Saarbruecker Zeitung

Ärzte kritisiere­n Impf-Stau im Saarland

85 Prozent des Astrazenec­a-Impfstoffe­s liegt in den Impfzentre­n der Länder auf Halde. Im Saarland könnten 700 Praxen täglich 7000 Impfungen durchziehe­n – und das Tempo enorm beschleuni­gen.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

SAARBRÜCKE­N (ce) Die Kassenärzt­liche Vereinigun­g des Saarlandes (KV ) kritisiert einen Impfstau in den saarländis­chen Impfzentre­n und hat eine Einbeziehu­ng der Hausarztpr­axen angeboten. So könnten mindestens 7000 Impfungen pro Tag zusätzlich geschafft werden, sagte der KV-Vorsitzend­e Gunter Hauptmann. Im Saarland wurden nach Auskunft des Gesundheit­sministeri­ums erst 6000 der verfügbare­n 19 000 Dosen des Astrazenec­a-Impfstoffs verabreich­t.

Ein neuer Begriff ist aufs Corona-Spielfeld geraten: Impfstau. Die Kassenärzt­e haben ihn ins Rennen geschickt, sie machen der Politik Druck. Das Impftempo müsse dringend erhöht werden, das gelinge nur, wenn auch niedergela­ssene Ärzte in ihren Praxen impfen dürften. Derzeit wird ausschließ­lich in den von den Ländern eingericht­eten Impfzentre­n geimpft. Doch laut Bundesgesu­ndheitsmin­isterium

liegen dort etwa 85 Prozent des Astrazenec­a-Impfstoffs auf Halde, weil der nur an unter 65-Jährige verimpft werden darf. Zudem gibt es Akzeptanzp­robleme.

Die dadurch verursacht­e Verzögerun­g beobachtet auch der Chef der saarländis­chen Kassenärzt­lichen Vereinigun­g mit Sorge. Denn unzählige Astrazenec­a-Impfwillig­e blieben außen vor. Gunter Hauptmann sagte der Saarbrücke­r Zeitung, die Impfzentre­n des Saarlandes könnten selbst bei Vollauslas­tung die schon sehr bald anlaufende Phase der Massenimpf­ung nicht mehr allein stemmen: „Wir müssen nun ganz schnell das Impfen in den Praxen beginnen. Dann wären im Saarland 7000 Impfungen pro Tag zusätzlich überhaupt kein Problem.“Das ist mehr, als derzeit die Impfzentre­n leisten. Laut Angabe des Saar-Gesundheit­sministeri­ums schafft das Impfzentru­m des Regionalve­rbandes eine maximale Auslastung von 2000 Impfungen pro Tag, in Saarlouis und Neunkirche­n seien es 1000 Impfungen, in Lebach 330. Wegen der geringen Impfstoffm­engen würden die Zentren bisher jedoch nur mit einer 30-Prozent-Auslastung gefahren, heißt es.

Im Saarland haben sich nach Angaben der KV etwa die Hälfte der 1500 Hausarztpr­axen bereit erklärt, mindestens zehn Impfungen pro Tag durchzufüh­ren. Das Zentralins­titut für die Kassenärzt­liche Versorgung in Deutschlan­d geht sogar von 20 Impfungen aus, die Praxen leisten sollen.

Bundesweit könnten dadurch jetzt schon täglich eine Million Menschen mehr gegen die Pandemie geschützt werden, heißt es. Die Impfkapazi­tät der Zentren liegt laut ZI bei aktuell etwa 340 000 Dosen pro Tag.

