Saarbruecker Zeitung

Ist man mit 44 Jahren zu alt für Open-Air-Partys?

Wer Party machen will und am Türsteher scheitert, ärgert sich. Vor allem dann, wenn der Grund nach Diskrimini­erung klingt. In München wurde ein Mann abgewiesen, weil er zu alt aussah. Er klagt nun vor dem BGH.

- VON MARCO KREFTING UND BRITTA SCHULTEJAN­S

Nils Kratzer wurde 2017 beim Einlass eines Münchner Open-Air-Festivals abgewiesen. Der Grund: Er sieht zu alt aus. Dagegen klagt der damals 44-Jährige nun vor dem Bundesgeri­chtshof wegen Altersdisk­riminierun­g.

KARLSRUHE/MÜNCHEN (dpa) Graue Haare im Stoppelbar­t, Lachfalten um die Augen: Sieht Nils Kratzer deswegen zu alt aus, um an einem Sommeraben­d beim „Isarrausch­en“auf der Praterinse­l in München zu feiern? Ja, entschiede­n die Sicherheit­sleute an der Einlasskon­trolle – und verwehrten dem damals 44-Jährigen und zwei Begleitern (Ü30) den Zutritt. Nein, findet Kratzer – und sah sich diskrimini­ert. Er beruft sich auf das Allgemeine Gleichbeha­ndlungsges­etz (AGG), fordert 1000 Euro Entschädig­ung und hat sich so durch die Instanzen geklagt. Sein Fall wurde am Donnerstag vor dem Bundesgeri­chtshof (BGH) in Karlsruhe verhandelt. Wie sich abzeichnet­e, gibt es bei der Frage aber viel zu bedenken. Eine Entscheidu­ng will der siebte Zivilsenat erst nach Bedenkzeit im Mai verkünden.

„Ich habe noch nie erlebt, dass mir jemand ins Gesicht sagt, ich sei zu alt für ein Festival“, erklärte Kratzer vor der Verhandlun­g, zu der er nicht anreiste. „Teilnehmer in meinem Alter sind dort der Regelfall und keine Aliens.“Er wolle sich auch mit 70 Jahren noch mit Alt und Jung amüsieren können. „Die Interaktio­n von „Alt“und „Jung“ist in jeglicher Hinsicht befruchten­d für alle Generation­en.“Im konkreten Fall konnten sowohl das Münchner Amtsgerich­t als auch das Landgerich­t München aber die Entscheidu­ng der Veranstalt­er nachvollzi­ehen. Das Open-AirEvent mit Dutzenden DJs im August 2017 sei für Personen im Alter von 18 bis 28 Jahren gedacht gewesen. Das Türpersona­l habe die Anweisung bekommen, „nicht passendes Gästepoten­zial“auszusorti­eren. Dabei sei es auf den optischen Eindruck angekommen, es gab keine Alterskont­rolle. Entscheide­nd dabei war aus Sicht der Gerichte auch, dass die Teilnehmer­zahl auf 1500 begrenzt war. Für den Erfolg einer so kleinen Veranstalt­ung sei ein „nach Alter und Aufmachung homogenes Publikum“ein maßgeblich­es Kriterium. Deutlich anders sei dies bei größeren Events wie Konzerten in Fußballsta­dien oder Musikfesti­vals mit zig Tausenden Besuchern zu beurteilen, befanden die Münchner Richter. Das Benachteil­igungsverb­ot gemäß AGG sei auf Massengesc­häfte beschränkt. Ab wie vielen Besuchern von Masse die Rede sein kann, muss nun der BGH klären. „Beim Maßstab, da sind wir noch auf der Suche“, sagte der Vorsitzend­e Richter. Aber auch andere Faktoren spielen eine Rolle: etwa ob der Ausschluss bestimmter Altersgrup­pen im Sinne eines wirtschaft­lichen Konzepts als Sachgrund dient.

Kratzers Anwalt betonte zudem, im AGG sei das Alter in einer Reihe unter anderem mit Herkunft und Religion genannt – daher könne man hier nicht unterschie­dlich gewichten. Was wäre, führte er als theoretisc­he Überlegung aus, wenn man Menschen nach Hautfarbe selektiere? Das AGG, auch Antidiskri­minierungs­gesetz genannt, ist seit 2006 in Kraft. Seither gab es bei der Antidiskri­minierungs­stelle des Bundes sechs Anfragen von Menschen, die sich wegen ihres Alters beim Einlass in Diskotheke­n oder Clubs diskrimini­ert sahen. Deutlich häufiger wurde Diskrimini­erung wegen des Geschlecht­s als Grund angegeben (73 Anfragen). Noch öfter – 320 Anfragen – sahen sich den Angaben nach Menschen wegen ihrer ethnischen Herkunft beziehungs­weise aus rassistisc­hen Gründen beim Einlass diskrimini­ert. Hierzu gebe es auch schon relativ viel Rechtsprec­hung, erklärte ein Sprecher. Weil aber in puncto Altersdisk­riminierun­g Leitsätze zur Auslegung der Vorschrift­en fehlten, ließ das Landgerich­t die Revision zum BGH zu. Kratzers Fall treibt mitunter kuriose Blüten. Zum Beweis, dass er „keinesfall­s“alt aussehe oder wirke, bot er vor dem Amtsgerich­t seine damalige, jüngere Partnerin als Zeugin an.

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FOTO: SOPHIA KEMBOWSKI/DPA Hat jede Altersgrup­pe das Recht auf ausgelasse­ne Party-Abende in Clubs? Nils Kratzer vor dem Bundesgeri­chtshof, weil ihn Sicherheit­sleute an der Einlasskon­trolle abwiesen.
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FOTO: PRIVAT/DPA Nils Kratzer (44) war bei einem OpenAir-Event im Sommer 2017 der Zutritt verwehrt worden

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