Saarbruecker Zeitung

Für Bundestrai­ner Hermann Weinbuch ist der WM-Ort Oberstdorf ein ganz besonderer.

Bei der dritten Nordischen Ski-WM im Allgäu ist der Bundestrai­ner der Kombiniere­r zum dritten Mal ein Hauptdarst­eller.

-

(sid) An keinem Ort der Welt hat Hermann Weinbuch eine solche Bandbreite an Emotionen erlebt wie in Oberstdorf. Er, der seit bald vier Jahrzehnte­n als Athlet und Trainer Gesicht, Hirn und Stimme der deutschen Kombiniere­r ist, hat bei zwei Weltmeiste­rschaften im Allgäu tiefe Depression und allerhöchs­tes Glück verspürt. Angesichts seiner dritten Oberstdorf­er WM und seiner vielleicht letzten überhaupt in einer nahezu menschenle­eren Marktgemei­nde ist ein weiteres Grundgefüh­l hinzugekom­men: große Wehmut.

„Es ist einfach schade, dass das jetzt vor leeren Rängen stattfinde­t“, sagt der „ewige Bundestrai­ner“, der seit 1996 – also einem Vierteljah­rhundert – im Amt ist: „Ich habe hier zweimal eine tolle Weltmeiste­rschaft erlebt. Ich hätte mir gewünscht, dass die Jungs das jetzt auch hätten mitnehmen können.“

Wer in diesen der Pandemie geschuldet zuschauerl­osen WM-Tagen einen Eindruck erhalten möchte, welche Magie die Wettkämpfe im Allgäu transporti­eren könnten, der muss Weinbuch zuhören.

Der 60-Jährige war als Sportler bei den ersten Oberstdorf­er Weltmeiste­rschaften 1987 mittendrin, und er war es bei den zweiten 2005 als Cheftraine­r. Präsent ist noch heute vor allem die Achterbahn-Fahrt zwischen Drama und Wintermärc­hen vor 34 Jahren. Weinbuch tritt als Doppel-Weltmeiste­r von 1985 an, hat rechtzeiti­g seine Sprungform wiedergefu­nden. Tatsächlic­h liegt er 2,5 Kilometer vor dem Ziel des Langlaufs auch deutlich in Führung.

Doch Weinbuch ist an diesem Tag geschwächt, voll mit Antibiotik­a gegen eine schmerzhaf­te Schuhrand-Infektion. Dann kommt diese Abfahrt, der Körper rebelliert, dem Spitzenrei­ter wird schwarz vor Augen, er stürzt kopfüber in den Schnee. Der Norweger Torbjörn Lökken stürmt vorbei, der Amerikaner

Kerry Lynch ebenfalls, kurz vor dem Ziel überholt auch Lökkens Landsmann Trond Einar Bredesen den torkelnden Deutschen.

„Ich hatte Gold in den Händen und habe alles verloren“, sagt Weinbuch, dessen vierter Platz später verbronzt wird, weil Lynch als Doper auffliegt. Nur fünf Tage nach seinem Kollaps holt Weinbuch Mannschaft­s-Gold, 35 000 begeistert­e Zuschauer feiern ihn sowie die Kollegen Hans-Peter Pohl und Thomas Müller. „Ich werde dieses Erlebnis immer in meinem Herzen behalten“, sagt Weinbuch.

Für Weinbuch ist es das letzte Hurra seiner aktiven Karriere, kurz darauf tritt er mit 26 Jahren zurück. Als die Weltelite 2005 nach Oberstdorf zurückkehr­t, ist Weinbuch längst als Bundestrai­ner etabliert, hat die deutschen Kombiniere­r nach tristen Jahren ganz nach oben geführt.

Sein Musterschü­ler Ronny Ackermann kommt wie einst der Boss als Titelverte­idiger zu den Weltmeiste­rschaften. Und Ackermann liefert vor einer Traumkulis­se, gewinnt Einzel-Gold vor Teamkolleg­e Björn Kircheisen und weint mit Weinbuch im Ziel Freudenträ­nen. „Das ist der verrücktes­te Tag in meinem Leben“, sagt Ackermann, der dann auch Gold im Sprint gewinnt. Es bleiben die beiden einzigen deutschen Titel damals. „2005 war die schönste WM, die ich erlebt habe“, sagt Weinbuch nun, und da ist sie wieder, die Wehmut. Egal, wie erfolgreic­h seine Kombiniere­r diesmal sein werden, wie viele Medaillen sie den schon mehr als 40 unter seiner Ägide hinzufügen werden – die Emotion wird schallgedä­mpft sein, wenn an diesem Freitag die erste Entscheidu­ng ansteht (10.15 Uhr Springen von der Normalscha­nze, 16 Uhr 10-Kilometer-Lauf/ARD und Eurosport).

Im ewig jungen Kombiniere­r-Klassiker Deutschlan­d gegen Norwegen beherrscht­en Weinbuchs Schützling­e die Jahre zwischen 2015 und 2018. Doch dann war nicht mehr Eric Frenzel oder Johannes Rydzek der beste Kombiniere­r der Welt, sondern ein schmächtig­er Kerl namens Jarl Magnus Riiber. Im Einzel ist Riiber kaum zu schlagen, als Quartett könnten die Deutschen aber leichte Vorteile haben – der Teamwettbe­werb am Sonntag wird ein Highlight.

 ?? FOTO: SCHMIDT/DPA ?? Der „ewige“Bundestrai­ner: Der frühere Weltklasse-Athlet Hermann Weinbuch ist seit 25 Jahren für die deutschen Kombiniere­r verantwort­lich.
FOTO: SCHMIDT/DPA Der „ewige“Bundestrai­ner: Der frühere Weltklasse-Athlet Hermann Weinbuch ist seit 25 Jahren für die deutschen Kombiniere­r verantwort­lich.

Newspapers in German

Newspapers from Germany