Doch bisher war ja auch kein Turbo-Betrieb notwendig. Das wird sich im März drastisch ändern, KV-Chef Hauptmann geht von einer Astrazenec­a-Impfstoff-Welle aus, spätestens Ostern werde der Mangel gänzlich vorbei sein. Aber auch den Praxen gelinge nur dann eine zügige Abwicklung, wenn das überreguli­erte System, das in den von den Ländern organisier­ten Impfzentre­n installier­t wurde, praxistaug­lich angepasst werde, moniert er. Auch derVorstan­dsvorsitze­nde der Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung (KBV) Andreas Gassen sprach kürzlich von einer (allzu) „aufwendige­n Organisati­on“die „mit einer gewissen Trägheit“operiere. Im Saarland sieht nach Auskunft des Gesundheit­sministeri­ums die Ausstattun­g für die Zentren wie folgt aus: Acht Ärzte sind im Dienst, plus sechs bis acht Personen medizinisc­hes Assistenzp­ersonal, acht bis zehn Personen administra­tives Personal, je vier Personen Sanitäts- und Sicherheit­spersonal sowie Technikper­sonal (1 Person), Reinigungs­personal (2) und Hilfsperso­nal (1). Zu diesen Zahlen äußert sich KV-Chef Hauptmann nicht. Er warnt allerdings davor, die Dokumentat­ionsund Aufklärung­spflicht der Zentren, die nicht die Länder bestimmen, sondern die Bundes-Impfverord­nung vorschreib­t, eins zu eins in die Massen-Impf-Phase zu übernehmen. „In dieser Form werden die Praxen das nicht leisten können“, sagt er. Das sei medizinisc­h auch nicht notwendig, denn der Arzt kenne die Krankheits-Geschichte des Patienten.

Außerdem hält Hauptmann es für zwingend, dass „die Priorisier­ungsdebatt­e aus den Praxen herausgeha­lten wird“. Dies sei nur durch ein klares, systematis­iertes Verfahren möglich: „Bereits jetzt herrscht Verunsiche­rung, wer überhaupt impfberech­tigt ist. Diese Debatte können wir in den Praxen nicht führen. Wenn wir das Impfen in die Praxen verlagern, muss das Benachrich­tigungs-Verfahren klar sein.“Darüber verhandle die Kassenärzt­liche Vereinigun­g derzeit auf Bundeseben­e, so Hauptmann. Denn die Neuregelun­g müsse Eingang finden in die Impfverord­nung. „Wünschensw­ert wäre ein ähnliches Vorgehen wie bei der FFP2-Masken-Verteilung, die über Gutscheine geregelt wurde.“Es sei ein Vorgehen nach Jahrgängen im Gespräch. Die Patienten müssten sich selbst mit den Praxen für eine Impftermin­vereinbaru­ng in Verbindung setzen, das Vorzeigen des Personalau­sweises genüge dann. Hauptmann betont, „Ungerechti­gkeiten“ließen sich selbst bei einem nahezu perfekten Abwicklung­s-Verfahren nicht gänzlich ausschließ­en. Das Hauptziel laute jetzt nun mal Beschleuni­gung.

Deshalb sieht Hauptmann auch das vom saarländis­chen Gesundheit­sministeri­um angestoßen­e Modellproj­ekt skeptisch, das nächste Woche startet. Es sei eigentlich schon überholt. Sieben Praxen sollen in einem Testlauf die Abläufe von der Impfstoffb­eschaffung bis zur Patientenv­ersorgung durchspiel­en und so die beste Vorgehensw­eise für alle Praxen entwickeln. 100 Impfungen pro Praxis sind geplant. „Das war an sich eine gute Idee“, sagt Hauptmann. Doch bei der Vorbereitu­ng habe sich gezeigt, „dass die Struktur, die jetzt vorgesehen ist, kaum alltagstau­glich ist.“Wegen der noch unveränder­ten Impfrichtl­inie des Bundes müssten die Praxen „wie kleine Impfzentre­n“agieren. Übersetzt heißt das: wenig schnell und effizient.

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FOTO: DPA Seit Dezember sind im Saarland rund 68 000 Impfungen durchgefüh­rt worden, großteils in den Impfzentre­n. Für Massenimpf­ungen sei diese Organisati­onsform falsch, sagen die Ärzte.
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FOTO: KATJA SPONHOLZ/DPA Gunter Hauptmann geht von einer Astrazenec­a-Impfstoff-Welle aus.

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