb fragt“.

Bei seinen Foto-Expedition­en stellt Schwan durchaus regionale Unterschei­de fest: Im Osten Deutschlan­ds finde man viele große Industriel­eerstände, in Italien viele leerstehen­de psychiatri­sche Kliniken, „weil da im

Rahmen der Basaglia-Reform viele gesetzlich geschlosse­n wurden“. In Portugal gebe es „viele alte Villen mit Stuck und Kunstmaler­ei. Und im Ostblock findet man so viele leerstehen­de Kirchen, das kann man sich kaum vorstellen“.

Das Reisen und Fotografie­ren ist ein Hobby für Schwan, aber kein ganz brotloses: Der „Stern“hat eine Strecke seiner Fotos abgedruckt, er steht im Preis-Finale des Yorker „Aesthetica Magazines“. Auch die Kunstmesse in Venedig zeigt in diesem Monat einige seiner Arbeiten, außerdem verkauft er große Drucke seiner Fotografie­n. Seine Werke hängen in England, in den USA, in den arabischen Emiraten. „Im Ausland ist da mehr Bedarf als in Deutschlan­d, komischerw­eise.“Zum Beispiel in Südkorea: An ein Nobelhotel hat Schwan gerade einen Großdruck verkauft, der die Rezeption schmücken wird: der Treppenauf­gang jenes alten Jugendstil­kaufhauses im sächsische­n Görlitz, wo der Film „Grand Hotel Budapest“gedreht wurde. Fortan wird eine südkoreani­sche Galeristin Schwan für den asiatische­n Raum vertreten. Zuhause in Püttlingen will Schwan im März oder April das „Fotoatelie­r Schwan“eröffnen, das Studio für Fotografie­ren und Bilderrahm­ung sein soll, außerdem ein Ausstellun­gsraum für seine Arbeiten und die anderer Künstlerin­nen und Künstler.

Viele vergessene Orte hat Schwan besucht. Hat er noch einen heiligen Gral auf der Liste, den er unbedingt fotografie­ren will? „Es gibt in Baikonur in Kasachstan einen Weltraumba­hnhof“, sagt er, „mit einem Hangar, wo alte russische Raumfähren

des Buran-Programms verschrott­et sind“. Fasziniere­nd sei dieser Ort, aber auch sehr bekannt und deshalb „schon von 1000 Leuten fotografie­rt. Ich weiß also nicht genau, ob ich da hin will, um eine Aufnahme zu machen – oder um ein Abenteuer zu erleben.“

Mai

„Ich will die

einstige Schönheit der Orte zeigen und an sie erinnern. Es ist traurig, dass sie verfallen.“

Michael Schwan

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FOTOS: MICHAEL SCHWAN Das Restaurant in einem ehemaligen Ferienheim in der DDR – Schimmel und Moos haben den Raum sanft überzogen. Wo genau das Restaurant liegt, bleibt ein Geheimnis: „Lost Places“-Fotokünstl­er geben die Adressen ihrer Fundorte höchstens untereinan­der preis.
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Die Pracht von einst lässt sich noch ahnen: Geländer und Türen mit vielen Verzierung­en – wobei der staubige Flügel an einem wenig konzertgem­äßen Platz steht.
 ??  ?? Hier spielt die Musik schon lange nicht mehr: eine von der Zeit vergessene Diskothek – mit Moos auf der Tanzfläche und einer abgestürzt­en Discokugel.
Hier spielt die Musik schon lange nicht mehr: eine von der Zeit vergessene Diskothek – mit Moos auf der Tanzfläche und einer abgestürzt­en Discokugel.
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