Ärzte kritisieren Impf-Stau im Saarland
85 Prozent des Astrazeneca-Impfstoffes liegt in den Impfzentren der Länder auf Halde. Im Saarland könnten 700 Praxen täglich 7000 Impfungen durchziehen – und das Tempo enorm beschleunigen.
SAARBRÜCKEN (ce) Die Kassenärztliche Vereinigung des Saarlandes (KV ) kritisiert einen Impfstau in den saarländischen Impfzentren und hat eine Einbeziehung der Hausarztpraxen angeboten. So könnten mindestens 7000 Impfungen pro Tag zusätzlich geschafft werden, sagte der KV-Vorsitzende Gunter Hauptmann. Im Saarland wurden nach Auskunft des Gesundheitsministeriums erst 6000 der verfügbaren 19 000 Dosen des Astrazeneca-Impfstoffs verabreicht.
Ein neuer Begriff ist aufs Corona-Spielfeld geraten: Impfstau. Die Kassenärzte haben ihn ins Rennen geschickt, sie machen der Politik Druck. Das Impftempo müsse dringend erhöht werden, das gelinge nur, wenn auch niedergelassene Ärzte in ihren Praxen impfen dürften. Derzeit wird ausschließlich in den von den Ländern eingerichteten Impfzentren geimpft. Doch laut Bundesgesundheitsministerium
liegen dort etwa 85 Prozent des Astrazeneca-Impfstoffs auf Halde, weil der nur an unter 65-Jährige verimpft werden darf. Zudem gibt es Akzeptanzprobleme.
Die dadurch verursachte Verzögerung beobachtet auch der Chef der saarländischen Kassenärztlichen Vereinigung mit Sorge. Denn unzählige Astrazeneca-Impfwillige blieben außen vor. Gunter Hauptmann sagte der Saarbrücker Zeitung, die Impfzentren des Saarlandes könnten selbst bei Vollauslastung die schon sehr bald anlaufende Phase der Massenimpfung nicht mehr allein stemmen: „Wir müssen nun ganz schnell das Impfen in den Praxen beginnen. Dann wären im Saarland 7000 Impfungen pro Tag zusätzlich überhaupt kein Problem.“Das ist mehr, als derzeit die Impfzentren leisten. Laut Angabe des Saar-Gesundheitsministeriums schafft das Impfzentrum des Regionalverbandes eine maximale Auslastung von 2000 Impfungen pro Tag, in Saarlouis und Neunkirchen seien es 1000 Impfungen, in Lebach 330. Wegen der geringen Impfstoffmengen würden die Zentren bisher jedoch nur mit einer 30-Prozent-Auslastung gefahren, heißt es.
Im Saarland haben sich nach Angaben der KV etwa die Hälfte der 1500 Hausarztpraxen bereit erklärt, mindestens zehn Impfungen pro Tag durchzuführen. Das Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung in Deutschland geht sogar von 20 Impfungen aus, die Praxen leisten sollen.
Bundesweit könnten dadurch jetzt schon täglich eine Million Menschen mehr gegen die Pandemie geschützt werden, heißt es. Die Impfkapazität der Zentren liegt laut ZI bei aktuell etwa 340 000 Dosen pro Tag.
Doch bisher war ja auch kein Turbo-Betrieb notwendig. Das wird sich im März drastisch ändern, KV-Chef Hauptmann geht von einer Astrazeneca-Impfstoff-Welle aus, spätestens Ostern werde der Mangel gänzlich vorbei sein. Aber auch den Praxen gelinge nur dann eine zügige Abwicklung, wenn das überregulierte System, das in den von den Ländern organisierten Impfzentren installiert wurde, praxistauglich angepasst werde, moniert er. Auch derVorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) Andreas Gassen sprach kürzlich von einer (allzu) „aufwendigen Organisation“die „mit einer gewissen Trägheit“operiere. Im Saarland sieht nach Auskunft des Gesundheitsministeriums die Ausstattung für die Zentren wie folgt aus: Acht Ärzte sind im Dienst, plus sechs bis acht Personen medizinisches Assistenzpersonal, acht bis zehn Personen administratives Personal, je vier Personen Sanitäts- und Sicherheitspersonal sowie Technikpersonal (1 Person), Reinigungspersonal (2) und Hilfspersonal (1). Zu diesen Zahlen äußert sich KV-Chef Hauptmann nicht. Er warnt allerdings davor, die Dokumentationsund Aufklärungspflicht der Zentren, die nicht die Länder bestimmen, sondern die Bundes-Impfverordnung vorschreibt, eins zu eins in die Massen-Impf-Phase zu übernehmen. „In dieser Form werden die Praxen das nicht leisten können“, sagt er. Das sei medizinisch auch nicht notwendig, denn der Arzt kenne die Krankheits-Geschichte des Patienten.
Außerdem hält Hauptmann es für zwingend, dass „die Priorisierungsdebatte aus den Praxen herausgehalten wird“. Dies sei nur durch ein klares, systematisiertes Verfahren möglich: „Bereits jetzt herrscht Verunsicherung, wer überhaupt impfberechtigt ist. Diese Debatte können wir in den Praxen nicht führen. Wenn wir das Impfen in die Praxen verlagern, muss das Benachrichtigungs-Verfahren klar sein.“Darüber verhandle die Kassenärztliche Vereinigung derzeit auf Bundesebene, so Hauptmann. Denn die Neuregelung müsse Eingang finden in die Impfverordnung. „Wünschenswert wäre ein ähnliches Vorgehen wie bei der FFP2-Masken-Verteilung, die über Gutscheine geregelt wurde.“Es sei ein Vorgehen nach Jahrgängen im Gespräch. Die Patienten müssten sich selbst mit den Praxen für eine Impfterminvereinbarung in Verbindung setzen, das Vorzeigen des Personalausweises genüge dann. Hauptmann betont, „Ungerechtigkeiten“ließen sich selbst bei einem nahezu perfekten Abwicklungs-Verfahren nicht gänzlich ausschließen. Das Hauptziel laute jetzt nun mal Beschleunigung.
Deshalb sieht Hauptmann auch das vom saarländischen Gesundheitsministerium angestoßene Modellprojekt skeptisch, das nächste Woche startet. Es sei eigentlich schon überholt. Sieben Praxen sollen in einem Testlauf die Abläufe von der Impfstoffbeschaffung bis zur Patientenversorgung durchspielen und so die beste Vorgehensweise für alle Praxen entwickeln. 100 Impfungen pro Praxis sind geplant. „Das war an sich eine gute Idee“, sagt Hauptmann. Doch bei der Vorbereitung habe sich gezeigt, „dass die Struktur, die jetzt vorgesehen ist, kaum alltagstauglich ist.“Wegen der noch unveränderten Impfrichtlinie des Bundes müssten die Praxen „wie kleine Impfzentren“agieren. Übersetzt heißt das: wenig schnell und effizient.