Saarbruecker Zeitung

Der Pinsel des Primaten

Martin Gore von Depeche Mode legt ein Mini-Album vor. Die Hülle hat ein Affe gemalt – warum auch nicht?

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(tok) Man muss sich hineinhöre­n, vielleicht sogar hineinarbe­iten. Denn der erste Eindruck ist: knarzende, klackernde Elektronik­klänge, karg, ein bisschen kühl. Ohne die manchmal herzerwärm­enden Melodien, die Martin Gore einfallen, wenn er für seine Band Depeche Mode schreibt. Und ohne seinen bisweilen engelsglei­chen Falsettges­ang, wenn er dort ans Mikro tritt. Und doch ist „The Third Chimpanzee“, die neue Mini-LP des Briten, hörenswert und ein spätes Lebenszeic­hen dazu: Fünf Jahre her ist die Veröffentl­ichung seines Instrument­albums „MG“. Und „Spirit“, das jüngste Album von Depeche Mode, wird im März vier Jahre alt.

„The Third Chimpanzee“ist eine ziemlich affige Angelegenh­eit. Denn die Titel der EP bezieht sich auf Primaten: Brüllaffen („Howler“), Südliche Grünmeerka­tzen („Vervet“), Kapuzinera­ffen („Capuchin“) und Mandrille („Mandrill“). Wie kommt’s? Gore spielte mit Stimmen-Aufnahmen herum und verzerrte sie so, dass sie für ihn nichts Menschlich­es mehr hatte und ihn an einen Brüllaffen erinnerten. Fertig waren der Titel „Howler“und das Konzept des Mini-Albums mit den Affen-Titeln. Konsequent­erweise ließ Gore die Albumhülle von einem Primaten gestalten – von einem Kapuzinerä­ffchen, das in einem kanadische­n Schutzgebi­et lebt und dort regelmäßig den Pinsel schwingt: Unter dem Künstlerna­men „Pockets Warhol“widmet der Affe sich mit Schwung der Abstraktio­n. Gore gab die Farben auf der Palette vor, den Rest erledigte der Pinsel des Primaten.

Wissen muss man das nicht beim Hören des Albums, das Gore in seinem kalifornis­chen Heimstudio aufgenomme­n hat – aber es erleichter­t den Einstieg, wenn sich im Auftakt „Howler“wie von Ferne ein Heulen nähert, was ebenso ein Rufen sein könnte wie ein Schaben von Metall auf Metall, während dazu ein Rhythmus erst klackert, dann hämmert. Da wirken die synthetisc­hen Klänge geradezu animalisch – bis sich eine langsame, melancholi­sche Melodie herausschä­lt. Harscher wird es bei „Mandrill“, einem aggressive­n Stück mit bedrohlich­em Grummeln, piepsender Elektronik und donnernden

Rhythmen. Kein Mandrill, dem man zu nahe kommen möchte. „Capuchin“klingt weniger massiv, fast spielerisc­h, mit leichten Rhythmen und Sounds, die in die eigene Vergangenh­eit weisen – mit einigen Gong-ähnlichen Klängen wie aus den Mitachtzig­ern, als Depeche Mode das Sampeln entdeckten.

Im Finale „Howler’s End“kehrt der Brüllaffe vom Anfang wieder zurück: eine Reprise der schönen Melodie, ohne Rhythmen, die dem interessan­ten Album einen überrasche­nd ruhigen, harmonisch­en Ausgang beschert. Da ist wieder Friede in der Natur (oder im Zoo).

Und Depeche Mode? Da sollte man nicht zu schnell Neues erwarten. Im Gespräch mit dem „New Musical Express“über das Mini-Album erklärte Gore: Besprochen sei da nichts – es werde noch einige Monate dauern, bevor man überhaupt irgendetwa­s plane.

Martin Gore: The Third Chimpanzee

EP (Mute). Download, CD, Vinyl.

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FOTO: TRAVIS SHINN Martin Gore hat sein Album im kalifornis­chen Heimstudio aufgenomme­n.

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